Leo Gold

Gottes kleiner Partner


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länger mochte er nicht im Verband verbringen. Im Büro packte er seine Tasche, schnappte den Mantel und rannte, damit er seinen Zug erwischte, der nur stündlich fuhr.

      Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich nach der Tagesschau an seinen Schreibtisch zu setzen und die E-Mails zu beantworten, weil er sich im Zug nicht hatte dazu aufraffen können. Rosa traf sich mit einer Freundin, weshalb seine Überwindung, von zu Hause aus zu arbeiten, nicht noch größer war. Das gehöre bei einem beruflichen Neuanfang einfach dazu, dachte er sich. Doch sein innerer Schweinehund bleckte die Zähne.

      Am kommenden Morgen, es war frühlingshaft warm, wartete Julius, wie an den zwei vorhergehenden Tagen, am Bahngleis auf den Zug. Er schaute mal in die eine, mal in die andere Richtung. Plötzlich kreuzte sich sein Blick mit dem von Frau Eichhorn. Sie lief gerade die Treppen hinauf, die die Unterführung mit dem Bahngleis verbanden. Es wäre unfreundlich gewesen, wenn er jetzt so getan hätte, als habe er sie nicht gesehen. Er ging Frau Eichhorn entgegen.

      Sie unterhielten sich, bis der Zug aus der Großstadt einfuhr, stiegen hintereinander in ihn ein und setzten sich schräg gegenüber. Während sich Frau Eichhorn in ihre Zeitung vertiefte, drückte Julius seine Kopfhörer in die Ohren und hörte Bob Dylan. Erst in der Nähe der Bischofsstadt, nachdem Frau Eichhorn ihre Zeitung wieder zusammengefaltet hatte, unterhielten sie sich wieder.

      Das Fenster in Julius Arbeitszimmer war von der Putzfrau gekippt worden. Im Unterschied zu den meisten Kollegen, die ihre Bürotür offen ließen, wenn sie darin arbeiteten, und sie schlossen, wenn sie es verließen, bevorzugte es Julius umgekehrt.

      Er schloss das Fenster und widmete sich den E-Mails. Dabei fiel ihm das Ereignis des Untergangs der Bohrplattform Deepwater Horizon ein. Wie das Öl, das unaufhörlich in den Golf von Mexiko sprudelte und anfangs nicht zu stoppen war, egal was sich die Ingenieure auch hatten einfallen lassen, so unversiegbar kam ihm dieser E-Mail-Strom vor.

      Frau Maus rief ihn kurz vor neun Uhr an und fragte, ob er an den Termin mit Direktor Saalfeld und Pfarrer Schatz denke. Er bedankte sich für den Hinweis, wunderte sich allerdings, warum sie ihn gestern nicht an seine Termine mit den Sektionsleitern erinnert hatte. Vermutlich kümmere sie sich nur um die wichtigen Termine, erklärte er es sich.

      Im Vorzimmer von Direktor Saalfeld empfing ihn Frau Wolkow und rief ihren Chef an:

      „Guten Morgen, Dr. Zey! Treten sie ein!“, kam Direktor Saalfeld aus dem Arbeitszimmer gelaufen.

      „Guten Morgen, Direktor Saalfeld.“

      Pfarrer Schatz war inzwischen auch aufgestanden und klagte:

      „Ich muss mir die Beine vertreten. Diese ständige Sitzerei lässt mich noch einrosten.“ Und zu Direktor Saalfeld gewandt schlug er ironisch vor: „Es wird Zeit, dass wir eine Veranstaltung ‚Gesundheit am Arbeitsplatz‘ entwerfen.“

      Direktor Saalfeld, der neue Ideen mochte, aber nicht verstand, dass Pfarrer Schatz eben einen Scherz gemacht hatte, sagte, während er sich an den Konferenztisch setzte:

      „Guter Vorschlag. Ich schreib ihn gleich auf die To-do-Liste für Herrn Pappel [der Assistent]. Der soll sich ein paar Gedanken dazu machen.“

      „Jetzt machen sie wieder aus einer flapsigen Bemerkung ein ganzes Projekt. Sie sind unverbesserlich. Aber gerade deswegen steht der Verband so gut da. Sie sind ein Tausendsassa, Saalfeld!“

      Pfarrer Schatz klopfte ihm anerkennend auf den Rücken, bevor er sich selbst setzte.

      „Momentan jagt leider ein Termin den nächsten. Ich hätte mir gewünscht, sie könnten sich in Ruhe in die Themen und Abläufe einarbeiten. Doch sie müssen sehen, wie sie alles unter einen Hut bringen. Da sie gut organisiert sind, schaffen sie das sicher“, ermunterte Direktor Saalfeld Julius.

      Hier dachte Julius an Herrn Sonnenzweig, der dieselbe unerschütterliche Gewissheit teilte. Beide hatten schlichtweg keine Zeit, in Betracht zu ziehen, dass Julius scheitern könne. Die Arbeitsbelastung ließ keine Alternative zu, als den bestmöglichen Fall anzunehmen.

      „Also“, Direktor Saalfeld schaute über den Rand seiner Lesebrille, „lassen sie uns über die wichtigsten aktuellen Aufgaben reden. Nächsten Mittwoch findet die BLK [Bereichsleiterkonferenz] statt. Hierfür muss noch eine Vorlage für das Neubauprojekt des Katharinen-Krankenhauses geschrieben werden. Lassen sie sich von Frau Maus über die Formalia von Vorlagen aufklären. Dann bitte ich sie, mir bis heute Abend einige Stichworte für ein Grußwort aufzuschreiben, das ich morgen bei der Eröffnung der Kita in St. Augustin halten muss.“

      Kurz drehte Direktor Saalfeld seinen Kopf zu Pfarrer Schatz. Wissend lächelten sie sich an. Julius den Grund für ihre Reaktion zu erzählen, hätte zu lange gedauert.

      „Genauere Informationen zum Kita-Bau finden sie hier in der Akte. Achso“, Direktor Saalfeld öffnete die nächste Akte, die vor ihm lag, „der Sekretär des Bischofs hat mir einen Beschwerdebrief weitergeleitet, zu dem er eine Stellungnahme anfordert. Recherchieren sie mal, was es mit der Sache auf sich hat. Die Einzelheiten können sie hier nachlesen. Schreiben sie Pfarrer Schatz bis heute Abend einen Entwurf, den er durchsehen kann und der möglichst noch heute an den Bischofssekretär rausgeht.“

      Direktor Saalfeld wartete, bis Julius seine Notizen fertig geschrieben hatte.

      „So, und für die SLK [Sektionsleiterkonferenz]am Freitag müssen sie heute noch eine Vorlage zur ‚Notwendigkeit von Sanierungsmaßnahmen im Altenheim Meesheim‘ verfassen. Frau Maus kann ihnen dabei helfen. Und schicken sie sie bitte an unseren Assistenten Herrn Pappel, der sie mit der Einladung versendet. Zu dem Tagesordnungspunkt werden sie am Freitag hinzugezogen. Also halten sie sich zwischen 9 und 12 Uhr bereit!“

      Direktor Saalfeld nahm einen weiteren Dreiecksordner von seinem Stapel und gab ihn Julius.

      „Übernächste Woche steht dann eine Klausur der Verbandsdirektoren an. Die wird abwechselnd von den Abteilungsleitern der Direktion organisiert. Hierfür hat Frau Maus schon Vorbereitungen getroffen, die sie zu Ende führen sollen.“

      Pfarrer Schatz schaute und hörte interessiert zu, wie Direktor Saalfeld Julius die einzelnen Arbeitsaufträge erklärte.

      „Das sind die wichtigsten Aufgaben in nächster Zeit. Schauen wir mal, was uns dazwischen noch alles in die Quere kommt. Langfristig, bis in etwa vier Wochen, müssen wir die Vorbereitungen für die Überarbeitung des Bauausschusses abgeschlossen haben, damit wir sie in den Gremien beraten und verabschieden können. Im Idealfall können wir dann im Oktober die neue Satzung anwenden. Lesen sie sich bis Montag doch mal in diese Informationen hier ein. Das ist von meiner Seite für heute alles. Jetzt sind sie dran, Pfarrer Schatz!“

      Julius drehte sich zu Pfarrer Schatz und war auf dessen Anliegen gespannt.

      „Ja, lieber Dr. Zey, was jetzt kommt, tu ich nicht gern, aber es fällt in mein Ressort. Sie kennen die Kirchliche Grundordnung, unsere speziellen Arbeitsrechtsbestimmungen. Aus meiner Sicht sind sie –, na gut. Ich weiß nicht, ob sie wissen, dass jede größere kirchliche Verwaltung einen sogenannten ‚Beauftragten für die Grundordnung‘ hat. Bislang war das Frau Eichhorn. Wir halten es aber für besser, wenn sie sich der Aufgabe annehmen würden. In der Praxis geht es dabei in der Regel um die Überprüfung der Frage, ob sich unsere Mitarbeiter an die Morallehre der Kirche halten. Konkreter: Wenn sich Mitarbeiter zum Beispiel scheiden lassen, führt der Beauftragte mit ihnen ein Gespräch, um die Regeln der Grundordnung und die daraus entstehenden Folgen darzulegen, dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren, wenn sie nachweislich in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben oder sich gesetzlich wiederverheiraten. Hierfür brauchen wir jemanden mit Fingerspitzengefühl. Würden sie sich dazu bereit erklären?“

      Julius fand es komisch, dass er andere dazu bewegen solle, die römisch-katholische Morallehre einzuhalten. Außerdem dachte er, sei doch jeder erwachsen genug, um sein Privatleben allein zu verantworten. Die Annahme, Menschen würden in ihrem Beziehungsleben nur nach egoistischen Zielen leben und sich nicht Nächte darüber den Kopf zerbrechen, wie sie ihre Probleme in der Partnerschaft lösen könnten, auch wenn das im Ausnahmefall zu einer Trennung führte, verstand er nicht.

      In