Der König veranlasste die Vereinigung der Akademie der Wissenschaften und der traditionsreichen Universität, nicht zuletzt um die Zwistigkeiten zwischen beiden Institutionen auszuräumen. Die Akademie selbst hatte 1823 neue Statuten und auch einen Vorlesungsbetrieb zugebilligt bekommen, der durch die Medizinisch-Praktische Lehranstalt von 1824 mit Promotionsrecht seit 1825[54] schnell den Charakter einer Universität aufwies. Im Jahre 1826 erließ der König ein Translokationsdekret und schon im November 1826 nahm die „Ludwig-Maximilians-Universität“ (Bezeichnung seit 1802) den Lehrbetrieb in München[55] auf. Abgeschlossen durch die Statutenrevision für Akademie und Universität von 1827 war nun auch in Bayern die Einheit von Forschung und Lehrbetrieb hergestellt worden. Gleichzeitig gewährte die Studienordnung von 1827, die erstmals für alle drei Landesuniversitäten gleichermaßen galt, völlige Studienfreiheit. Die Wiedereinführung der Fakultäten hatte bereits mit der Statutenrevision von 1814 eingesetzt. Im Jahre 1829 wurde offiziell die Fakultätsstruktur wieder etabliert, eine neue Staatswirtschaftliche Fakultät integriert und die freie Wahl von Rektor und Senat sowie zur Sichtbarmachung universitärer Freiheit die Verwendung der alten Siegel wieder vorgesehen. Eine partielle Revision dieser liberalen Anteile der ludovizischen Studiengesetzgebung erfolgte freilich nach der Julirevolution und dem Amtsantritt des Ministers Karl August von Abel durch die Statuten von 1838 und 1842. Zudem wurde das Amt des Ephors geschaffen, eines Professors, der die sittliche Aufsicht über die jungen Studenten ausüben sollte. Die Lyzeen[56] behielten unterdessen ihre Zwischenstellung zwischen Universität und Fachschule bei.[57]
b) Vorrevolutionäre Unruhen und Liberalisierungsansätze
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In München war es 1830 zu den „Weihnachtsunruhen“ gekommen. Am 3. April 1833 scheiterte der Frankfurter Wachensturm, an dem insbesondere Studenten der Würzburger Universität maßgeblich beteiligt waren. Das Münchener Ministerium verfolgte in Ansehung dieser Vorfälle fortan eine antiliberale Politik, die schließlich zur „vorgezogenen Revolution“ 1847 führte.[58] Aufgrund studentischer Unruhen wurde die Universität vorübergehend geschlossen, bis die Solidarisierung der Bürger mit den Studenten die Wiedereröffnung erzwang. Nach dem Ausbrechen der Revolution in Paris waren es außerdem die Studenten, die beim Münchener Zeughaus-Sturm am 4. März 1848 eine Eskalation des Konflikts verhinderten. Nach dem Rücktritt Ludwigs I. im März 1848 bildeten sich zahlreiche Verbindungen, die sich im Sommer zur Repräsentantenverfassung zusammenschlossen, um eine ständige Vertretung der Studentenschaft in den Hochschulorganen zu erreichen, eine Forderung, die auch im Studentenparlament vom Juni 1848 in Eisenach unter Vorsitz des Münchener Jura-Studenten Elias Lang vorgebracht wurde. Die Professoren gruppierten sich im September 1848 als „Versammlung deutscher Universitätslehrer zur Reform der deutschen Hochschulen“ in Jena und forderten eine Neugestaltung der Universitätsverfassung im Sinne größerer korporativer Autonomie und Lehrfreiheit. Die revolutionären Bemühungen der Studenten endeten indes mit der baldigen Auflösung der Repräsentanten-Versammlung. In Bayern bedeuteten die Unruhen von 1847/48 dennoch, auch wenn der neue König Maximilian II. kein neues Hochschulgesetz erließ, die Abkehr von der Abelschen Hochschulpolitik,[59] was zu einer partiellen Liberalisierung der Studienordnungen führte. Die endgültige Abschaffung der Sonderrolle der Philosophischen Fakultät erfolgte allerdings erst 1913. Damit gehörte Bayern zu den letzten deutschen Staaten, die das reformierte nördliche Modell nach dem Vorbild der preußischen Universitäten in Abkehr von den mittelalterlichen Studienstrukturen übernahmen.
c) Eintritt des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit in die deutsche Verfassungsgeschichte
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Im Siebzehner-Entwurf des deutschen Reichsgrundgesetzes vom 26. April 1848, vorgelegt von der kurz nach der Märzrevolution noch vom alten Frankfurter Bundestag einberufenen Verfassungskommission der „Siebzehn Männer des allgemeinen Vertrauens“, erscheint zum ersten Mal ein Grundrecht der Freiheit der Wissenschaft in der deutschen Verfassungsgeschichte und fand von dort aus Eingang in § 152 der Paulskirchenverfassung von 1849 („Die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei“). Die Wissenschaftsfreiheit war eng verknüpft mit der umstritteneren Forderung nach allgemeiner Freiheit des Bildungs- und Unterrichtswesens von – je nach Standpunkt – staatlicher und/oder kirchlicher Bevormundung, eine Gewährleistung, für die Art. 17 Verf. Belgien (1831) als Vorbild wirkte.[60] Die Aufnahme der Wissenschafts- und Lehrfreiheit in den Grundrechtskatalog der Frankfurter Reichsverfassung stellte vor allem eine Reaktion auf staatliche Unterdrückung der Geistesfreiheit durch die Restauration infolge der Karlsbader Beschlüsse dar.[61] Die Lehrfreiheit sollte gegen staatliche Frage-, Forschungs- und Publikationsverbote in Schutz genommen werden, wobei stets eine enge Verbindung zwischen der akademischen Freiheit und der allgemeinen Unterrichtsfreiheit angenommen wurde. Vermöge seiner Eigengesetzlichkeit sei der wissenschaftliche Lehrbetrieb der rechtlichen Normierung und Nachprüfung aus der Natur der Sache heraus entzogen. Darüber hinaus sollte mit § 152 RV 1849 – nach heute allerdings umstrittener Auffassung – an die Universitäts- und Wissenschaftskonzeption des deutschen Idealismus angeknüpft werden.[62] Unter den 71 bayerischen Vertretern im Frankfurter „Professorenparlament“ der Paulskirchenversammlung waren auch eine Reihe an Hochschulprofessoren, etwa der Orientalist Ph. Fallmerayer, der Mathematiker T v. Hermann, der Historiker J.N. Sepp und der Staatswissenschaftler W. Stahl.
1. Kapitel Grundlagen › I. Die Geschichte der Bayerischen Hochschulen › 5. Die Universität in der konstitutionellen Monarchie
5. Die Universität in der konstitutionellen Monarchie
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Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war vor allem durch den stetigen Aufstieg der Naturwissenschaften und die Zuwendung zur Berufs- und Lehrerausbildung geprägt, die organisatorische Reform trat hinter die Umwälzungen in der Wissenschaftsgeschichte zurück.[63] Die positiven (also empirischen Natur-)Wissenschaften erreichten eine erste Verselbstständigung mit der Teilung der Philosophischen Fakultäten in München (1865) und Würzburg (1873) in zwei Sektionen, deren naturwissenschaftliche aber erst 1937 zur Fakultät erhoben wurde. Insbesondere die Personalpolitik des an der Wissenschaftsförderung besonders interessierten Maximilians II.[64] und seines Beraters Wilhelm von Doenniges gab Anlass zum Streit. Der König wollte durch seine Berufungspolitik das Ansehen der bayerischen Wissenschaft heben. Dabei richtete er den Blick auch über die bayerischen Landesgrenzen hinaus und berief zahlreiche Professoren aus dem nördlichen Deutschland, die bisweilen despektierlich als „Nordlichter“ angefeindet und zum Teil wieder aus der bayerischen Hochschullandschaft verdrängt wurden.[65] Die 1958 als Teil der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gegründete Kommission für deutsche Geschichts- und Quellenforschung mit Leopold v. Ranke als erstem Präsidenten verfolgte ebenfalls das Ziel, als gesamtdeutsche Forschungseinrichtung zu wirken.
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Die wachsende Bedeutung des Studiums für die Berufswelt zeigte sich zwar auch schon in ersten Ansätzen einer Entwicklung der Universitäten zu „wissenschaftlichen Großbetrieben“. Der Hauptanteil der beruflichen Bildung fand aber abseits der Universitäten in verschiedenen Fachschulen mit durchaus wissenschaftlich fundierter Ausbildung statt, die später häufig in die Hochschulen eingegliedert wurden. Für die Forstwirtschaft bildete sich 1790 die Münchener Forstschule, deren Aufgaben seit 1803 die Landwirtschaftsschule Weihenstephan übernahm, bis 1843 die Aschaffenburger Forstschule als Zentralanstalt gegründet wurde.[66] Die Weihenstephaner Schule wurde 1895 zur Königlich Bayerischen Akademie für Landwirtschaft und Brauerei, 1919 zur Hochschule. Im Jahre 1827 entstand die Polytechnische Centralschule München für die technische Berufsbildung. Nach der Neugründung 1868[67] gelang der Aufstieg zur Technischen Hochschule, die 1900/02 das Promotionsrecht und die Rektoratsverfassung erhielt.[68] Auch der Veterinärschule[69] in München gelang der Anschluss an die klassischen Universitäten, zunächst 1890 durch Erhebung zur