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Vom Träumen und Aufwachen


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und Lernbiografie, d. h. mit meinem Lebensalter, verbunden als mit dem Ereignis ›Mauerfall‹.

      Die zweite Erfahrung ist für mich in dieser Form neu und sehr berührend und bereichernd. Im Austausch mit anderen Teilnehmern zu erfahren, wie sich – am Beispiel von identitätsstiftenden Ressourcen – der Biografiebruch der im Osten geborenen und aufgewachsenen Menschen anfühlt. Der Workshop öffnet genau dafür einen besonderen Raum des tiefen Austausches zwischen Ost und West, der sich für mich dann auch in den Pausen danach fortsetzt.«

      Eine Schulpsychologin aus Jena berichtet über ihre Erfahrungen:

      »Ich erlebe den Workshop als einen Raum der Begegnung.

      Barbara begrüßt die heterogene Gruppe in einer behutsamen Distanz, die Wertschätzung für jeden einzelnen Teilnehmer ausdrückt, egal, wo er herkommt und wie alt er sein mag.

      Im Laufe des Workshops entwickelt sich durch die Beschäftigung mit den eigenen Ressourcen in Partnergesprächen und das Gestalten von Bildern Nähe, Lebendigkeit und Intimität. Das Greifen zum Stift mit der nichtdominanten Hand erlebe ich als eine von vielen Musterunterbrechungen in diesem Rahmen.«

      Die Sichtweise einer Schweizer Teilnehmerin ist für mich eine besondere Erfahrung: Durch sie kommt eine wichtige neue Dimension für mich hinzu, der Blick von außen, aus einer anderen Kultur, einer anderen Wirklichkeit, nicht nur aus der Perspektive von West- oder Ostdeutschland. Ich komme dadurch raus aus der »Badewanne des Selbstmitleids« und aus dem Vergleich des (wenn man so will) größeren Leides zwischen Ost und West:

      »Die ressourcenorientierte Ausrichtung des Workshops empfinde ich als eine wohltuende Alternative zum leidig bekannten Problemblick. Die Anerkennung des Guten fehlt in meiner Wahrnehmung im Osten bis heute.

      Die Frage nach den identitätsstiftenden Ressourcen vor und nach dem Mauerbau fällt bei mir wie ein Samen auf fruchtbaren Boden, und ich bin überzeugt, dass wir mehr davon brauchen.«

       Gefundene Kraftquellen – auf der Tagung

      Mein Workshop ist eingebettet in das Gesamtgeschehen der Tagung »30 Jahre Mauerfall. Die Freiheit, die ich meine … Zwischen Identität und Wandel – auf Spurensuche«.

      Es sind berührende und bewegende Tage, die die Ideengeberinnen und Organisatorinnen, die Veranstalter, die zahlreichen Helfer, die Besucher und die Referenten miteinander erleben dürfen. Der gute Geist der Tagung zeigt sich überall, angefangen mit der sorgfältigen Wahl des Ortes (Dom von Naumburg!) und des Datums – ja, die Tagung findet tatsächlich auf den Tag genau 30 Jahre nach dem Mauerfall statt! In allen Vorträgen, Gesprächsforen, Workshops und in dem künstlerischen Rahmen zeigt sich der gute Geist in Impulsen zu Brückenbau und Begegnung, zu respektvollem Dialog, zur Kultur des Zuhörens und der Annäherung zwischen Ost und West, dem »Schauen durch die Augen des anderen«, wie wir im NIG sagen. Gelebt wird dieser gute Geist auch in der Tatsache, dass Berufsverbände, die normalerweise ihre jeweilig eigenen Interessen und Profile vertreten, auf dieser Tagung gemeinsam als Veranstalter und Förderer auftreten.

      Diese Tagung ist für mich ein positives Wandlungsbeispiel für die von Joachim Gauck angesprochenen langsamen »Prägungen der Seele und Wandlungen der Mentalität« und gibt mir Hoffnung, wenn wir nun im Jahr 2020 ein weiteres Jubiläum feiern dürfen: 30 Jahre deutsche Einheit.

       Dank

      Mein herzlicher Dank geht an die »geistigen Mütter« und Organisatorinnen der Tagung in Naumburg: Beate Jaquet, Madlen Tamm, Christine Ziepert.

      Ebenfalls herzlich bedanken möchte ich mich bei meinen beiden Kollegen Kathrin Mann und Wolf Maurer, die uns an ihren Erfahrungen in meinem Workshop haben teilnehmen lassen.

       Literatur

      de Shazer, S. (2002): Der Dreh. Überraschende Wendungen und Lösungen in der Kurzzeittherapie. Heidelberg (Carl-Auer), 14. Aufl. 2019.

      »Gauck freut sich über ›Fridays for Future‹«. Süddeutsche Zeitung, 29.9.2019.

      Hüther, G. (2018): Würde. Was uns stark macht – als Einzelne und als Gesellschaft. München (Knaus).

      van Kampenhout, D. (2017): Die Tränen der Ahnen. Opfer und Täter in der kollektiven Seele. Heidelberg (Carl-Auer), 3. Aufl. 2018.

      Madelung, E. u. B. lnnecken (2003): Im Bilde sein. Vom kreativen Umgang mit Aufstellungen in Einzeltherapie, Beratung, Gruppen und Selbsthilfe. Heidelberg (Carl-Auer), 4. Aufl. 2015.

      Marks, S. (2019): Scham – die tabuisierte Emotion. Ostfildern (Patmos).

      Proust, M. (2017): Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Berlin (Suhrkamp).

      14Das systemische Institut Naumburg (SINN) bietet eine breite Palette systemischer Fortbildungen und Seminare an.

      15Das Neuro-Imaginative Gestalten (NIG®) ist eine kreative Aufstellungsmethode, die sich durch einen Brückenbau zwischen systemisch-konstruktivistischen und systemischphänomenologischen Vorgehensweisen auszeichnet.

      16In dieser und der folgenden Passage bis zum Ende des Beitrags wird der besseren Lesbarkeit halber meist nur das männliche grammatische Geschlecht verwendet; in diesen Fällen sind das weibliche grammatische Geschlecht sowie alle anderen denkbaren grammatischen Geschlechter aber immer mit eingeschlossen.

       Scham – die tabuisierte Emotion17

       Stephan Marks

      Vor genau 30 Jahren (also 1989) saß ich zufällig mit vielen anderen in Berlin auf der Mauer und habe auf sie eingehämmert. Ich kam gerade frisch aus den USA zurück und war noch im Jetlag. Ich hatte fünf Jahre in den USA gelebt und war zurück nach Deutschland gekommen mit der Idee, Wege zu finden, wie wir konstruktiv mit unserer deutschen Geschichte umgehen können. Ich hatte diese deutsche Geschichte immer als etwas Drückendes, Schweres erlebt.

       Warum Hitler folgen? – Ein Forschungsprojekt

      Diese Idee führte mich schließlich zu einem Forschungsprojekt, das ich 1998 in Freiburg im Breisgau gründete. Wir, zehn Forscher und Forscherinnen, führten Interviews mit Nazi-Anhängern, alten Menschen, die Hitler damals »toll« fanden. Eine Bevölkerungsgruppe, die bis heute in der Forschung fast völlig übergangen wurde. Ich wollte endlich verstehen, warum die Menschen Hitler damals folgten. Die Fachliteratur konnte mir bis dahin keine befriedigende Antwort geben.

      Es gibt ja sehr viel Forschung über Adolf Hitler. Doch um zu verstehen, warum sich so viele Menschen für Hitler begeisterten, finde ich, bringt es wenig, Hitler noch detaillierter zu erforschen, sondern wir müssen, ganz einfach, die Anhänger befragen. Die Durchführung dieses Projekts stieß nicht nur auf Zustimmung. Manche Leute fanden das gar nicht so gut. Einige Kollegen im Hochschulumfeld haben den Kontakt mit mir abgebrochen: »Wenn Sie mit diesen alten Nazis reden, müssen Sie ja selber Nazi sein.«

      Wir haben es trotzdem gemacht (oder: jetzt erst recht). Aber im Lauf dieser Interviews bemerkten wir plötzlich, dass wir uns schämen. Merkwürdig: Wieso schämen wir uns, wenn wir Nazi-Anhänger interviewen? Erst später habe ich es verstanden; wir interpretierten diesen Vorgang dann als Gegenübertragung. Als zum ersten Mal der Begriff »Scham« auftauchte, habe ich spontan in die Hände geklatscht, weil mir sofort klar war, dass wir jetzt endlich einen Schlüssel zum Verständnis des Nationalsozialismus gefunden hatten.

      Daraufhin