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Die politische Bewegung der „Achtundsechziger“ unter maßgeblicher Beteiligung der Studentenschaft traf mit einem auch in den Leitungsgremien erkannten Reformbedarf der Hochschulen zusammen und setzte eine umfangreiche Gesetzgebungstätigkeit auf Bundes- und Landesebene in Gang, an deren Ende die weitgehende gesetzliche Regulierung des Hochschulrechts stand. Noch unter der Ägide der großen Koalition kam es zur Einführung hochschulrechtlicher Regelungs-, Finanzierungs- und Mitwirkungskompetenzen des Bundes im Wege der Verfassungsänderung.[111] Die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau und das auf seiner Grundlage erlassene Hochschulbauförderungsgesetz[112] lösten die Verwaltungsabkommen zur Förderung von Wissenschaft und Forschung aus den Jahren 1964 und 1968 ab. Außerdem erließ der Bund schon bald nach der Grundgesetzänderung Regelungen in Einzelfragen, nämlich das Graduiertenförderungsgesetz[113] und das Hochschulstatistikgesetz.[114] Das Inkrafttreten des Hochschulrahmengesetzes (HRG) verzögerte sich allerdings durch die Bundestagsauflösung 1972 und später durch Widerstände im Bundesrat noch bis in das Jahr 1976.[115] Der Freistaat Bayern erließ bereits 1973 ein eigenes Hochschulgesetz (BayHSchG)[116].
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Die politische Reformdiskussion der sechziger Jahre war vor allem geprägt durch Organisationsfragen. Eine Forderung der Studentenproteste bestand in der so genannten „Demokratisierung“ der Universität und dem Abbau angeblich „autoritärer“ Strukturen. Seitens Teilen der Studentenschaft konkret gefordert wurden etwa ein – von der Rechtsprechung mit Recht stets abgelehntes[117] – allgemeinpolitisches Mandat für die Studentenvertretung und vor allem die Einführung der „Gruppenuniversität“ mit Drittelparität in den Hochschulgremien, d.h. die gleichgewichtige Beteiligung von Professoren, Studenten und wissenschaftlichem Mittelbau an Entscheidungen der Selbstverwaltungsgremien.[118] Eine entscheidende Wende brachte erst die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Niedersächsischen Vorschaltgesetz im Jahre 1973 (Erstes Hochschulurteil), die weite Teile der organisationsrechtlichen Regelungen der paritätischen Gruppenuniversität für unvereinbar mit Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG erklärte.[119] Demnach hat die Gewähr des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zwar nicht das überlieferte Strukturmodell der deutschen Universität zum Inhalt, doch erlegt sie dem Gesetzgeber die Pflicht auf, auch die innere Hochschulorganisation in der Weise zu gestalten, dass dem Wissenschaftler der geschützte „Freiraum, der vor allem die auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen bei dem Auffinden von Erkenntnissen, ihrer Deutung und Weitergabe umfasst“[120], erhalten bleibt. Dies schließe zwar nicht den Organisationstypus der Gruppenuniversität aus, der besonderen Position der Hochschullehrer müsse aber angemessen Rechnung getragen werden. Für die Besetzung von Kollegialorganen muss danach den Professoren die Hälfte der Stimmen in Fragen der Lehre und das ausschlaggebende Gewicht in Fragen der Forschung und Berufung zukommen. Das spätere HRG hat dieser Forderung in seinen Regelungen zur inneren Entscheidungsfindung der Universitäten Rechnung getragen. Auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof knüpfte in einer Entscheidung aus dem Jahre 1977 hieran an[121] und erklärte den seinerzeitigen Art. 33 Abs. 3 BayHSchG für unvereinbar mit Art. 108 BV, da die Vorschrift unter Umständen nicht die Mehrheit der Hochschullehrer im Fachbereichsrat unabhängig von ihrer Wahlbeteiligung sicherstelle.
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Das HRG war ursprünglich geprägt von dem Bild einer Gesamthochschule (vgl. § 4 HRG 1976), ein Modell, das sich letztlich nicht durchsetzen konnte. In Bayern war es erst 1971 zur Einführung des Fachhochschulwesens auf breiter Ebene gekommen.[122] Neben den Fachhochschulen bestanden auch weiterhin die Kunsthochschulen bzw. wurden bestehende Einrichtungen zu solchen erhoben, und die am 1966 gegründete Hochschule für Fernsehen und Film in München.[123]
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Andere Hauptstreitpunkte der Hochschulreform zu Beginn der siebziger Jahre betrafen das Zulassungsrecht, für das die KMK in den Jahren 1968 und 1970 Regeln vereinbart hatte, wonach Härtegesichtspunkte, vorher erbrachte Leistungen und der Jahrgang Faktoren bei der Studentenauswahl bilden sollten. Art. 3, Art. 4 S. 1 BayHSchZulG[124] bestimmte, dass Studienbewerber, die ihren Wohnsitz im Freistaat Bayern haben und auch ihre Hochschulzugangsberechtigung in Bayern erworben hatten, bei der Vergabe von Studienplätzen bevorzugt zu behandeln seien, indem der Note ihrer Reifeprüfung bei der Erstellung der Ranglisten ein durch weitere Vorschriften festgelegter Wert hinzugerechnet wurde. Der Verfassungsgerichtshof hatte 1971 über eine dagegen gerichtete Popularklage zu entscheiden[125] und befand, dass die bayerische Regelung, die an den Wohnsitz anknüpfte, keine unzulässige Diskriminierung nach „Herkunft“ und „Heimat“ enthalte und auch nicht gegen Art. 128, Art. 118 Abs. 1, Art. 108 BV verstoße, da das Verfahren der Bewerberauswahl auf sachlichen Gesichtspunkten beruhe und die Veränderung der Bewerbungsprämissen für Landeskinder dem sozialen Ziel der Kostenminimierung für Studenten entspreche. Das Bundesverfassungsgericht kam indes gemessen an den Grundrechten des Grundgesetzes anlässlich eines Vorlagebeschlusses des VG München zu einer anderen Beurteilung.[126] Es stellte fest, dass die Einschränkung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG nur verfassungsmäßig sei, wenn sie in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen und unter Erschöpfung vorhandener Kapazitäten erfolge und die Auswahl der Bewerber nach sachgerechten Kriterien vorgenommen werde.[127] Im Gegensatz zum Verfassungsgerichtshof verneinte der Senat indes die Sachgerechtigkeit der „Landeskinder-Regelung“ mit Verweis auf die besondere Bedeutung berufszugangsbezogener Gleichbehandlung im Rahmen der Zulassungsauswahl. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts verstärkte das Bedürfnis nach einer bundesweit einheitlichen Regelung des Hochschulzugangs.[128] Dem entsprach die Einigung der Länder über die Einrichtung der Zentralen Vergabestelle für Studienplätze (ZVS) im Jahre 1972.[129] Der dort zunächst angewendete pauschale Notenvergleich wurde indes vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof 1975 für unvereinbar mit Art. 118 BV erklärt,[130] nachdem das Bundesverfassungsgericht die Bonus-Malus-Regelung im Vorjahr noch hatte bestehen lassen.[131] Ein Antrag Nordrhein-Westfalens und Hamburgs auf Erlass einer einstweiligen Anordnung der Durchführung des Staatsvertrags vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte an der Zulässigkeit,[132] bereits zuvor waren die Länder aber mit einem entsprechenden Antrag beim Bundesverwaltungsgericht durchgedrungen.[133] In einer weiteren Entscheidung, in der sich der Verfassungsgerichtshof mit der Universitätszulassung von Absolventen der Rechtspflegerschule zu befassen hatte, zeigte sich freilich, dass durchaus relevante Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers für das Zulassungsrecht verblieben.[134] Nach der langwierigen Auseinandersetzung erfolgte schließlich eine Regelung der einschlägigen Zulassungsfragen, die durch die Rechtsprechung zu bestehenden Länderabkommen bereits vorgezeichnet war, in den §§ 30 ff. HRG.[135]
d) Die Entwicklung der bayerischen Universitäten in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts
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Im Jahr 1985 erfolgte die erste größere Überarbeitung des HRG, die nach dem Regierungswechsel von 1982 vor allem von der Ernüchterung über den Misserfolg der 1976 umgesetzten Reformbemühungen geprägt war.[136] Dabei wurde zunächst die Gesamthochschule als Regelform gestrichen, eine Entwicklung, die Bayern bereits mit der Umbenennung der Bamberger und Eichstätter Gesamthochschulen in Universitäten vorweggenommen hatte. Außerdem wurden die Möglichkeiten zur Einwerbung von Drittmitteln erweitert, um der Universität alternative Finanzierungsquellen zu erschließen. Darüber hinaus brachte die Novellierung die Gleichstellungsforderung, die in Bayern mit der Einführung der Frauenbeauftragten aufgegriffen wurde. Das Genehmigungserfordernis für Studienordnungen fiel, auch wenn die Skepsis über die neue Freiheitsgewährung in mehreren relativierenden Vorschriften ihren Ausdruck fand. Im Zulassungsrecht wurden Auswahlgespräche als mögliches Zulassungskriterium eingeführt. Die 1988 erfolgte Umsetzung des Rahmenrechts durch den Freistaat[137] orientierte sich am bundesrechtlich zwingend vorgegebenen Änderungsbedarf. Das Studienzulassungsrecht bildet weiterhin einen Brennpunkt der juristischen Auseinandersetzungen im Hochschulbereich. Der Verfassungsgerichtshof hatte sich unter anderem mit der Frage der Erschwerung des Zweitstudiums zu befassen[138] und kam zu dem Ergebnis, dass diese in der Form des Art. 58 Abs. 5 BayHSchG mit dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot und dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit vereinbar sei, da sie einen verhältnismäßigen Eingriff zum Zwecke