Janine Zachariae

Lydia - die komplette Reihe


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- um seine Schwester zu finden. Das wollten wir alle verhindern.

      Wir beschlossen, dass ihr ein Recht darauf habt, die Wahrheit zu erfahren. Wollten es euch aber schonend beibringen. Ihr solltet in die gleiche Klasse gehen und euch so nach und nach kennen lernen. Leider haben Toms Eltern erst spät eine Arbeit hier in der Gegend gefunden. Das Schuljahr war fast vorbei und du wolltest nicht weiter dahin gehen. Ihr habt euch dann zufällig getroffen und euch so angefreundet. Leider sorgte sich Franziska, ob ihr euch womöglich zu gut verstehen könntet. Und so war es ja auch. Tom ist ein netter Junge. Seine Mutter merkte, dass du ihm gefallen hast. Ihr seid beide mitten in der Pubertät und wisst vielleicht mit euren Gefühlen nicht recht umzugehen. Dazu kommen noch eure Hormone, die manchmal verrückt spielen.

      Wir wollten aber den Teufel nicht an die Wand malen und haben euch erst mal in Ruhe gelassen. Als aber unser Vater sah, wie ihr euch geküsst habt, rief er sofort alle zusammen.

      Ich war gerade geschäftlich unterwegs und konnte zuerst nur am Telefon mit ihnen reden. Wir haben überlegt, was nun geschehen soll und in dem Moment fiel Vater wieder der Brief vom Internat ein, den er einige Tage zuvor erhalten hatte und war nun froh, diese Möglichkeit zu haben.

      Er rang mit sich selbst.

      Diese Ausbildung bedeutete dir sehr viel und das war ihm bewusst.

      Wir redeten mit Toms Eltern und auch sie waren der Meinung, dass es besser wäre. Allerdings haben wir abgewogen, wer stärker ist. Der Platz im Internat war dir ja schon sicher.

      Franziska und Jochen waren der Überzeugung, dass ihr Sohn es nicht ohne sie schaffen würde. Du, liebe Lydia, bist mit Jungs aufgewachsen und hast so gelernt, dich durchzusetzen und Stärke zu zeigen. Tom wurde von vornherein nur verhätschelt.

      Er hat alles bekommen, was er wollte.

      Als Steve und ich am Donnerstag bei dir waren, hast du uns bewiesen, dass du einen festen Charakter und Willen hast und du in jedem Fall deinen Weg gehen wirst.

      Ich kann nicht ahnen oder nachvollziehen, wie es dir gerade geht, was du durchmachen musst und denkst. Aber ich weiß, dass du uns irgendwann verzeihst. Du bist ein so liebes Mädchen. Ein so herzliches und freundliches Wesen, dass du nie lange jemandem wütend sein kannst. Für mich bist du immer meine kleine Schwester. Das Mädchen, das mich manchmal voll gepinkelt hat, wenn ich es im Arm hielt und auf meinen besten Anzug gebrochen hatte, weil es versehentlich etwas mit Milch gegessen hatte.

      Du hast uns Jungs eine neue Welt gezeigt und uns beigebracht, wie man sich einer jungen Frau gegenüber zu benehmen hat.

      Hast uns aber nie verurteilt. Auch wenn wir nicht blutsverwandt sind, so bleibst du immer ein Teil von mir.

      Du kannst immer auf mich zählen. Mach dir nicht zu viele

      Gedanken und Sorgen! Du warst immer unser Sonnenschein und du wirst uns allen sehr fehlen! Vater war am Samstag am Boden zerstört. Und noch immer kämpft er mit seinen Gefühlen. Du musst wissen, dass er dich gerne in die Familie aufnahm und er sich bereitwillig um dich gekümmert hat.

      Selbst als unsere Mutter wegging, wäre er nie auf den Gedanken gekommen, dich wieder wegzugeben. Er hat den Wunsch deiner Eltern sehr ernst genommen. Sie waren so liebe Menschen, sagte er immer wieder.

      Warum er nie mit dir darüber sprach, ist eigentlich leicht, zu verstehen: Er wollte deine unbeschwerte Art nicht gefährden. Er wollte nicht, dass du glaubst, eine Last zu sein. Das warst du nicht. Besonders nie für Steve.

      Unser Vater gab mir eines Tages eine Kiste. Er befürchtete, dass du sie vielleicht findest. Es ist nicht viel, aber du hast ein Recht zu wissen, wer deine Eltern waren. Ich hab dich sehr gerne, alles Liebe wünschen dir Maria und dein Bruder, Michael. Wenn du mal Geld brauchst, sag Bescheid! Ich hoffe, du kannst mir irgendwann verzeihen.«

      

       *

      

      Lydia weinte, während sie den Brief las.

      ›Ein Foto von Shannon und James, von meinen Eltern. Sie sehen so lieb aus. Was ist hier noch ... Eine Decke‹, dachte sie, während sie die Kiste durchwühlte.

      Es war Babydecke, LYDIA war ein gestickt, dazu ein kleiner Zettel, in der Handschrift von Michael:

      »Toms Eltern hatten auch so ein Päckchen, aber das schickten sie ebenfalls zu mir, damit er es nicht finden konnte. Sobald ich ihn sehe, werde ich es ihm überreichen.«

      Lydia war erleichtert und Michael sehr dankbar.

      Ein Kuscheltier, weitere Fotos - von Tom und ihr, als sie gerade wenige Stunden alt waren, und noch andere Bilder.

      Dann bemerkte sie ein Schmuckkästchen mit ihrem Namen drauf. Ihre Hände zitterten, als sie das Kästchen öffnete und ein Armband aus Silber darin entdeckte. Der Name ihrer Eltern war eingraviert, ein Ring fand sie ebenfalls vor. »Oh Gott, das muss der Verlobungsring meiner Mutter gewesen sein«, stieß sie laut hervor.

      Das war’s, mehr war nicht darin. Sie suchte nach einem weiteren Brief. Sie hoffte, einen Brief ihrer Eltern zu finden, doch da war nichts. Tief in Gedanken versunken, merkte sie wieder nicht, wie ihre Mitbewohnerin sie ansprach. Lydia schüttelte sich.

      »Was hast du denn schönes zum Geburtstag erhalten?«

      Lydia zeigte ihr alles.

      »Nett.« Lydia, noch immer mit ihren Gedanken beschäftigt,

      bemerkte nicht den ironischen Ton in der Stimme von Julie und bedankte sich nur.

      Kurz darauf war sie wieder alleine im Zimmer und legte die Sachen sorgfältig in ein Fach im Schreibtisch, welches sich abschließen ließ. Dort bewahrte sie auch die Briefe auf. Das

      Armband zog sie aber um.

      Sie setzte sich, und begann Michael zu antworten.

      *

      »Hallo, Michael,

      danke für deinen Brief.

      Es war lieb von dir, mir zu schreiben.

      Ich danke dir für das Päckchen. Es bedeutet mir unendlich viel, das alles erhalten zu haben. Vielen

      Dank. Du warst immer derjenige, der dafür sorgte, dass Sammy und ich nie alleine waren und das uns nichts fehlte.

      Dass wir beide uns dennoch nie richtig unterhalten konnten, lag wohl am Altersunterschied. Wenn ich so darüber nachdenke, hat mich auch selten was mit Sammy verbunden. Er ist zwar nur wenige Jahre älter als ich, aber seit Jahren interessiert er sich nur noch für seine Freunde. Mit Steve konnte ich allerdings immer Pferde stehlen. Woran das liegt, weiß ich nicht. Ich mag dich und deine Frau sehr gerne. Maria ist ein liebevoller Mensch und ihr zwei seid so niedlich zusammen.

      Du bist sicherlich ein toller Ehemann.

      Dass du die Dinge, in deinem Brief, so deutlich geschrieben hast, wie es sonst niemand täte, finde ich gut. Natürlich bin ich in der Pubertät - auch wenn es peinlich ist, darüber zu reden. Ich weiß auch, was es bedeutet, wenn jemand eine ›Sportzeitschrift‹ liest und einen dabei aber nicht in die Augen sehen kann. Das hab ich alles von euch gelernt. Ich habe gerade erst meinen ersten Kuss bekommen und da drehte sich alles in mir, also kann ich nachvollziehen, worauf du angesprochen hast. Dann ist auch noch Frühling und da spielt ja eh alles verrückt. Doch eins kann ich dir versichern: Ich würde nie weiter gehen. Ihr habt euch alle Sorgen gemacht, dabei wäre nichts passiert.

      Auch wenn mein Herz jetzt gebrochen ist, so werden die Scherben irgendwann wieder an ihren alten Platz zurückkehren und es wird langsam wieder heilen. Vergessen werde ich nie. Es war mein erster Kuss. Die Schmetterlinge in meinem Bauch sind gestorben. Aber keine Sorge, Michael, es ist okay. Alles wird wieder gut.«

      Lydia schrieb und schrieb und erzählte nun, was sie sich für die Schule vorgenommen hatte.

      »Du bist ein toller Mensch. Lass meinen Brief als solchen im Raum stehen, ohne noch einmal darauf einzugehen. Ich bin dir nicht