Leo Gold

Gottes kleiner Partner


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und beruflichen Stationen. Auch fügte er an, dass er verheiratet sei und seit kurzem mit seiner Frau in der Kleinstadt lebe, wo auch Frau Eichhorn wohne.

      Anhand eines Schaubilds erläuterte Julius die Ziele, die er mit der Abteilung in den nächsten sechs Monaten erreichen wolle. Nach seinen Ausführungen war das Eis zwischen Herrn Liebig und Herrn Schuhmacher auf der einen und ihm auf der anderen Seite zwar noch nicht gebrochen. Aber zumindest hatte sich Frau Maus Wohlwollen gegenüber Julius vergrößert. Denn die von ihm dargestellte, neue Aufgabenverteilung war für sie vorteilhafter als die vorherige. An Herrn Liebig und Herrn Molitor gewandt sagte Julius:

      „Das ist lediglich eine erste Skizze für unsere künftige Arbeit. Aber ich wollte bewusst, bevor ich von ihnen höre, wie sie bislang gearbeitet haben und wer, was gemacht hat, ihnen mein Konzept darlegen. Sobald ich mich mit den Unterlagen intensiv vertraut gemacht habe und weiß, wie bis dato der Auftrag der Bauabteilung umgesetzt wurde, werden sich dann automatisch meine Vorstellungen der Praxis annähern.“

      Die Miene von Herrn Schuhmacher hellte sich auf. Er sah Chancen, seine alten Freiheiten auch in die Zeit unter Julius Führung hinüberretten zu können.

      „So, jetzt habe ich genug geredet. Frau Maus, sind sie so freundlich und stellen sich vor. Und bitte sagen sie auch, welche Erwartungen sie an die neue Zusammenarbeit in der Abteilung haben.“

      Frau Maus erzählte mehr von ihrer Familie als von sich selbst. Mit fünf Enkeln, zwei Töchtern und ihrem Ehemann lebe sie in einem Haus am Rande der Bischofsstadt. In ihrer Freizeit betreibe sie eine Schmetterlingszucht. Offen sprach sie darüber, dass sie hoffe, Julius neues Konzept würde eins zu eins umgesetzt werden.

      Wie Julius trennte Herr Liebig gern Privates von Beruflichem. Facettenreich und dabei die Zeit vergessend schilderte er seine Tätigkeiten im Verband. Frau Maus und Herr Schuhmacher kannten diese liebenswerte Grille.

      „Entschuldigen sie Herr Liebig, dass ich sie unterbreche“, sagte Julius, „aber wegen der vorangeschrittenen Zeit, Herr Schuhmacher möchte sich auch noch vorstellen, bitte ich sie –.“

      „Pardon“, sagte Herr Liebig, ehe Julius seinen Satz zu Ende bringen konnte, „manchmal werd ich weitschweifend“, er lächelte verschmitzt, rückte seine Brille zurecht und sagte: „Dann geb ich das Wort jetzt an Herrn Schuhmacher.“

      Herr Schuhmacher trug Jeans und ein sportliches Oberhemd. Sein Schnurrbart wucherte in viele Richtungen. Und sein Übergewicht unterschied ihn im Vergleich zu seinen anderen Merkmalen am deutlichsten von seinen Kollegen.

      „Als ich meine Ausbildung zum Bauzeichner und meinen Wehrdienst absolviert hatte, hab ich als Steward auf einem Kreuzfahrtschiff gearbeitet.“

      Einige Erinnerungsstücke seiner Weltentdeckung hatte Julius bei seinem Rundgang mit Direktor Saalfeld in Herrn Schuhmachers Büro gesehen. Dort hing eine Weltkarte an der gläsernen Wand, ein hölzernes Schiffsmodell zierte seinen Schreibtisch und in einer Ecke seines Büros lag eine ausgestopfte Wasserschildkröte.

      „Meine Frau hat mein Vagabundendasein beendet. Wir bekamen zwei Kinder, zogen sie auf und freuen uns, dass sie wie mein Vater bei der Polizei arbeiten. Ich selbst wollte nie zur Polizei gehen. Nur fürs Schießen hab ich mich immer schon interessiert. Seit drei Jahren leite ich als Vorsitzender den Sportschützenverband. Manche Mitglieder sagen zu mir sogar: ‚Herr Präsident‘.“

      Seine persönliche Vorstellung beendet formulierte er in wenigen Sätzen die Erwartungen für die künftige Kooperation in der Abteilung:

      „Ich wünsche mir, dass sich die interne Kommunikation verbessert. Oft hat es unter ihrem Vorgänger Herrn Henrich Probleme gegeben, weil er meist nur per E-Mail Arbeitsaufträge verteilt hat und wir dann sehen mussten, wie wir sie abarbeiten.“

      Herr Liebig hob die Augenbrauen, während Herr Schuhmacher fortfuhr:

      „Er hat uns nie den Zusammenhang der Aufgaben erzählt. Und ohne dieses Wissen haben wir dann Fehler gemacht, über die er sich ärgerte. Ich fänd es gut, wenn ein wöchentliches Dienstgespräch eingeführt würde, wo sie mit uns über alle wichtigen Vorgänge sprechen und wir dann gemeinsam überlegen, wie die Aufgaben verteilt werden. Frau Maus hat Recht, dass es auch Unstimmigkeiten gab, wer, für was in der Abteilung zuständig ist. Vielleicht könnten wir an einem Klausurtag unsere Stellenbeschreibungen aufeinander abstimmen. Das sind die Erwartungen, die mir einfallen. Die Kommunikation muss besser werden.“

      Das sollte fürs erste genügen. Julius bedankte sich bei Frau Maus, Herrn Liebig und Herrn Schuhmacher für deren Offenheit und versicherte ihnen, dass er ihre Erwartungen und Anregungen bei der Neukonzeption der Abteilung berücksichtigen werde.

      Paarweise verließen sie den Konferenzraum. Frau Maus und Herr Schuhmacher holten einen Servierwagen, mit dem sie das Geschirr, die Kaffee- und Teekanne, die kleinen Flaschen und die Reste von Obst, Gebäck und Teilchen in die Küche brachten. Derweil liefen Julius und Herr Liebig ins zehnte Stockwerk zurück.

      Nur noch einen Termin und Julius hatte das Ende seines ersten Arbeitstages erreicht. Er fuhr den Computer hoch und übertrug seine handschriftlichen Notizen aus dem Gespräch in eine Datei. Morgen wollte er weiter an der Neustrukturierung der Abteilung arbeiten.

      Beiläufig sah er, dass auf seinem Anrufbeantworter eine neue Nachricht gespeichert war. Ein Licht blinkte rot. Er hörte die Mailbox ab. Es war Rosas Stimme. Er hörte gar nicht genau hin, was sie ihm sagte. Ihr Tonfall war freundlich, aufmunternd, zärtlich. Und als er am Ende von Rosas Nachricht: „Ich freu mich auf heut Abend“ hörte, wusste er nicht, wie er die Nachricht ein zweites Mal anhören könne. Vielleicht hatte ihm Rosa auch eine E-Mail geschrieben. Er öffnete zunächst das Verbands-E-Mail-Postfach, wo er 24 neue E-Mails von Direktor Saalfeld, Pfarrer Schatz und Herrn Molitor fand, aber keine von Rosa. Auch sein privates E-Mail-Postfach enthielt keine Nachricht von Rosa. So begann er, die beruflichen E-Mails zu öffnen. Da klopfte Herr Wardorf an die Tür.

      Wie bei Freunden, die sich hauptberuflich mit Computern und deren Programmierung beschäftigten, schätzte er Herrn Wardorfs korrektes Auftreten und seine faktenorientierten Aussagen. Er setzte sich auf einen Stuhl neben ihn vor den Computer und arbeitete mit ihm eine Checkliste ab, wie er es mit jedem neuen Mitarbeiter tat. Da Julius mit den installierten Programmen schon bei Schulz & Adler gearbeitet hatte, war ihm vieles vertraut. Nur einige Besonderheiten musste ihm Herr Wardorf näher erklären. Auch die Funktionen des Telefons erläuterte Herr Wardorf.

      Sodann überreichte er Julius ein Smartphone, auf dem bereits alle relevanten Nummern des Verbands gespeichert waren.

      „Sie werden ihren Spaß damit auch privat haben“, sagte Herr Wardorf, der in Smartphones vernarrt zu sein schien. Während er Julius auf verschiedene Funktionen hinwies, dachte Julius daran, welchen Einfluss das Smartphone auf sein Privatleben haben könne. Gefühlsmäßig spürte er eine Abneigung gegen das Gerät. Hinter der vermeintlichen Großzügigkeit, es auch privat nutzen zu dürfen, sah er die ständige Erreichbarkeit lauern.

      Nachdem Herr Wardorf das Büro verlassen hatte, überlegte Julius, ob er noch die E-Mails bearbeiten solle. Aber morgen war auch noch ein Tag. Später als 18 Uhr wollte er das Büro nicht verlassen. Bis er zu Hause war, dauerte es eine weitere Stunde. Und Rosa wartete sicher schon, was er Neues zu erzählen habe.

      Aus dem Zug probierte Julius, Rosa anzurufen. Jeden weiteren Kilometer, den er sich von der Bischofsstadt entfernte, verbesserte sich seine Stimmung. Zügig lief er vom Bahnhof nach Hause, wo er sich im Wohnzimmer auf einen Sessel fallen ließ. Das Haus war ruhig. So ruhig, dass er seinen Herzschlag hörte. Er bemühte sich, in zeitlicher Reihenfolge seinen ersten Arbeitstag Revue passieren zu lassen. Es gelang ihm nicht. Immer wieder durchkreuzten Gedanken seinen Plan, und er musste sich erneut daran erinnern, an welcher Stelle er abgelenkt worden war. Bis er ein Zen-Meister werden würde, fähig, Gewalt über seine Gedanken zu haben, so dass er sie letztlich überwinden und den Punkt erreichen könne, an dem er nichts mehr zu denken brauche, dabei aber lebte, in der Mitte der Gegenwart, bis dahin hieß es: üben, üben, üben.

      Die Stille im Haus wurde durch Rosas Haustürschlüssel, als sie ihn ins Schloss steckte und umdrehte, beendet.