zwischen dem biologisch-natürlichen, dem sozio-kulturellen (weil gezeigten/erblickten) und dem bewegten, gemachten ‚Gesicht‘ aufweist. Ganz konträr zur Wurzel des engl. face aus FACIES ist das lateinische Perfekt-Partizip VISUM – und in der Folge die Lehnübersetzung ins Deutsche als ‚das Gesichtete‘ – per se ein bildhafter Ausdruck. Indem es die Dialektik von Sehen und Gesehen-Werden wörtlich wider-spiegelt, hat es meines Erachtens genügend metaphorische Kraft, das Soziale als die zentrale Schnittstelle zwischen den Menschen zu erklären. Als der anatomische Sitz der Sinne bzw. des Gehirns hat das Gesicht die intrinsische Fähigkeit anzuschauen; es wird als solches aber immer auch von anderen Gesichtern angeschaut und ist demnach – aufgrund der Mode der meisten Kulturen – das von den Mitmenschen ungehindert und direkt ‚Gesichtete‘.
Ebenso zeigt die Untersuchung der Kollokate des Begriffs an, dass die um face gebildete Idiomatik ursprünglich auf bestimmte ‚Gesichtspraktiken‘ verweist. Diese werden wiederum metaphorisch umgedeutet auf soziale Handlungen, die je nach Selbst- oder Alter-Bezogenheit in Status, Aktionsart und Zweckhaftigkeit sowie kulturspezifischer Auslegung stark differieren. Den Befunden nach lässt sich ontologisch unterscheiden zwischen ‚Gesicht haben‘ vs. ‚Gesicht verlieren‘ und ‚Gesicht machen‘ zum einen, und (jemandem) ‚Gesicht geben‘ (in Form von bedrohen, zerstören, bestätigen, etc.) zum anderen2.
Der englische Begriff face als ‚Gesicht‘ ist somit schon aus kultursemantischer Sicht eine komplexe Einheit aus biographischem Besitz (physiologischer Beschaffenheit), kollektivem Zeichen(system) (ästhetischer Qualität) und kommunikativem Kanal. Zum einen macht das Gesicht als das einzigartige Gut einer Person das Individuum aus; zum anderen ist es auch ein soziales Gut, d.h. es ist immer locus- und beziehungs-determiniert, je nachdem ob und wie es von den Anderen wahrgenommen und bewertet wird. Daher erfüllt es alle semantischen und ‚grammatischen‘ Bedingungen, um vom biologischen zum soziologischen Konzept zu avancieren und sich dort als ein plausibles Instrument zur Erfassung sozialen Handelns i.a. zu etablieren.
Goffman nimmt diesen Bedeutungsradius des face-Begriffs als erster auf und gründet darauf seine bekannten sozialpsychologischen Konzeptionen3. Sie führen erst in der Auslegung von Brown & Levinson 1978/87 zur expliziten Verbindung mit Höflichkeit. Bei Goffman gilt face noch als allgemeiner „positive social value“, der in der sozialen Interaktion zwar richtliniengerecht („in terms of approved social attributes“, Goffman 1967, 222) demonstriert und entsprechend beachtet werden soll. Face ist dabei keineswegs nur auf die konfrontative Begegnung in dyadischer Kommunikation eingeschränkt, wo es sich lediglich als sprachliche Entschärfung bedrohter Interaktanten veräußert. In der bekannten Umschreibung als das „public self image“ hat face vielmehr eine öffentliche Dimension, d.h. es gehört zum Geschick des sozialisierten Ich, Ausdruck und Eindruck stets aufeinander abzustimmen (cf. das berühmte „impression-management“), und dabei – gleichsam wie auf einer Bühne – ein entsprechendes Selbstbild zu etablieren und zu reproduzieren (Image!). Goffman legt sein Konzept auf das handelnde Subjekt hin an, empfindet dieses im Sinne des Symbolischen Interaktionismus Meads aber als projizierte Dualität zwischen I und me (cf. Mead 1967). Er konstruiert damit ein aktives, aber hoch narzisstisches Ich, das kontinuierlich vom „deep rooted concern with what others think of us“ geprägt ist und so vom Blick der Anderen als ein sog. „looking-glass-self“ völlig abhängig zu sein scheint (Haugh 2012b, 48). Aus meiner Sicht wäre face demnach der reflexiv erworbene innere Wert der Person. Er ist gleichsam ein ‚sakrales‘ Gut und daher verehrenswürdig. Diese Verehrung geschieht in der Kommunikation dauernd und zwar durch facework. Facework ist daher der empirische Kanal des face.
Soweit meine Interpretationen von Goffmans Grundgerüst, das grob reduziert werden kann auf die Eindruck-Ausdruck-Relation zwischen face und facework. Indem der ‚Stellen-Wert‘ dieses Eindrucks im sozialen Gefüge immer auf ein Gegenüber angewiesen ist, welches ihn nach normativen Richtlinien (lines) beurteilt, kommen bald moralisch-ethische Aspekte ins Spiel. Kommunikative Begegnungen funktionieren eben dann reibungsfrei, wenn die Interaktanten einander wechselseitig Wertschätzung und Protektion zollen. Die socially attributed aspects of self (Watts 2003:125) werden – unter der idealtypischen Annahme einer dyadischen Kopräsenz rationaler Interaktanten (face to face!) – demonstrativ ausgehandelt und auf diese Weise nachvollziehbar ‚abgebildet‘. Facework, bei Goffman generell verstanden als „the actions taken by a person to make whatever he is doing consistent with face“ (Watts 2003, 125), macht damit face sprachlich nachweisbar; es darf daher zurecht als „the verbal face of face“ angesehen werden (Tracy 1990). Indem es aber Ziel jeder gelingenden Interaktion ist, die soziale Ordnung nach ethischen Prinzipien aufrechtzuerhalten, geraten gerade Momente in den analytischen Blickpunkt, wo es darum geht „to counteract incidents“ und facework als Abwehr von face-Bedrohung zur Rettung guter Beziehungen analytisch dingfest gemacht werden kann. Damit wird zwei Sichtweisen Vorschub geleistet – der defensiven und der protektiven. Beide machen den Konflikt zum kommunikativen Verhandlungsobjekt und bauen darauf ihre theoretischen und methodologischen Konzeptionen auf. Es sind dies in der (linguistischen) Pragmatik die politeness-Theorien, und in der Sozial-Psychologie die face-negociation und face-management-Theorien.4
Ich wende mich hier lediglich den auf Brown & Levinson beruhenden politeness-Theorien zu. Aufgrund ihrer starken Präsenz und globalen Beanspruchung in der modernen Linguistik bringen diese den Terminus face und die davon abhängigen Konzepte in das allgemeine Bewusstsein ein und konstituieren – unter Verlust des Begriffs des faceworks – das scheinbar unabdingbare Verhältnis von face und politeness – ja, zwischen face und ‚Höflichkeit‘ scheint – ungeachtet jeglicher ontologischer Problematisierung – eine zwingende kausale Interdependenz zu bestehen, die meines Erachtens den hohen Anwendungs-Wert des Paradigmas erst ausmacht. Dahinter verbergen sich jedoch zahlreiche Trugschlüsse, die im Folgenden aus meiner Sicht näher zur Sprache kommen sollen.
In den politeness-Theorien wird face zum normativen Bezugszentrum zur Einschätzung des Konfliktpotentials von Handlungen und dem Grad seiner Abfederung. Ohne genau zu definieren, was unter emischen Gesichtspunkten mit face jeweils genau gemeint ist, wird es dennoch zum generellen Maßstab für Höflichkeit und seiner etwaigen sprachlichen Phänomenologie erhoben. Wenn die Grundkonzeption von Brown & Levinson darauf angelegt ist, „to show how degrees of politeness can be expressed and determined in a principled way using the concept of ‚face‘,“ und so „seemingly disparate phenomena found in various languages by universally valid principles“ tatsächlich zu erklären (Matsumoto 2009, xi), dann braucht es einen allgemein gültigen methodisch umsetzbaren Angelpunkt zwischen Theorie und Praxis. Dieser wird mit dem Konzept der face-wants kreiert, d.h. das abstrakte face wird in ein Korrelat an Wünschen bzw. Bedürfnissen umgedeutet, welche jede sozialisierte Person grundsätzlich entwickelt hat, als solche in die jeweilige Kommunikation automatisch einbringt und dort entsprechend befriedigt wissen möchte. Es dürfte also gerade die Annahme der face-wants sein, welche die Praktikabilität des Paradigmas ausmacht, gleichzeitig aber seine problematischen Grundsteine legt, und zwar aus folgenden Gründen:
mit wants wird ein ‚plastischer‘ Wende-Punkt von der ideellen Innenseite auf die manifeste Außenseite etabliert;
die Übersetzung in das dichotomische Korrelat von inneren Werten (positive vs. negative face) in darauf bezogene Handlungs-Strategien (positive vs. negative politeness) macht face inhaltlich greifbar;
derartige Strategien sind nur in einer ongoing communication als wechselseitiger account im turn-Abtausch nachweisbar, wobei Dyadik, Ko-Präsenz und (alltägliche) Mündlichkeit als die idealen Grund- und Bemessensbedingungen gelten;
nachdem die wants besonders unter Bedrohung des kommunikativen Gleichgewichts deutlich werden und gerade dann nach entsprechender ‚Behandlung‘ rufen, eignen sich konfliktäre Handlungen und deren Ausgleich besonders zur Sichtbarmachung von Höflichkeit in Sprachgestalt – nicht mehr face ist demnach der empirische Anhaltspunkt der Paradigmen, sondern der berühmte FTA, der face-threatening act