Ulrich Paul Wenzel

Am Ende Der Dämmerung


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sonore Männerstimme, akzeptables Französisch mit deutschem Akzent. Sie klappte den Schminkspiegel zu, wandte sich zur Seite und blickte in ein blasses, glattrasiertes Gesicht, in dem zwei hellblaue Augen unsicher blinzelten.

      »Aber gerne.« Ihre routinierte Antwort war mehr ein Reflex, denn ein Wunsch. Deswegen bin ich hier, sagte sie sich und setzte ein Lächeln auf. Der Deutsche stellte sein Rotweinglas auf den Tresen, rutschte auf den Barhocker und musterte sie. Die kleinen Falten an den äußeren Augenpartien und der Nasenwurzel deuteten an, dass er doch nicht mehr ganz so jung war, wie sie im ersten Moment angenommen hatte. Sein scharf gezogener Seitenscheitel, der sein dunkelblondes Haar teilte, wie die Seiten eines Buches, hatte etwas Bedrohliches.

      »Vielen Dank, Mademoiselle«, begann er und nestelte mit einer Hand an seiner dunkelblauen Seidenkrawatte herum. »Sie sind mir sofort aufgefallen, als Sie das Restaurant betraten.«

      »Ach, wirklich? Vielen Dank für das Kompliment.«

      In Zivil, wie die meisten hier. Ein höheres Tier, überlegte sie. Die unteren Ränge der Deutschen, so erfuhr sie vor ein paar Wochen, mussten auch in der Freizeit Uniformen tragen.

      »Darf ich mich vorstellen, Mademoiselle? Mein Name ist Stading, Werner Stading.«

      »Angenehm. Chantal Verhoeven.«

      Stading hob die Augenbrauen. »Sie sind Holländerin?«

      »Wie man's nimmt. Ich bin in den Niederlanden geboren und aufgewachsen. Mein Vater stammt aus Amersfoort, wenn Ihnen das etwas sagt.«

      »Amersfoort?« Stadings Augen begannen urplötzlich zu leuchten. »Aber natürlich! Ich kann es kaum glauben. Nicht einmal hundert Kilometer von meiner Heimat entfernt! Ich komme nämlich aus Kleve. Müssten Sie auch kennen. Direkt an der Grenze. Mit dem Fahrrad eine halbe Stunde. Wir können uns übrigens gerne auch auf Holländisch unterhalten.«

      Chantal erschrak. Daran hatten sie nicht gedacht! Ihre holländische Legende hatten sie gewählt, weil ihr Französisch sehr gut, aber nicht akzentfrei war und ihre deutsche Herkunft größere Probleme aufwerfen könnte. Jetzt schien gerade diese Legende zum Problem zu werden, denn sie sprach kein Wort Holländisch!

      »Oh, ich habe Holländisch fast verlernt«, entgegnete sie betont ruhig und hoffte, dass er ihre Verunsicherung und ihr rasendes Herz nicht registrierte. »Ich habe in Holland nur meine ersten Lebensjahre verbracht und alle Brücken in meine Heimat abgebrochen, als meine französische Mutter meinen Vater verließ und mit mir nach Bourges zog. Wir müssen leider beim Französisch bleiben, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

      »Nein, natürlich nicht«, beeilte sich Stading zu entgegnen, »das verstehe ich vollkommen. Entschuldigen Sie bitte, ich hätte gar nicht davon anfangen sollen.«

      »Ach was, keine Ursache. Sie können ja nichts dafür. Mein Name und mein Akzent werfen manchmal Fragen auf, daran habe ich mich schon gewöhnt. Ihr Französisch ist übrigens ausgesprochen gut.«

      »Oh, vielen Dank.« Stading wirkte geschmeichelt. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken bestellen?«, fragte er nach einer Pause und einem knappen Blick auf ihr Glas Perrier. »Einen Wein oder vielleicht ein Glas Champagner?«

      »Gerne. Gegen ein Glas Weißwein hätte ich nichts einzuwenden. Der Hauswein ist übrigens her-vorragend.«

      Stading nickte, suchte den Blickkontakt zu einem der Kellner, der sofort erschien und die Bestellung aufnahm.

      »Was führt Sie in dieses Restaurant, Mademoiselle? Ich meine, Sie sind hier ja nicht gerade von Freunden umgeben.« Ein angedeutetes Grinsen huschte auf sein Gesicht.

      »Wissen Sie, ich kenne den Besitzer Monsieur Lacroix ganz gut und seit mein Mann gefallen ist, bringt es mich hier auf andere Gedanken.«

      »Oh, das tut mir leid, Mademoiselle Verhoeven, ich meine das mit ihrem Mann. Es sind wirklich keine schönen Zeiten.« Sichtlich verlegen nippte Stading an seinem Rotweinglas.

      Nachdem der Kellner den Wein gebracht hatte, erzählte Chantal von sich. Ihre Legende, die sie zusammen mit Florence und Bernard entworfen hatte, war ihr schon in Fleisch und Blut übergegangen. Der Deutsche hörte interessiert zu.

      »Ein wirklich interessanter Lebensweg«, bemerkte er, nachdem Chantal geendet hatte, »da kann ich kaum mithalten.«

      Er zog eine Packung Zigaretten aus der Tasche seines Jacketts.

      »Rauchen Sie?«

      »Nein, danke.«

      »Aber ich darf doch?«

      Chantal nickte auffordernd. Stading fischte eine Zigarette aus der Packung und zündete sie sich an. Dann legte er den Kopf in den Nacken, während er den ersten Rauch gegen die Decke blies.

      »Ich weiß nicht, wie Sie zu der Besatzung stehen«, begann er zögernd, während er nachdenklich auf seine glimmende Zigarette blickte. as mich angeht, muss ich sagen, dass ich mich um diesen Einsatz in Frankreich nicht gedrängelt habe. Im Gegenteil, ich verabscheue das alles, was hier passiert.« Chantal fragte sich, warum er ihr das erzählte? War er der einzige Unschuldige unter den vielen Boches hier in Frankreich? Wollte er ihr schmeicheln?

      »Ich bin aufgrund meiner Französischkenntnisse hier in Paris gelandet«, fuhr Stading fort, »und nicht in Warschau oder noch weiter im Osten. Insofern hatte ich enormes Glück gehabt.« Er musterte sie unsicher und trank einen Schluck von seinem Rotwein.

      »Und trotzdem sehne ich den Tag herbei, an dem ich Paris wieder verlassen kann.«

      Ihr fragender Blick veranlasste ihn, ein wenig auszuholen und von seinem Leben zu erzählen. Von seinem beschaulichen, aber wohl langweiligen Heimatort Kleve, den er auch mit 22 Jahren in Richtung Düsseldorf verlassen hatte, von seiner Frau, die er dort kennenlernte und die vor knapp zwei Jahren mit einem anderen Mann durchgebrannt war und von seinen Eltern, die ihn in eine Offizierskarriere gedrängt hatten, obwohl er viel lieber Tierarzt geworden wäre.

      »Aber hier in Paris geht es Ihnen doch gut«, bemerkte Chantal. »Theater, Kinos, Restaurants. Im Gegensatz zur Pariser Bevölkerung, die sich kaum noch etwas leisten kann, mangelt es Ihnen doch an nichts, oder?«

      Stading hustete und drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus.

      »Das ist richtig und ich will auch gar nicht leugnen, dass man hier als Deutscher sehr gut über die Runden kommen kann, aber es ist für mich eine befremdliche Situation, vielleicht gerade deswegen. Diese irreale Konstellation, da brauchen wir uns nichts vorzumachen, schadet letztendlich allen, den Franzosen ebenso wie den Deutschen.«

      »Da kann Ihnen nur zustimmen«, sagte Chantal, überrascht über die Offenheit ihres Gegenübers. Nachdenklich fuhr sie mit dem Zeigefinger den Rand ihres Weinglases ab. Sie war irritiert. Dieser Mann schien kein Fall für sie zu sein. Sie hatte sich auf die typische Besatzerattitüde eingestellt, der sie in den letzten Wochen ständig ausgesetzt war. Den zur Schau gestellten Chauvinismus, die Selbstherrlichkeit, mit der die Boches die Besetzung Frankreichs zu rechtfertigen suchten. Arrogant und herablassend. Sie musste unwillkürlich an ihren Vater denken. An die Feier zu seinem fünfzigsten Geburtstag. Der Abend hatte nachhaltige Spuren bei ihr hinterlassen und dafür gesorgt, dass das schon zuvor äußerst angespanntes Verhältnis zu ihren Eltern an diesem Tag vollkommen zerbrach. Noch heute hörte sie ihren Vater über die Juden poltern. In seinen Augen waren es alles Verschwörer, eine das deutsche Volk bedrohende Rasse, die es galt, vom deutschen Boden zu eliminieren. Das war sein Credo, dafür hatte er sich dieser Bewegung verschrieben. Der Eintritt in die NSDAP, noch vor der Machtübernahme, wie er niemals vergaß zu betonen, war sein erster Schritt, der sie nachdenklich machte. Es war der Startschuss zu einer stetig aufwärts führenden Karriere im braunen Reich des verhinderten Kunstmalers aus Niederösterreich. Am Ende hatte ihr Vater eine angesehene Position in der Dienststelle Ribbentrop inne. Als er auf der Feier seinen Dienstherren abschätzig als arroganten, nicht besonders intelligenten Sekthändler bezeichnete und gleichzeitig mit stolzgeschwellter Brust Fotos herumreichte, die ihn Seite an Seite mit dem neuen Reichsaußenminister zeigten, konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten und musste den Raum verlassen. Dabei