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Wortbildung im Deutschen


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(9) in Gestalt der erwähnten dominanten Einführungsstrategie „Vollform (KurzwortKurzwort)“. Es handelt sich jeweils um die Erstnennungen der Akronyme, im Fortlauf der Texte werden sie dann ohne weitere Erläuterungen verwendet. In Gestalt eines ganzen Satzes und zusätzlich metasprachlich markiert erfolgt die Texteinführung hingegen in Beispiel (10). Die Erklärung des akronymischen Organisationsnamens erfolgt durch die Wiedergabe der Vollform, die im Grunde nur eine formseitige Erweiterung des Namenszeichens durch einen Rekurs auf den Kürzungsinput darstellt. Das Wissen über Al-Qaida und die Taliban wird dabei weiterhin vorausgesetzt, sonst ergäbe auch die Namensrückführung keinen Sinn. Auffällig ist auch, dass die zur Erklärung angeführten Vollformnennungen oft durch Anführungszeichen typographisch abgesetzt werden, so etwa in (4), (5), (7) bis (10), was wiederum den metasprachlichen Charakter dieser textuellen Prozesse verdeutlicht.

      Des Weiteren ergab sich aus der Korpusanalyse eine Bestätigung der im Vorigen angenommenen Wortbildungsaffinität, wie die folgende Kompilation von Determinativkomposita mit AkronymenAkronym in der Rolle des Determinans und verschiedenen Grundwörtern verdeutlicht:

(11)AQ-Schule; AQAP-Krieger; AQAH-Propaganda; AQM-Kämpfern; in AQM-Camps; „AQT“-Führern

      Verfahrensorientiert lassen sich die beschriebenen Kürzungen als Reihenbildung bestimmen. Der bekannte Reduktionsprozess liefert zunächst die generischen Default-Initialen AQ, die je nach Bezug um weitere Initialen wie AH/I/MI ergänzt und sozusagen attributiv spezifiziert werden können. Die Kurzwortbildungen fungieren hier so als erweiterbares Label für eine OrganisationOrganisation mit einer tiefen Binnenstrukturierung und regionaler Differenzierung. Al-Qaida wird folglich als ein Netzwerk mit einer übergreifenden Ideologie konzeptionalisiert, das aus Untereinheiten mit großer Handlungsautonomie besteht. Hierzu passt auch die häufige Übersetzung des Namens al-qā’ida als „Basis“ (cf. Wichmann 2014: 202). Entsprechend wird auch manchmal von Mutter- und Tochterorganisationen gesprochen (ebd.).

      Auch MetaphernMetapher können fruchtbar mit den AkronymenAkronym zusammenwirken. Eine analoge KonzeptualisierungKonzeptualisierung, die nunmehr durch metaphorische Konstruktionen erfolgt, nämlich AL-QAIDA ALS (FRANCHISE-)UNTERNEHMEN, findet sich etwa in folgendem Beispiel:

(12)Al-Qaida hat sich in ein Franchise wie McDonald’s verwandelt. […] Wer die AQ-Schule durchlaufen hatte, konnte eine „Filiale“ aufmachen. (Die Zeit, 05.05.2011)

      Mehrere solcher Franchise-MetaphernMetapher treten in der öffentlichen Berichterstattung über Al-Qaida auf (siehe hierzu v.a. Schwarz-Friesel (2014: 66–68) und Kromminga/Becker 2015: 72–77). Fokussiert wird hierbei die Strukturkomplexität und Handlungseffizienz der Gesamtorganisation, die deshalb auch nur sehr schwer zu bekämpfen sei. Al-Qaida sei gerade wegen ihrer Untereinheiten strategisch sehr erfolgreich und gefährlich. Interessanterweise ergeben sich diese Lesarten erst aus der kontextuellen Konzeptkombination und Merkmalsexplikation. Metaphorisierungen als Franchise-Unternehmen haben, im Gegensatz zu beispielsweise mythischen Ungeheuern wie Hydra und tödlichen Erkrankungen wie Krebs, zunächst kein starkes Implikatur- und Emotionspotenzial, vermitteln im gegebenen Fall aber dennoch ein große Bedrohung und eine intensivierte Gefahrenlage durch die so perspektivierte Al-Qaida (cf. Kromminga/Becker 2015: 75–76).

      Innerhalb dieses Konzeptualisierungsmusters zeigen die metaphorischen Verbalisierungen und die AQ-AkronymeAkronym auch eine ähnliche Auftretensverteilung, sowohl in Bezug auf den diachronen Diskursverlauf als auch im Kontrast der analysierten Publikationsmedien. Die ersten Vorkommen der Akronyme wie auch der Franchise-MetaphernMetapher finden sich vereinzelt Anfang/Mitte der 2000er Jahre (die ersten Metaphern treten 2004 auf, AQT bereits 2002), dann vermehrt ab 2008 und schließlich mit einer signifikanten Häufung in den Jahren 2010 und 2011 (den letzten Jahren des Untersuchungszeitraums). Es ist zudem auffällig, dass sowohl die Akronyme als auch die genannten Metaphern überhaupt nicht in den ebenfalls untersuchten Boulevardzeitungen (Bild, B.Z., Kölner Express) vorkommen, sondern nur in umfangreicheren Presseartikeln, die sich um präzise Darstellungen terroristischer Gruppen bemühen und teilweise auch Hintergrundanalysen einbeziehen.

      Zwischen beiden sprachlichen Mitteln, den innovativen MetaphernMetapher mit dem Herkunftsbildbereich der Ökonomie und den zur Referenzialisierung komplexer Organisationen dienenden AkronymenAkronym, kann somit ein enger Konnex konstatiert werden. Sie tragen gemeinsam entscheidend zu einem elaborierten und aktuellen Deutungsmodell über islamistischen TerrorismusTerrorismus bei.

      4 Kleiner Exkurs zum sogenannten Islamischen Staat (IS)

      Der öffentliche Diskurs zum islamistisch motivierten TerrorismusTerrorismus wird aktuell, im Herbst 2014, sehr stark von der Berichterstattung über nur eine OrganisationOrganisation dominiert. Seit Juni 2014 erscheinen nahezu täglich Presseartikel über die Gruppierung, die sich selbst als „Islamischer Staat“ bezeichnet, vor allem über ihre militärischen Erfolge und über ins Internet gestellte brutale Videos, die Enthauptungen dokumentieren. In einigen Medienberichten werden auch immer wieder der aktuelle Name der Organisation, Alternativbenennungen, ältere Namensvarianten und die entsprechenden AkronymeAkronym, thematisiert. Das folgende Beispiel möge dies illustrieren:

(13)Von jenem Tag an [15.10.2006, Anm. JHK] nannte sich die Gruppe, die zuvor als „Al-Kaida im Irak“ (AQI) bekannt war, nur noch „Islamischer Staat Irak“. Terrorexperten benutzten fortan die Abkürzung ISI oder blieben bei AQI. […] [2013 änderte die Gruppe ihren Namen], um ihre Transnationalität herauszustellen. Sie taufte sich um in „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“. ISIS bot sich an, aber ebenso ISIL – denn „Al-Schaam“ wird oft mit dem Begriff „Levante“ wiedergegeben. Deutsche Sicherheitsbehörden wollten ganz korrekt sein und erfanden zusätzlich „IStIGS“. Araber wiederum ersannen ein eigenes Wort. Und zwar jenes, das sich ergibt, wenn man die arabischen Anfangsbuchstaben von „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ als Wort ausspricht (so wie wir „Nato“ sagen). Auf diese Weise entstand der Begriff „Daisch“. Die Terroristen hassen diese Verballhornung und drohen damit, jeden zu bestrafen, der sie benutzt. Vier Namen also für dieselbe Gruppe. Das war schon mal verwirrend genug. Aber noch nicht das Ende. Denn was geschah im Juni 2014, nach der Einnahme der irakischen Stadt Mossul? Die Gruppe änderte ihren Namen ein weiteres Mal – in „Islamischer Staat“. Der Verzicht auf eine geografische Verankerung sollte nun den universalen Anspruch unterstreichen. (Die Zeit, 30.10.2014)
(14)Die verschiedenen AkronymeAkronym generieren eine mehrschichtige Benennungskonkurrenzsituation. Im Englischen wird diese Gemengelage zwischen ISIS, ISIL, ISI, IS bisweilen auch als „alphabet soup“ persifliert. (New York Times, 02.10.2014)

      Wenn die Selbstbezeichnungen der OrganisationOrganisation sich ändern, indem je nach Vermarktungsstrategie regionale Spezifizierungen hinzukommen oder weggelassen werden, folgen die Kurzwortbildungen nach. Zugleich stehen sich aktuelle Selbstbezeichnungen, derzeit IS, und Fremdbezeichnungen wie Da’isch gegenüber. Durchsichtiger ist die Bezeichnung Un-Islamic State, die wiederum gleich zu UIS akronymisiert wurde, oder die von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon gebrauchte Doppelverneinung des IS-Namensclaims als „Un-Islamic Nonstate“ (New York Times, 02.10.2014). Die Hinzufügung der Negationssuffixe dient hierbei sowohl zur Abwertung der Organisation als auch zur Abgrenzung zwischen der äußerst gewalttätigen Organisation und muslimischen Gemeinschaften, die sich mit der Organisation in keiner Weise verbunden fühlen. Die AkronymeAkronym UIS versus IS konstituieren hier zugleich einen semantischen Kampf in Form einer Bezeichnungskonkurrenz, also eines Widerstreits zwischen kontradiktorischen Positionen zur gegenstandsadäquaten Nomination.

(15)Weitere Verwendungskonkurrenzen entstehen aufgrund der Tatsache, dass ISIS ein Homonym darstellt, und zwar nicht nur zum Namen einer ägyptischen Göttin, sondern auch zum Markennamen einer belgischen Schokolade (Süddeutsche Zeitung, 24.10.2014), einer britischen Dessous-Kollektion, eines Studentenmagazins und zum Titel eines Songs von Bob Dylan. (Jungle World, 28.08.2014)

      Eine präzise Beschreibung des Verhältnisses von Al-Qaida und Islamischer Staat zueinander ist sicherlich eine Aufgabe für die Terrorismusforschung und weniger für diesen Aufsatz. Bislang kursieren in der medialen Berichterstattung mehrere konträre Darstellungen: Entweder dass Al-Qaida