Janine Zachariae

Lydia - die komplette Reihe


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des Unterrichts nicht rauchen, Kaugummi kauen oder essen. Aber trinken war erlaubt.

      Alkohol war verboten und geraucht werden durfte nur auf dem Hof, in der Raucherecke. Samstags war Besuchertag: von 10 bis 18 Uhr. Unter der Woche war um 22 Uhr für die Größeren Bettruhe, die Kleinen mussten zwischen 20 und 21 Uhr das Licht ausmachen. Sie waren selbst für ihr Aufstehen verantwortlich, wer zu spät zum Unterricht erschien, wurde mit Nachsitzen und Ähnlichem bestraft. Spätestens um 20 Uhr musste man aber im Internat sein. Wenn man das Anwesen verlassen wollte, dann nur mit Erlaubnis. Ganz schön viel auf einmal und noch mehr stand drin.

      Insgesamt lebten 120 Schülerinnen (auf 8 Klassen verteilt - von der Fünften bis zur Zwölften) unter einem Dach.

      Lydia nahm sich nun ihren Stundenplan vor. Er war so, wie sie ihn in ihrer alten Schule auch gehabt hatte. Sie brauchte keine weiteren Prüfungen mehr absolvieren, erst wenn sie ihren Abschluss machen würde. Sie konnte schließlich ihre Fächer für das kommende Schuljahr bestimmen:

      Mathe, Englisch und Deutsch waren Pflicht - aber eins davon durfte sie als Nebenfach wählen. Sie entschied sich für Mathe.

      Dann kreuzte sie noch die an, die sie als Hauptfach haben wollte: Literatur, Geschichte, Kunst, Musik und Französisch.

      Nebenfächer: Astrologie, Geographie, Sozialkunde,

      Wirtschaftslehre, Hauswirtschaft und Sport - wobei sie bei Sport noch einmal wählen konnte und sich für Krafttraining entschied.

      Sie suchte sich absichtlich so viel aus. Sie wusste, dass sie sich dadurch vielleicht zur Außenseiterin katapultieren würde, doch sie war ja hier, um zu lernen. Sie schrieb sich außerdem für zwei Aktivitäten ein: Bücherclub und Journalismus in der hiesigen Zeitung. Das Internat hatte eine Schülerzeitung, die einmal in der Woche erschien.

      Sie fand in den Unterlagen noch eine Notiz, die besagte, dass Ihr Vater den Schreibtisch und den Computer bezahlte und er noch alles schicken würde, was in einem Büro nicht fehlen durfte:

      Drucker, Scanner, Schreibmaterial und viele andere nützliche Sachen.

      Auch eine Pinnwand lag in einem Fach. Ein Foto war dran geheftet, welches sie als dreijähriges Mädchen zeigte. Sie war auf dem Arm von Steve und alle anderen standen mit dabei. Sie nahm das Bild ab und drehte es um: »Ich hab dich immer als meine Tochter gesehen und du wirst es immer für mich bleiben.« Sascha musste all dies schon länger geplant haben!

      Lydia setzte sich hin und legte das Foto nieder. Sie saß am Computer und weinte. Unendliche Schmerzen erfüllten ihre Seele und ihr Herz. Einsam und im Stich gelassen. Sie musste sehr lange so gesessen haben, denn sie merkte nicht, wie die Tür aufging und sie jemand an der Schulter berührte.

      »Hallo, ist alles in Ordnung?«

      »Oh, tut mir leid. Du musst Julie sein.« Sie wischte sich die Tränen weg. Julie nickte. Lydia drehte sich zu ihr und stellte sich vor.

      »Ich dachte, du würdest erst morgen kommen!«

      Lydia zuckte mit den Schultern und sagte, dass es nicht anders ging.

      »Hat man dich schon umher geführt?«

      »Ja, sehr schön hier. Ein großes Anwesen. Entschuldige, ich war noch nie in einem Internat, ist alles etwas neu für mich«, erklärte sie.

      »Ja, das war es für mich auch, als ich das erste Mal hier war. Ich kam gerade in die 5. Klasse.«

      »Oh, so lange bist du schon hier.« Lydia sah zu ihrem Bett.

      »Meine Mitbewohnerin ist vor kurzem heimgefahren. Sie wurde der Schule verwiesen«, meinte Julie.

      »Was ist passiert?«, hakte Lydia nach.

      »Nun, sie wurde mit einem Jungen erwischt.«

      Lydia musste schmunzeln. ›Ja, so was gehört sich auch nicht‹, dachte sie. »Ach so, okay.«

      »Wie ich sehe, hast du dir schon alles durchgelesen.«

      Julie zeigte zum Ordner, der noch aufgeschlagen auf dem Bett lag.

      »Ja. Wobei ich nicht weiß, ob ich es toll finde, dass ich keine Prüfungen dieses Jahr schreiben muss.«

      »Ach, hattest du schon welche geschrieben?«

      »Deutsch, Englisch und am Freitag war erst Mathe dran.

      Nächste Woche wäre Konsultation und bald darauf meine mündlichen. Zudem hatte ich schon eine Facharbeit abgegeben«, plapperte Lydia drauflos und beobachtete das Mädchen dabei. Sie trug sehr enge Kleidung, was ihr aber ganz gut stand, denn sie war sehr schlank und groß und hatte ihre Haare zu einem Zopf gebunden, was sie jünger erschienen ließ, als sie war.

      »Das ist ärgerlich«, bestätigte Julie und packte ihre Tasche aus. »Warst du auf der Realschule?«

      »Ja. Ich hatte auch schon einen Ausbildungsplatz.«

      »Wie jetzt?«, Julie hielt inne und schaute ihre neue Mitbewohnerin perplex an.

      Lydia wusste zwar noch nicht viel über Julie, aber zumindest wirkte sie nicht eingebildet oder hochnäsig.

      »Ich bin zwar ganz gut in der Schule, aber das Abitur stand nicht wirklich ganz oben auf meiner Liste. Mein Vater hatte mir das Internat vorgeschlagen und na ja, plötzlich war ein Platz frei und die Ausbildung rückte in weite Ferne.«

      »Einfach so? Du hättest doch trotzdem die Lehre anfangen können?«, wollte Julie irritiert wissen.

      »Sag mal«, lenkte Lydia schulterzuckend ab, »wie ist das mit dem Bücherclub und der Zeitung?«

      »Du schreibst für die Zeitung. Dabei wird vorher allerdings festgelegt, für welchen Bereich du schreiben darfst und ob du überhaupt gut genug bist. Gut möglich, dass du auch gar nicht dafür arbeiten darfst. Und der Bücherclub nimmt jede auf. Du musst die Bücher allerdings auch lesen, die besprochen werden. Nur wenige machen wirklich mit. Es sind in der Regel andere Bücher, als in Literatur. Die Bücher sind im Preis inbegriffen und du darfst sie auch behalten.«, erklärte Julie schmoll.

      Lydias Augen strahlten zum aller ersten Mal, das fand sie sehr gut.

      »Aber es gibt durchaus Bücher, die echt mies sind.«

      »Bist du auch im Club?«

      Julie lachte. »Nein, aber ich habe Literatur als Hauptfach. Da du von einer ›gewöhnlichen‹ Schule kommst, ist es vielleicht zu viel und du kommst nicht hinterher. In der Abschlussprüfung kann es nämlich vorkommen, dass du über eins schreiben musst, was wir in der 10. Klasse gelesen haben.«

      Lydia musste schlucken und räusperte sich.

      »Aber ich glaube, du bekommst alle Bücher noch. Wir haben zehn Stück gelesen. Nach Ostern schreiben wir eine Arbeit über eins«, meinte Julie.

      »Ach, da habe ich ja noch Zeit«, stellte Lydia fest und fügte hinzu: »Ich bleibe die Ferien über hier. Auch den Sommer über. Das hat mein Vater mit der Direktorin so abgemacht. Ich mache dann Praktika oder suche mir einen Ferienjob und kann so noch zusätzlich die Bücher lesen, die ihr schon durchgenommen habt.«

      »Du fährst nicht weg?« Julie sah sie skeptisch an und es schien fast so, als würde sie einen kleinen Skandal oder ein tolles Gerücht erahnen.

      »Nein.« Lydia wurde traurig, als Julie weitersprach.

      »Du wirst dann aber die meiste Zeit komplett alleine sein!«

      »Das macht nichts, Julie. Es gibt hier ja eine Bücherei und so wie ich gesehen habe, haben unsere PCs Internetanschluss.«

      »Das Internet dürfen wir nutzen wie wir wollen. Aber trotzdem wird es nicht gerne gesehen, wenn wir zu lange online sind.«

      Die beiden Mädchen unterhielten sich noch eine Weile, bis Julies Freundinnen kamen.

      Julie stellte alle vor und fragte, ob Lydia draußen eine Zigarette mit rauchen wollte.

      Die Nicht-Raucherin verneinte.