Lehnübertragung ist das deutsche Wort ‚Frucht‘, das dem dänischen Wort frugt ähnlich ist und anstelle von ‚Obst‘ verwendet wird (Pedersen 1988: 6). Ein weiteres Beispiel ist das dänische Wort kamp (‚Kampf‘). Diese Bezeichnung,
die auf Dänisch nicht nur den kriegerischen Kampf oder einen Wettkampf bezeichnet, sondern hier auch für Spiele zwischen Mannschaften verwendet wird, erhält beispielsweise im Deutschen eine Erweiterung des Inhalts, so dass sie in der gleichen Bedeutung wie ihr dänisches Äquivalent verwendet werden kann. In der Deutschen Volksgruppe gehört es demnach zur Alltagssprache vieler, zum Beispiel ein Handballspiel als „Kampf“ zu bezeichnen. Beispiel 9.4: ja also wir haben nur einen kampf verloren. (Westergaard 2008: 437f.)
Lehnübersetzungen von ganzen dänischen Verbalphrasen ins Deutsche sind oft erfolgreiche Strategien, aber manchmal ergeben sich auch unidiomatische Ausdrücke. Sie sind typisch für die Minderheitensprache, wie zum Beispiel die Phrase ‚Sie sagt Entschuldigung‘, die auf Dänisch hun siger undskyld basiert und weniger auf Standarddeutsch (‚Sie bittet um Entschuldigung‘) (Pedersen 1988: 6).
Im Deutschen Volkskalender Nordschleswig werden solche Beispiele von Lehnwörtern und Lehnübersetzungen oft unter der Rubrik „Sprachblüten“ aufgeführt, was eine positive Einstellung widerspiegelt. Einige Beispiele aus dem Jahr 2004: „Echte nordschleswigsche Worte: sippen (‚Tau springen‘), cykeln (‚Fahrrad fahren‘), Gehstrasse (‚Fußgängerzone‘)“ (Deutscher Volkskalender Nordschleswig 2004: 62; die zugrundeliegenden dänischen Etyma sind sjippe, cykle und gågade).
Auch wenn Nordschleswigdeutsch eine mündliche Varietät ist, erscheinen solche Sprachkontaktphänomene auch in geschriebenen Texten. Viele Jahre lang stand auf dem Schild des Kirchenbüros in Tingleff/Tinglev ‚Kirchenkontor‘ (dän. kirkekontor), eine Kombination von Deutsch Kirchen und dem dänischen Lehnwort kontor. Inzwischen wurde die Bezeichnung in ‚Kirchenbüro‘ geändert. Auch im Volkskalender sind viele Beispiele für Lehnübersetzungen wie Gehstrasse, Apenrade (in einer Bildunterschrift im Volkskalender 1972: 95) zu finden. Auch in Werken von Schriftstellern aus der Minderheit finden sich Lehnübersetzungen aus dem Dänischen, zum Beispiel Eisenkratt zu dänisch egekrat oder kämpft mit den Weinen (Westergaard 2000: 28). Beim Nomen ‚Weinen‘ handelt es sich um eine direkte Übersetzung des Dänischen gråden, das anstelle des deutschen ‚Tränen‘ verwendet wird. In der Zeitung Der Nordschleswiger erscheinen Lehnwörter wie Borgmester und Statsminister, die wie deutsche Substantive mit initialer Majuskel geschrieben werden. Solche dänischen Wörter, die zum politischen Wortschatz gehören, werden heute oft als Doppelformen geschrieben, etwa „Regierungschef (Statsminister)“, um auch die Leser außerhalb der Grenzregion über dänische Bezeichnungen zu informieren.
Kirchenkontor
5.3 Sprachenwahl: Code-Switching, Sprachmischung
In zweisprachigen Minderheitsfamilien gibt es in der Regel eine vorherrschende Muttersprache, jedoch können zu bestimmten Anlässen auch andere Sprachen zu Hause gebraucht werden. Wenn Deutsch die Muttersprache ist, können sie zu Sønderjysk oder Standarddänisch wechseln, wenn Familienangehörige, Freunde oder Nachbarn, die der dänischen Mehrheit angehören, ihre Wohnung oder ihr Haus betreten. Auch wenn die Besucher Deutsch als Fremdsprache beherrschen, ist der Wechsel zu Dänisch in vielen Haushalten eine häufige Reaktion. Umgekehrt ist es auch typisch für Minderheitenfamilien mit Sønderjysk als Muttersprache, zu Deutsch zu wechseln, wenn ihre Besucher aus Deutschland kommen oder neu angesiedelte deutsche Migranten sind – unabhängig davon, ob die Neuankömmlinge Dänisch als Zweitsprache beherrschen. In solchen Situationen wird die Sprachwahl in hohem Maße von der Muttersprache des Besuchers bestimmt und nicht von der Alltagssprache des Hauses.
Trotz gemeinsamer Merkmale bei der Wahl der Muttersprache unterscheidet sich die Entwicklung bezüglich Standarddänisch als Muttersprache innerhalb der deutschen Minderheit von derjenigen der Mehrheit. Während die Kinder der Mehrheitsgesellschaft, die nach dem Jahr 2000 geboren wurden, inzwischen eher einsprachig in Standarddänisch statt bivarietär (Sønderjysk und Standarddänisch) aufwachsen, werden die Kinder der Minderheit immer noch bivarietär in Dänisch und zweisprachig mit Deutsch und Dänisch sozialisiert. Die Minderheit betont oft den hohen Stellenwert des Sønderjysk-Dialekts innerhalb der Minderheit. Sie ist sehr stolz darauf, als zukünftiger Träger des dänischen Dialekts angesehen zu werden (Pedersen 1992: 135) – eine Annahme, die daher rührt, dass die meisten dänischen Eltern, obwohl sie noch immer Sønderjysk sprechen, mit ihren Kindern zunehmend zu Standarddänisch als Muttersprache wechseln. In einigen Minderheitsfamilien geschieht dies jedoch auch, was die Zeitspanne der Ehre, Träger des dänischen Dialekts zu sein, verkürzen dürfte.
Die mehrsprachige Minderheit
Obwohl etliche Eltern Deutsch bzw. Dänisch als Muttersprache haben, erziehen sie ihre Kinder nicht zweisprachig. Simultane Zweisprachigkeit tritt in der Minderheit selten auf. Traditionell ist es Aufgabe der Minderheiteninstitutionen, bei den Kindern die Zweisprachigkeit aufzubauen. Die Kinder, deren Muttersprache Sønderjysk ist, erwerben Deutsch als Minderheitenzweitsprache in Kindergärten und Schulen. Gleichzeitig erwerben die deutschsprachigen Kinder hier Sønderjysk von den mundartsprechenden Kindern. Standarddänisch erwerben beide Gruppen über das Fach Dänisch in den Minderheitenschulen, wo sie sukzessive eine Mehrsprachigkeit ungeachtet von ihrer Muttersprache entwickeln.
Obwohl Standarddänisch noch immer nicht in großem Umfang als Muttersprache verwendet wird, wird es zu einem Kommunikationsmedium innerhalb der Minderheit. Bis vor kurzem galt es als eine Sprachform, die nicht zu einer deutschen, sondern zu einer dänischen Identität gehörte. Es wurde nur der dänische Dialekt Sønderjysk gesprochen. So hielten sich Minderheitenmitglieder an den Dialekt, wenn sie mit dialekt- oder standardsprechenden Mitgliedern der Mehrheit sprachen. Heute hat sich diese Sprachwahl geändert. Jetzt wechseln die Mitglieder der Minderheit zu Standarddänisch, wenn es in öffentlichen Mehrheitskontexten gesprochen wird, zum Beispiel bei Versammlungen, an denen die Minderheit und die Mehrheit teilnehmen, in der persönlichen Kommunikation oder in einer Arbeitsstelle in der Mehrheitsgesellschaft. Standarddänisch wird somit zur dritten Sprache der Minderheit. Dies kann als Ausdruck eines abnehmenden Glaubens an eine Übereinstimmung zwischen nationaler Zugehörigkeit und einer nationalen Standardsprache interpretiert werden.
Die Minderheit hat ein Kabarett namens Heimatmuseum, das alle zwei Jahre eine Vorstellung veranstaltet, bei der die Sprachsituation eine Rolle spielt. Im Jahr 2000 wurde ein Schauspieler gefragt, ob er seine Sprache gut genug beherrsche. Er antwortete mit “Ja, zumindest auf der Delegiertenversammlung vom Bund Deutscher Nordschleswiger“:
R: Aber du da, beherrschst du denn auch deine Sprache genug?
H: Aber sicher doch, ich spreche deutsch – wenigstens auf der Delegiertenversammlung. Da melde ich mich, stehe auf, stelle meine Frage auf Deutsch, setze mich dann wieder hin und diskutiere das Problem mit meinem Nachbarn – auf Sønderjysk.
Alle: Aber weshalb?
H: Weshalb? Weil man auf ‘ne Antwort doch gar nicht zu warten brauchst, denn irgend ein anwesender Lehrer hat sicherlich schon festgestellt, dass meine Fragestellung falsch war. Und dann fragt ein Pastor noch mal richtig, und das wird im Saal dann von der Versammlung geklärt. Als noch einmal: Deutsch im Stehen – Sønderjysk im Sitzen – Rigsdansk in der Firma. (Deutscher Volkskalender Nordschleswig 2004: 44)
Diese Satire veranschaulicht nicht nur die Verteilung und den Status der drei Sprachen, sondern spiegelt auch die Zugehörigkeit von Lehrern und Pastoren zu einer Gruppe von Menschen mit guten Deutschkenntnissen wider. Sie benutzen Deutsch bei ihrer Arbeit, und Deutsch ist für viele von ihnen die Muttersprache, weil sie in Deutschland geboren und ausgebildet wurden.
Code-Switching
Die