Wolfgang Cremer

Eine Insel in 650m Höhe


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sehr fraglich. Ich musste es einfach versuchen und auch wenn ich ein Risiko eingehen musste war es das immer wert. Auf meiner Probefahrt glaubte ich erheblich schneller zu fahren als ein Wanderer gehen würde. Nun war aber nicht die Geschwindigkeit sondern die Ausdauer gefragt. Wenn man dazu noch Wellengang, Strömung und vielleicht auch noch eine Fahrt gegen den Wind berücksichtigte, würden trotzdem noch 3km in der Stunde machbar sein. Ich wollte von morgens bis abends durchpaddeln, aber durfte natürlich nicht eine Muskelzerrung in Kauf nehmen. Also waren rund 25km je Tag machbar. Wenn ich aber nach vielleicht 6 Tagen und rund 150km immer noch keine Ansiedlung mit Menschen gefunden haben, was dann? Ich holte diverse Lebensmittel aus der Hütte und legte mir 12 Pakete zurecht. Also in 6 Tagen setzte ich mir die Grenze der Umkehr. Würde ich bis dahin keine Hilfe finden, dann brauchte ich alle Energie um zurück zu kommen. Dann blieb es mir nicht anders übrig, als mein Überleben hier so lange zu versuchen bis mich Hilfe erreichte. Diese Vorstellung erfüllte mich mit einer Angst die ich bislang noch nicht kennen gelernt hatte. Zwar bot die Hütte eine perfekte Unterkunft, aber wehe meine Lebensmittel sind zu Ende oder ich würde eine Krankheit bekommen. Diese Angst war jetzt stärker als die Angst vor dem bevorstehenden Trip. Ich packte den Rucksack und musste ja nun noch zusätzlich das zusammengefaltete Kanu, die Pumpe und die Paddel schleppen. Dieses Verstauen aller Teile erforderten einen großen Zeitaufwand, aber dann hatte ich endlich eine Möglichkeit gefunden von der ich glaubte, dass ein mehrstündiger Marsch realisierbar war. Die Nacht verbrachte ich sehr unruhig und stand mit dem ersten Vogelgesang bereits auf und frühstückte sehr reichlich. Dann legte ich alle Teile an und ging noch im diffusen Licht des Sonnenaufgangs los.

      Mit einem wehmütigen Blick nahm ich Abschied von diesem kleinen Paradies und hoffte, der Besitzer würde mir nicht allzu Böse sein und in Anbetracht der schwierigen Lage die Beschädigungen und den Diebstahl verzeihen. Vielleicht würde ich ja irgendwann wiederkommen. Nein, nicht vielleicht sondern ganz sicher würde ich noch einmal zu diesem kleinen Paradies kommen und an diese Zeit denken. Als ich am LKW vorbeiging dachte ich wieder über den Fahrer nach der hier sein Grab gefunden hatte. Langsam aber dafür ohne größere Pause ging ich die Straße in der linken Richtung dorthin von wo ich vor einigen Tagen total frustriert hergekommen war. Diese Richtung war die kürzere wie ich in Erinnerung hatte. Das Wetter war heute nicht mehr so schön wie gestern. Es war bedeckt und der auffrischende Wind wurde von mir als kühl empfunden. Hauptsache es regnete nicht und hoffentlich erzeugte der Wind nicht zu hohen Wellen. Es war Nachmittag als ich die See erreichte und nachdem ich das Kanu aufgepumpt hatte schaffte ich es so gerade noch, dass Zelt aufzubauen und es mir bequem zu machen. Nun gut, es ist vielleicht nicht schlecht den nächsten Tag ausgeruht und fit zu beginnen. Auch diese Nacht verbrachte ich sehr unruhig. Immer wieder fragte ich mich, was mich wohl am nächsten Tag alles erwartet und wo ich wohl die nächste Nacht verbringen würde. Gegen Morgen schlief ich dann doch endlich ein und verpennte dann natürlich auch den Sonnenaufgang. Ungehalten verzichtete ich Angesichts des Zeitverlustes auf die Morgenwäsche und auf ein Frühstück.

      Ich packte das Kanu und es ging los. Glücklicherweise hatte das Wetter sich gebessert und die Wolken lockerten auf. Eine Zeit ruderte ich wohl oberhalb der Straße und die Bäume rechts und links wurden immer kleiner je tiefer das Wasser wurde. Schließlich war ich auf freiem Wasser und freute mich über den geringen Wellengang. Ich ruderte gerade aus bis ich etwa 70m von den Bäumen weg bin. Wie befürchtet rechts und links soweit ich sehen kann nur Wald der ins Wasser übergeht. Nach vorne Wasser bis zum Horizont. Ich entschied mich für die linke Seite von der Straße aus gesehen. Ich paddele los und versuche einen kräftigen aber gleichmäßigen Schlag durchzuziehen und das Kanu auf gerade Fahrt zu halten. Der Kompass pendelt immer in Richtung Westen. Die Sonne bricht durch die Wolkendecke und bringt eine wohlige Wärme. Von Zeit zu Zeit mache ich eine kleine Pause und betrachte das Ufer und den Horizont ausgiebig durch das Fernglas. Das Paddeln hier auf der See ist schon etwas anderes als meine Versuchsfahrten auf dem Weiher. Ich habe natürlich in diesem Abstand zum Ufer nicht die gleichen Anhalts Werte über mein Fortkommen aber ich merke bereits nach einigen Stunden das sich Arme und Schulter versteifen. Etwas geruhsamer lasse ich es angehen und versuche mich nicht zu übernehmen. Irgendwann glaubte ich dann einen Rhythmus gefunden zu haben der das Fortkommen und die Belastung in einem erträglichen Maße in Einklang hält.

      Das Ufer macht oft Einbuchtungen die aber bislang nicht so groß waren. Aber jetzt zeigt sich eine Bucht die sich weit und tief dahin zieht. Wenn ich gerade auf die Spitze zuhalten würde hätte ich bestimmt eine Stunde Zeit eingespart. Der Nachteil an dieser Aktion wäre aber, dass ich an der weitesten Stelle bestimmt 1km vom Ufer weg wäre. Wenn sich dann der Wind stark auffrischen würde, hätte ich ein großes Problem. Die Uferentfernung wäre dann wie auf dem offenen Meer und der Wind würde vielleicht das Kanu seitlich packen und mich weiter zurücktreiben als ich mit stärkstem Paddeln je zurückfahren kann. Andererseits könnte ich diese Spitze noch vor der Dunkelheit erreichen. Nach längerem Überlegen gehe ich das Risiko ein. Ich nehme die Spitze ins Visier und paddle los. Gleichmäßig und ohne die Spitze aus dem Auge zu lassen versuche ich alle Bedenken zu ignorieren. Irgendwann muss ich mir eine Verschnaufpause gönnen und blicke mich um. Ich blicke nach vorn und wieder zurück. Verdammt, die Strecke ist erheblich länger als angenommen. Ich bin irreweit vom Ufer entfernt und habe lange noch nicht die Mitte erreicht. Dabei hatte ich gehofft bereits dreiviertel der Strecke geschafft zu haben. Ich bin umso mehr erschrocken weil ich gleichzeitig feststelle, dass sich der Tag schon dem Ende neigen will. Mühsam zwinge ich mich ruhig und gleichmäßig zu paddeln und nicht in Panik zu verfallen. Ein Muskelkrampf hätte fatale Folgen. Es dämmert bereits als ich feststelle, dass ich die Himmelsrichtung dauerhaft geändert habe. Die Sonne geht an anderer Stelle unter und die Kompassnadel pendelt sich auf Osten ein. Ich schaue durch mein Fernglas. Bis zum Horizont nur Wasser, aber irgendwie scheint voraus eine felsige Grenze zu sein. Die Wolkendecke öffnet sich ganz und die Sonne erhält das ganze Gebiet noch einmal. Ich beschließe bis zur Dämmerung durchzufahren und lasse den Punkt an dem ich glaube Felsen zu sehen nicht aus den Augen. Ich hatte Recht, es ist wirklich Felsen.

      Nicht sehr hoch aber höher als die Bäume. Die Dämmerung ist bereits weit fortgeschritten als ich das Kanu in die aus dem Wasser reichenden Baumspitzen steuere. Ich binde das Kanu mit der Schnur an einer Baumspitze fest und nehme mir den Rest meiner Tagesportion aus dem Rucksack. Noch ehe ich mit dem Essen fertig bin, ist es dunkel. Glücklicherweise steht der Mond bereits hoch und taucht diese Landschaft in ein merkwürdiges Licht. Umständlich steige ich in meinen Schlafsack und schlafe augenblicklich vor Erschöpfung ein. Traumlos und ohne Aufzuwachen schlafe ich durch bis zum Morgen. Die aufgehende Sonne taucht diese ungewöhnliche Landschaft in ein weiches Rot. Beim Kauen einer Schinkenscheibe blicke ich auf die Felserhöhung. Da muss ich hin. Das lange Paddeln gestern ist nicht ohne Auswirkung geblieben. Es ist zwar nicht unbedingt sehr schmerzhaft aber dennoch sehr unangenehm. Ich binde das Kanu los und fahre vorsichtig zwischen den nun immer höher aus dem Wasser stehenden Bäumen. Dann setze ich auf und der Boden vor mir ist eine feste Landmasse. Ich steige aus dem Kanu und bin total verspannt. Mühevoll versuche ich meine Glieder zu bewegen und nach einer Zeit bessert sich die Beweglichkeit, so dass ich losgehen kann. Schon nach wenigen Minuten bin ich auf dem Fels und kurz darauf über den Baumspitzen. Ungläubig schaue ich mich um. Wasser von drei Seiten. Das bedeutet, dass ich die falsche Richtung gewählt habe. Ich bis also definitiv auf einer Halbinsel und zwar am äußeren Ende. Entfernt habe ich mich also von der Hilfe anstatt darauf zuzugehen. Aber woran hätte ich es erkennen können. Nun ist es also zu spät und ich darf keine Zeit verlieren. Fast hastig gehe ich zurück zum Kanu und arbeite mich wieder auf das freie Wasser zurück. Das Paddeln ging nicht so gut wie gestern aber immerhin besser als ich befürchtet hatte. Die Kompassnadel zeigte noch eine Weile nach Osten um sich dann in Richtung Norden einzupendeln. Nun war ich also auf dem Rückweg. Nach vielleicht einer Stunde frischte der Wind auf und erfreulicherweise genau von hinten. Immer wieder suchte ich sowohl das Ufer als auch den Horizont rundherum mit dem Fernglas ab. Es war inzwischen überwiegend blauer Himmel und die einzelnen Wolken waren sehr hell. Es war mir bereits gestern aufgefallen, dass ich bisher kein einziges Flugzeug gesehen hatte. Kein Kondensstreifen und kein Blitzen in der Sonne. Das konnte natürlich daran liegen, dass ich mich hier außerhalb der Flugstraßen befand und ich verschwendete weiter keinen Gedanken daran. Dann war das eben so und nicht zu ändern. Es mochte Mittag sein als ich durch Zufall am Ufer etwas durch die Bäume blitzen sah. Ich nahm das Fernglas zur Hand, konnte aber nichts