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Werlen, Iwar (1987). Die „Logik“ ritueller Kommunikation. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 65, 41–81.
Aktuelle Tendenzen
Der face-Begriff im Schnittpunkt zwischen politeness und facework. Paradigmatische Überlegungen
Gudrun Held
This paper revisits the concept of face as it is constituted in the politeness-theories following Brown’s & Levinson’s seminal work. Considered as being in a causal interrelation with politeness, face gets the key-notion of modern socio-pragmatics throughout its different paradigmatic stages. The assumption of the famous dichotomic wants (positive vs. negative face) enables linguistic research to turn a supposed inside of values into an outside of verbal strategies directed to rapport management and conflict avoidance. This leads to the one-sided equation between face and politeness which, in recent literature, is getting however more and more contested by opening up the view from the culturally driven concept of politeness to the more generally definable concept of facework. Referring to the recent development of this discussion the paper argues that face and politeness are matters of their own right based on fundamental differences in the a) terminological practice, b) social-semantic content, c) ontological status, and d) theoretical conceptualisation.
Mit der Pionier-Arbeit von Penelope Brown und Stephen Levinson 1978/87 hat das politeness-Paradigma in der linguistischen Pragmatik unaufhaltsam Einzug gehalten, gibt es doch eine plausible theoretische Basis ab zur Erklärung der Mechanismen sozialer Interaktion. Da diese vor allem in der Sprache empirisch greifbar sind, wird das Paradigma in den verschiedensten Sprach- und Kulturgemeinschaften quer über den Globus auf die verschiedensten Kommunikationssituationen angewandt und macht somit ‚Höflichkeit‘ zu jenem scheinbar vergleichbaren Referenzbereich, der Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Strategien, Prinzipien und (Un)Regelmäßigkeiten sozialen Handelns aufdeckt und zu erklären sucht. Im Lichte universaler, aber traditionsgeprägter Sozial-Ethik gerät das kooperative Verhalten ins Zentrum der Aufmerksamkeit und wird anfänglich an zahlreiche sprachliche Verfahren gebunden, die auf eine weitgehend harmonische Beziehungsgestaltung ausgerichtet sind und kommunikative Konflikte entsprechend zu vermeiden suchen. Ja, wie Kerbrat-Orecchioni (1992, 160) zusammenfassend sagt, solcherart „Beziehungszeichen“ „font système“ – sie machen plötzlich – oft im Zusammenhang mit paraverbalen Phänomenen – sozialen Sinn. Dieser kann allerdings nur im größeren kulturellen Rahmen, im darin verankerten situativen setting und da vor allem in Bezug auf die jeweilige kommunikative Beziehung bemerkt, erfasst und interpretiert werden. So erkennt die linguistische Forschung schnell, dass nicht die sprachlichen Formen per se ‚höflich‘ sind, sondern die sozialisierten Subjekte, indem sie ihre kommunikativen Handlungen gemäß den in ihrer Kultur üblichen Normen und Konventionen möglichst beziehungs-bewusst ausführen: dabei gilt die wechselseitige Wahrung des face als jene Richtlinie, die solche und viele andere sprachliche Formen als strategische Mittel zur situationsadäquaten Modalisierung ihrer Handlungen rechtfertigen. Die Gründe für die Art und Weise, wie Handlungen jeweils verbalisiert werden, sind somit sozial-anthropologischer Natur; die jeweilige Regelung sowie die Wahrnehmung ihrer Wertigkeit bedürfen aber eines Bewertungsmaßstabs, der kulturimmanent festgelegt und als solcher unbewusst verankert ist.
Das ‚fuzzy concept‘ der politeness1 bietet sich als Meta-Konzeption scheinbar sprach-übergeordnet an, diesem Spagat gerecht zu werden: es steht für gewisse ethisch unterlegte Grundtendenzen mit Universalitätsanspruch, lässt jedoch (sozio-)semantisch kulturspezifische Ausprägungen und Ausdeutungen sowie entsprechende Übersetzungen zu. Die (sozio)-pragmatische Polymorphie dieses alltagsweltlich so geläufig scheinenden Konzepts lässt das Paradigma allerdings schnell in ein vielschichtiges Fangnetz theoretischer und methodologischer Probleme geraten: Analytisch dem sich ständig wandelnden Spannungsverhältnis zwischen Formen und Funktionen ausgesetzt, bedarf es sowohl der Objektivierung der intersubjektiven Vielfalt sowie der Neutralisierung der ethischen Wertmaßstäbe, als auch der Anerkennung von deren situativer Variation und der Beachtung sozio-kultureller Einflüsse; kurz, es braucht ein Modell, das emisch und etisch gleichermaßen Relevanz hat und sich demnach als für alle Kulturen operabel erweist.
Diesem Dilemma versucht die Forschungsdiskussion in den frühen 90er Jahren durch terminologische Ausdifferenzierung beizukommen: es wird vorgeschlagen zwischen politeness 1, dem kultur-immanenten Alltagsverständnis von Höflichkeit, und politeness 2, der modell-theoretischen Abstraktion zur wissenschaftlichen Erklärung von sozialer Interaktion i.a., zu unterscheiden (Eelen 2001, Watts 2003, Haugh 2012a). Damit sollte das, was Laien landläufig unter Höflichkeit verstehen, grundsätzlich theoretisch erklärbar werden, d.h. es wird ein Inklusionsverhältnis postuliert, nach dem politeness 2 immer politeness 1n enthalten müsse. Wie groß auch immer der Erkenntnisgewinn aus dieser epistemologischen Unterscheidung in der weltweit ungebrochenen Anwendung des politeness-Paradigmas ist, sie hält eine Diskussion in Gang, die vor allem um die Problematik zwischen Universalität und Kulturspezifik kreist. Der Ruf nach Kritik und Revision verebbt auch nicht durch die verschiedenen paradigmatischen Wendepunkte hindurch, indem sich der kritische Blick der Forscher schärft und zwar von einer anfangs normativ orientierten Höflichkeits-Konzeption über die auf die Reaktion der Rezipienten angewiesene diskursive Interpretation bis hin zur interaktionalen Aushandlung, wo die Bedeutungen immer Prozesse gemeinsamer Konstruktionen sind (zu den paradigmatischen Phasen cf. Sifianou 2010, Watts 2010; Locher 2012, 2013).
Meines Erachtens geht es daher im Forschungsdiskurs mittlerweile längst nicht mehr um das, was politeness generell ist und wie sie sprachlich in den einzelnen Kulturgemeinschaften festgemacht werden kann – dies zeigt nicht zuletzt der deutliche turn des Paradigmas hin zum Gegenteil, der impoliteness, die formal und funktional viel klarer fassbar zu sein scheint (Bousfield 2008, Culpeper 2011). Vielmehr stehen andere Grundkonzepte des Modells im Kreuzfeuer, und da besonders der von Goffman übernommene Begriff des face. Das im Paradigma so zentrale face erweckt in letzter Zeit das Interesse kritischer Stimmen (cf. Bargiela/Haugh 2009) und zwar nicht nur als analytisch brauchbare Abstraktion einer Wert-Idee, sondern auch in Verantwortung für zahlreiche davon abgeleitete Konzeptionen, von denen ich facework als essentiell erachte, weil es die Idee des face nach außen zu kehren sucht und an empirisch sichtbaren Handlungen festzumachen scheint.
Diesem Spannungsverhältnis zwischen Innen- und Außenseite, das Goffman mit face und face-work bereits deutlich angedacht hat, möchte ich im Folgenden meine Aufmerksamkeit widmen. In Anknüpfung an die dazu jüngst aufgekommene Diskussion (O’Driscoll 1996, 2007, 2011; Bargiela-Chiappini 2003, Haugh 2009, Sifianou 2011, 2016) versuche ich die Rolle in den Blick zu nehmen, welche der Begriff des face im politeness-Paradigma übernommen hat. Wiewohl politeness nur eine Seite von facework realisiert und damit ein viel engeres Funktions-Konzept darstellt, hat sie das einschlägigere facework scheinbar völlig aus dem ‚Gesichtsfeld‘ verdrängt. Mich interessiert daher das Verhältnis von face und politeness unter epistemologischen und ontologischen Vorzeichen, und ich möchte dazu einige Überlegungen aus semantischer und pragmatischer Sicht anstellen, die ich in früheren Publikationen angestoßen habe (Held 2014, 2016a,b) und die generell auf der grundlegenden Erkenntnis der unabdingbaren Bindung von Sprache an (rational handelnde) Subjekte fußen.
Denn face ist in seiner primären Bedeutung die Kristallisation des Subjekts schlechthin – aufgrund seiner Natur steht der Begriff nicht nur metonymisch für die individuelle Person als Vertreter seiner Kultur und Lebenswelt, sondern wird auch metaphorisch zum Wende- oder Schnittpunkt zwischen deren Innen- und Außenseite, also zwischen Fühlen und Denken zum einen, und Anzeigen und Mitteilen zum anderen.
Diese These lässt sich mit einer klassischen lexikographischen Analyse des Terminus face aus dem lat. FACIES in Kookkurrenz mit dem durchsichtigeren lat. VISUM stützen. Eine nähere Untersuchung des lateinisch-romanischen Repertoires für das Wortfeld ‚Gesicht‘