Bernadette Schmon

Aurelie in der Welt der Wesentlichen


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schliefen tief und fest auf den zarten Schultern ihrer Besitzerin. Nur hin und wieder zischten rosa Zungen peitschend aus den spitzen Mäulern hervor.

      Einen Platz weiter ragte neben der wohlgeformt weiblichen Gestalt der Medusa ein meterhoher Oberkörper fast bis zur Decke des Raumes. In seinem Schatten wirkte sogar Dr. Marvelus verschwindend winzig. Die prankenartigen beharrten Hände lagen wie Schaufeln auf den Oberschenkeln. Während die anderen Ratsmitglieder auf rotbraunen Stühlen saßen, die aus dem gleichen Holz wie die edle Tafel geschnitzt waren, war auf dem Platz des Riesen eine massive metallene Bank aufgestellt. Da die baumstammartigen Beine des Ungetüms unmöglich unter der Tischplatte genügend Raum gefunden hätten, musste der Mann mit dem zotteligen braunen Haupthaar, welches mit dem dicken gekräuselten Vollbart, in dem sich Laub und Äste verfangen hatten, verwachsen war, etwas abseits sitzen. Es machte den Anschein, als ob sich in dem wilden Wuchs regelmäßig Vögel einnisten würden. In den riesigen Nasenlöchern der dicken Knollennase hätte problemlos der Kopf der Medusa Platz finden können. Rund um die grimmigen Augen zogen Sorgenfalten tiefe Kerben. Der Riese war nicht sehr kontaktfreudig und wenig begeistert von den Sitzungen des hohen Rats. Weder sprach er gern mit jemandem, noch hörte er gerne zu. Doch er wusste, dass ein friedliches Zusammenleben aller Wesentlichen und Unwesentlichen für die Bewahrung seines einsamen Einsiedlerlebens unabdingbar war. Dr. Marvelus hatte stets dafür gesorgt, dass er sein Land frei von den Einflüssen Dritter bewohnen konnte. Für diese unbezahlbare Freiheit war die Teilnahme am Wesentlichenrat ein nicht allzu hoher Preis.

      Im Vergleich zu seinen seltsamen Sitznachbarn wirkte der ältere Herr, dessen dürre Finger unruhig auf die knochigen Oberschenkel pochten, völlig unscheinbar. Er trug eine klapprige alte Brille, deren Gläser nur mehr mit einem dicken Stück schwarzem Klebeband zusammengehalten wurden, der ergraute Haarkranz wuchs gleichmäßig um die polierte Halbglatze. In den Mundwinkeln klebten noch Brösel seiner Frühstückssemmel, aus den Augenbrauen ragten vereinzelt lange Härchen weit empor. Die Optik hätte nie vermuten lassen, dass es sich bei dem schmächtigen Mann um den berühmten Wissenschaftler Dr. Dr. Marcelus Omnisciens handelte, der mit seinen unzähligen Publikationen auf den Gebieten der Neurowissenschaften und der Quantenphysik weltweit Anerkennung genoss. Die unstillbare Wissbegierde und der Erfindergeist rührten von seiner Abstammung von einem uralten Druidengeschlecht. Sein Urgroßvater, der legendäre Dr. Ponentius, lehrte ihm bereits in jungen Jahren die hohe Kunst der Zaubersprüche in all ihren Facetten. Es fiel dem Wissenschaftler sichtlich schwer ruhig auf seinem Stuhl zu verharren und zuzuhören, während doch hunderte Gedanken, die wie Puzzleteile zu neuen Thesen und Formeln zusammengefügt werden wollten, durch seinen Kopf schossen.

      Den nächsten Platz nahm ein Mann mit feinen Gesichtszügen, lieblichen Augen und einem sanften Lächeln ein. Zwischen den seidigen strohblonden Locken traten an den seitlichen Stirnlappen stattliche nach unten gebogene Hörner mit tiefen Rillen hervor. Unter der weit geschnittenen schwarzen Kutte konnte man die stählernen Muskeln des jungen Kerls nur erahnen. Der Talar verbarg auch, dass sich die gesund rosa strahlende Haut des Mannes ab dem Bauchnabel in lockiges graues Fell wandelte, welches schließlich in stahlharten Paarhufen mündete. Die Pans waren eine äußerst friedliebende Gattung, die ihre naturgegebene Bewaffnung aus harten Hornspitzen und trittsicheren Hufen stets nur zur Verteidigung einsetzten. Sie begegneten jedermann mit Hilfsbereitschaft, ihr Glaube an das Gute brachte eine gewisse Naivität mit sich, ließ sich jedoch durch nichts und niemanden erschüttern. So galt es als besonders schwere Sünde einen Pan zu schinden.

      Dem Gehörnten gegenüber saß eine pummelige Frau, die nach ihrem Alter befragt stets die Zahl 43 angab, obwohl sie bestimmt schon um die 60 Jahre auf dem Buckel hatte. Seit jeher stellte sie sich mit dem Namen Lady Mc Grath vor. Es floss auch tatsächlich adeliges Blut durch ihre Adern. Der bei genauem Hinsehen erkennbare ergraute Haaransatz offenbarte, dass die rotbraune Farbe des stilvoll zu einer eleganten Hochsteckfrisur nach hinten gesteckten Haares chemisch erzeugt worden war. Über dem schwarzen Talar, der ihr fast bis zu den Zehenspitzen reichte, baumelte eine dreireihige, aus unzähligen knallpinken Perlen bestehende Kette. Lady Mc Grath hätte viel lieber ihr zartviolettes Designerkostüm präsentiert, als es unter dem wenig figurbetonten farblosen Talar zu verstecken. Aus diesem Grund ließ sie es sich nicht nehmen zumindest durch ihre auf jeden einzelnen Finger gesteckten prunkvollen hochkarätigen Ringe aus Gold und Silber, die allesamt mit Diamanten, Rubinen und Smaragden von unschätzbarem Wert gespickt waren, aufzufallen. Im Gegensatz zu ihrer Mutter, die vor ihrem Ableben den Ratssitz innehatte, wusste Lady Mc Grath nicht viel über die Welt der Wesentlichen und noch weniger über jene der Unwesentlichen. Aus Respekt zu ihrer hoch geschätzten Mutter hätte es keiner der übrigen Ratsmitglieder laut ausgesprochen, aber Lady Mc Grath war mangels Intellektes keine wirkliche Bereicherung für die sonst so elitäre Runde. Doch ihre wohlhabende Familie war schon seit Jahrhunderten der größte Gönner der Agency. Erst durch deren großzügige finanzielle Unterstützung war der Londoner Stützpunkt zum weltweiten Flaggschiff herangewachsen. Aus diesem Grund kam der Rat nicht umhin, Lady Mc Grath den heiß ersehnten Wunsch den Platz ihrer Mutter an der Tafel einzunehmen zu erfüllen.

      Immer wieder warf die hochnäsige Dame auffällig bissige Blick in Richtung ihrer Sitznachbarin, die mit ihren vollen dunklen Wimpern und Augenbrauen, den schöngeformten Lippen und dem leicht spitzen Kinn so atemberaubend schön war, dass man vor Neid erblassen konnte. Die rehbraunen Augen blickten aufmerksam und wach in Richtung von Dr. Marvelus. An ihren Händen trug die Anführerin der berittenen Amazonenarmee des verborgenen Waldes fingerlose Handschuhe aus dunklem Leder, unter der schwarzen Kutte waren deutlich die Konturen eines massiven Schwertes zu erkennen. Dieses hatte die Hüterin des Waldes mit Namen Akra bereits in unzähligen Kämpfen erprobt. Die Amazonen waren für ihre Stärke bekannt und wegen ihrer unerbittlichen Kampfeskunst gefürchtet. Einmal in den Kreis der Amazonen aufgenommen, war man sich der lebenslangen Loyalität aller Mitstreiterinnen sicher und konnte darauf zählen, dass jede der herkulischen Frauen bedingungslos ihr Leben für die andere opfern würde.

      Neben Akra nahm eine kleine Gestalt, die von einem hellen Glanz umgeben war, ihren Platz ein. Der junge Elf hatte stechende eisblaue Augen und helle samtige Haut, die im richtigen Lichtwinkel golden strahlte. Das schneeweiße schulterlange Haar war hinter den spitz anlaufenden Ohren mit einer silbernen, alt anmutenden Spange zu einem Pferdeschwanz gebunden. Die Elfen waren ein uraltes Volk, das in magischer Weise mit der Natur und den Elementen verbunden war. Durch wegen ihres unverblümten Gemüts und der neugierigen Gutgläubigkeit war es ein Leichtes die zierlichen Wesen in die Irre zu führen. In der Vergangenheit hatten sich so manche niederträchtigen Gestalten dies zu Nutze gemacht und beuteten das Elfenvolk schamlos aus. So war es nicht verwunderlich, dass die faszinierenden geflügelten Wesen über die Jahre ein Misstrauen zu anderen Gattungen entwickelt hatten. Sie lebten zurückgezogen im verborgenen Wald und scheuten den Kontakt zur Außenwelt. Es hatte Dr. Marvelus intensive Überzeugungskraft gekostet Prinz Efonijus als Ratsmitglied zu gewinnen. Als Gegenleistung für das unsagbare Wissen über die alten Künste der Magie erhielt das Elfenvolk den Schutz der Armee des Rates und wird seither von den Amazonen behütet.

      Als letztes sehr umstrittenes Ratsmitglied fand sich links neben Dr. Marvelus ein buckliger Mann mit schwarzem aalglattem Haar ein. Sein Gesicht wirkte kränklich bleich, als ob es noch nie Tageslicht gesehen hätte. Unter seinen furchteinflößenden Augen bohrten sich tiefe dunkle Ringe in die Haut. Auf den trockenen Lippen bildeten sich fransige blutleere Risse. Die jämmerlich anmutende Gestalt wusste, dass sein voller Name Misstrauen und Furcht hervorrief, weshalb er sich stets nur mit seinem Vornamen vorstellte. Alexander Nox hatte viele Jahre lang der dunklen Seite gedient. Geblendet und machthungrig verfolgte er das Ziel wie eine Plage über die Unwesentlichen hereinzubrechen. Doch das große Leid und die unzähligen Morde zerrten an ihm, raubten ihm den Schlaf und zerrissen sein Inneres. Als er es nicht mehr ertragen konnte, fasste er den Mut sich vom Anführer des Bösen, der sich selbst Det Onda nannte, abzuwenden. So wandte er sich hilfesuchend an Dr. Marvelus. Als Gegenleistung für dessen Gunst und den Schutz vor todbringenden Racheakten offerierte er dem Rat sein Insiderwissen und trug dazu bei, den mächtigen schwarzen Magier auf ewig in ein Verlies im verborgenen Wald einzusperren. Es gab viele, die davon überzeugt waren, dass Alexander Nox nur aus Furcht vor dem bevorstehenden Fall seines Herrschers auf die andere Seite gewechselt war und verhöhnten ihn als Feigling. Andere glaubten, dass es Det Onda selbst war, der ihm im Bewusstsein des nahenden Unterliegens