somit scheinbar eine Symbiose ein, welche sich mit dem zunehmenden Einsatz des Paradigmas als Funktions-Form-Korrelat immer mehr festigt. Mit der Entwicklung zu weniger form-gebundenen, sondern diskurs-inhärenten und interaktiv ausgehandelten Auslegungen (s.o.) hin wandelt sich allerdings diese Haltung. Das Verhältnis scheint zu ‚hinken‘ und ist bald dabei, sich unter neuen methodologischen Standpunkten aufzulösen. Die Diskussion weist daher drei Stadien auf:
1 das normative Stadium mit der (anfänglich) unabdinglichen Bindung von politeness an face (Brown & Levinson-Schule), welches als eine universell gültige, moralistisch beeinflusste Richtlinie gilt, die von rationalen ‚Sprechern‘ im Sprachhandeln strategisch erfüllt wird;
2 das interpretative Stadium, wo die Ausformung und Auslegung von sprachlichen Äußerungen im ongoing discourse je nach kultur-spezifischer, beziehungs- und frame-geprägter Sichtweise unterschiedlich erfolgt und eine funktional bedingte Auseinander-Entwicklung bzw. langsame Loslösung von politeness und face bewirkt (Watts 2003, Locher 2008, O’Driscoll 1996, 2007, 2011, Arundale 1999, 2006, 2009, Sifianou 2011, 2016,); und schließlich
3 das ‚interaktionale‘ Stadium, wo die Ablösung bzw. völlige Trennung von face von politeness (man beachte die Reihenfolge der Komponenten!) erfolgt ist und daher das Desiderat besteht, sie „as objects of studies on their own right“ (Haugh 2012b: 53) zu behandeln. Grund dafür ist die stets multiple Natur beider Konzepte und deren immer beziehungs-abhängige, interaktional verhandelbare und stets neu verhandelte Geltung (Spencer-Oatey 2007, 2011; Bargiela Chiappini 2009; Haugh 2009, 2012b; Arundale 2009, 2013).
Dass das Verhältnis zwischen face und politeness also ein höchst problematisches ist, zieht sich durch die ganze politeness-Forschung, ja etabliert dort mittlerweile eine Diskussion (cf. Bargiela/Haugh 2009, Bogdanowska-Jakubowska 2010, 2016), die sich an der Theorie und der Anwendung auf die verschiedensten Daten gleichermaßen entzündet und dort immer wieder angesichts der Spannung zwischen Universalität und Kulturspezifik einerseits und zwischen inneren Wert-Annahmen und äußeren Erscheinungsformen andererseits aufflammt. Sie wird dann besonders eklatant, wenn westliche mit östlichen Wertkonzepten und Umgangsformen verglichen oder miteinander konfrontiert werden. Bei der Untersuchung chinesischer und japanischer Diskurse etwa (Scollon/Scollon 1994, Morisaki/Gudykunst 1994, Kadàr/Mills 2011) zeigt sich – wohl gemerkt immer aus dem im Paradigma üblichen englischen Metablick – schnell, dass sowohl face wie politeness emisch vom westlichen Verständnis derart abweichende ‚Bedeutungen‘ haben, dass sie kaum im etischen Konzept politeness 2 fruchtbar eingeordnet werden können. Ich versuche, dieses Fangnetz mit einigen Argumenten zu ‚entflechten‘, die den unterschiedlichen Status der Begriffe in den Blick nehmen:
a) das terminologische Argument
Die problematische Beziehung von face und politeness scheint schon in der Handhabung und Auslegung der Terminologie selbst und deren disproportionalen Übernahme in die verschiedensten Objekt- und Metasprachen der politeness-Forschung begründet zu sein: face wird ohne kernsemantische Aufschlüsselung meist überall als englischer Fach-Begriff entweder beibehalten oder mehr oder weniger wörtlich entlehnt (etwa frz. face, it. faccia, span. faz, dt. Gesicht5); politeness wird hingegen meist mit kultureigenen Termini übersetzt – wie eben im Dt. mit ‚Höflichkeit‘. Damit verliert sich die epistemologische Ambivalenz als politeness 1, der kulturimmanenten Laien-Lesart, und politeness 2, dem abstrakten Erklärungs-Modell für soziale Interaktion überhaupt, worin – wie oben schon angesprochen – sämtliche politeness 1n enthalten sein müssen.
Dieses Problembewusstsein scheint beim einheitlichen face-Begriff erst gar nicht bzw. viel später auf. Erst als sich seine emischen Implikationen durch immer mehr Daten hindurch als zunehmend verschieden erweisen und damit theoretisch immer schwieriger in einem gemeinsamen Kern fassbar sind, wird der Wunsch laut, auch beim face-Begriff unbedingt zwischen kulturspezifischen face 1n und einem abstrakten Dachkonzept face 2, der diese erklärt, deutlich zu unterscheiden (cf. Haugh 2012a).
b) das inhaltliche Argument
Mit der Metasprache wird jedoch auch der ethnozentrische Filter mitgeliefert, durch den die Konzepte inhaltlich interpretiert werden. Während politeness etwa als dt. Höflichkeit, it. cortesia, frz. politesse, chin. limào, jap. wakimae, hebr. nimus, gr. evgenia, russ. vezlivost6 – um nur einige typische zu nennen (cf. die Zusammenstellung in Watts 2003:14–16) – in der jeweiligen Alltagskultur verankert ist, ist face kein Alltagsbegriff und Laien meist völlig unbekannt. Höflichkeit & Co. werden daher in der Forschungsliteratur ohne viel Nachfrage als semantisch gut greifbare Kategorie empfunden und so vor allem in Form des gängigen Adjektivs – ‚höflich‘ – zur Qualifizierung von Handlungen, Personen und, wie wir wissen, ursprünglich auch von Formen (etwa wie dt. bitte und danke) verwendet. Schließlich macht sich aber auch die theoretische Abstraktion dieses Qualitätsprädikat zunutze und lässt daraus gleichsam onomasiologisch eine plausible, weil scheinbar universal geltende Untersuchungskategorie entstehen. Face ist hingegen nur schwer übersetzbar; seine Bedeutung als Fachterminus ist für Laien undurchschaubar und kann selbst von Forschern höchstens meta-pragmatisch eruiert werden. Wo der ihm einfach zugeordnete, im Paradigma so zentrale Norm-Gehalt daher genau liegt, ist weder theoretisch, noch praktisch klar auszumachen.
Die politeness-Forschung versucht trotzdem seit ihren Anfängen dem face-Begriff emisch und etisch beizukommen. Zwei Vorgehensweisen werden dazu mehr oder weniger bemüht: Die eine versucht, in den jeweiligen Kulturen nach möglichen Übersetzungsäquivalenten zu suchen; die andere versucht, im sprachlichen Repertoire konkurrierende Begriffe aufzuspüren und Laien und Forscher nach deren Paraphrasen zu fragen. Aus der Zusammenstellung von Haugh (2012b, 54), die ich hier nicht mit den einzelnen sprachlichen Termini wiedergeben kann, geht folgendes hervor:
Die Übersetzungen in den verschiedenen überprüften Sprachkulturen kreisen erwartungsgemäß alle um das menschliche Gesicht.
Die Synonyme oder Paraphrasen, die in verschiedenen Kultur-Gemeinschaften von Laien erfragt werden, zeigen das Spannungsverhältnis zwischen der Personen- und der Beziehungs-Zentriertheit des Konzepts. Haughs Liste vervollständigend, betreffen sie andere „saliente“ Verkörperungen der Person (wie engl. heart, front, dt. Augen, it. figura, persona…); soziale Emotionen/Affekte (wie engl. sympathy/empathy, dt. Liebe, sp. respeto, confianza, it. gentilezza, engl.=jap. attentiveness7,…) und soziale Relationen (wie engl. dependency, locus ‚place‘, status, reputation, involvement, dt.Zugehörigkeit,…),
d.h. die Ausleuchtung der face-Äquivalente fördert emotionale und kognitive Aspekte des Begriffs zu Tage, die weit über die Wesenheit des menschlichen Gesichts hinausgehen. Die Angaben machen aber deutlich, dass es sich dennoch um eine Wesenheit handelt, deren man sich bewusst ist und über die daher auch gesprochen werden kann („something perceived and talked about by members of sociocultural groups“ cf. Watts/ Ide/ Ehlich 1992, 3).
c) das ontologische Argument
Aus diesen Befunden wird ersichtlich, dass face und politeness kaum etwas gemeinsam haben, wenn man davon absieht, dass politeness ein demonstratives Verfahren ist, das den face-Bedürfnissen, vor allem denen nach Anerkennung und Schonung, entgegenkommt – doch wie sehen diese Bedürfnisse in den jeweiligen Kulturen und deren Individuen genau aus und welches sind die Mittel, die ihnen gerecht werden? Trotz der großen Bandbreite der Diskussion und der immer wieder ins Feld geführten empirischen Daten wird nämlich etwas m.E. Entscheidendes übersehen und zwar, dass beide Konzepte einen grundunterschiedlichen ontologischen Status haben: face we have vs. politeness we do, darauf weist schon O’Driscoll 1996 hin. Face, so wird postuliert, ist ein inneres, ideelles (Wert)Konzept emischer Natur, das jeder Mensch aufgrund seiner Biographie internalisiert hat. Politeness hingegen ein symbolisch manifestes Verhaltens-Konzept, das im Angewiesensein auf Beurteilung von außen (nota bene durch Teilnehmer und Forscher gleichermaßen) damit etischer Natur zu sein scheint. Während