Jan-Henrik Martens

Eine Heimat des Krieges


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wurde sie von ihrem Vater gezwungen. Stets betonte er, wie wichtig das sei. Eine pflichtbewusste Adelige müsse befreundete Häuser kennen.

      „Und hier ist die grüne Linde auf weißem Grund“, sagte Juana. Auf einer Landkarte war das Wappen Fürst Rygmoors eingezeichnet. „Das Haus deines Gemahls.“

      Saoana hatte ihr von dem Gespräch mit Tiogan erzählt. Nun musste sie sich wieder anhören, wie sehr Juana das Hochzeitsfest herbeisehnte. Möglichst prunkvoll solle es sein. Mit großen Kutschen, weißen Tauben und innigen Küssen. Saoanas Bündnis mit Owin war etwas, über das Juana sich freute, wie es nur eine beste Freundin konnte. Mit großen Augen, strahlendem Lächeln und einem Hauch von Neid. Saoana konnte es ihr nicht verübeln. Juana war unscheinbar. Ihre Figur glich einem Grashalm. Dunkelblonde Haare umrahmten ihr schmales Gesicht. Sie war eine bescheidene Frau, die stets hoffte, dass etwas vom Glanze der Aurelds auf sie abfärbte. Nachdem Juana ihre Eltern verloren hatte, war sie in die Burg gezogen und für Saoana dagewesen. Sie konnte mit Juana über alles reden. Kleider, Frisuren, Beschwerden während der Monatsblutungen. Saoana fragte sich, ob Juana mit ihr nach Rygmoor käme, ob Tiogan es erlauben würde. Saoana brauchte keine neuen Zofen, nur die eine. „Wer denkt sich denn sowas aus?“, fragte Juana und verzog das Gesicht.

      Saoana brauchte eine Weile, um das Wappen zu finden, das diese Reaktion ausgelöst hatte. „Hm, das ist das Wappen Fürst Hohs von der Zunge. Vater sagt, er habe nie einen humorloseren Mann getroffen. Obwohl ich Fürst Hoh nicht kenne, glaube ich Vater. Wer sich einen abgetrennten Kopf zum Wappen nimmt, muss ja humorlos sein.“

      „Du weißt so viel.“ Juanas Augen leuchteten vor Bewunderung. Der Blick verunsicherte Saoana. Sie hatte nicht das Gefühl, sonderlich bewundernswert zu sein. Nicht für das Auswendiglernen von Namen und Wappen. Sie hatte nur getan, was von ihr verlangt wurde.

      Juana blickte zum Himmel. Ihre Augen weiteten sich. „Die Sonne geht bald unter“, sagte sie. „Ich muss los.“

      „Wo willst du denn hin?“

      „Ich treffe mich mit jemandem.“ Sie lächelte. Ihre Wangen erröteten.

      „So? Mit wem? Einem Mann?“

      Juana antwortete nicht, fragte stattdessen: „Darf ich gehen?“

      „Du fragst doch sonst nie. Was soll die Geheimniskrämerei?“ Juana legte den Kopf schief und sah Saoana tief in die Augen, ihr Ich-möchte-nicht-darüber-sprechen-Blick. Saoana seufzte und sagte: „Natürlich darfst du gehen.“

      „Danke, danke. Wir sehen uns dann morgen, ja?“ Sie gab Saoana einen Kuss auf die Wange und stürmte aus dem Garten. Während der Wind durch Sträucher strich, schaute Saoana ihr hinterher. Juanas Speichel trocknete auf ihrer Haut, und sie konnte noch immer die Wärme ihrer Lippen spüren.

      Im Kamin prasselte ein Feuer, das den fensterlosen Speisesaal in ein angenehmes Rot tauchte. Saoana saß mit ihren Eltern zu Tisch. Das Banner ihres Hauses prangte über dem Kamin - eine goldene Getreideähre auf schwarzem Grund. In den dunklen Ecken des Raumes standen Bedienstete und warteten auf Anweisungen, doch es herrschte Schweigen. Tiogan starrte auf ein gebratenes Hähnchen und Fürstin Fernora nippte an einem Becher Wein. „Du isst ja gar nicht“, sagte sie, unterbrach damit die Stille.

      „Ich habe keinen Hunger“, sagte Tiogan. Seit der Sichtung der Grauen wurde der Fürst von Tag zu Tag schweigsamer. Wenn Fernora bei ihm war, sagte er nur das Nötigste. Oft saß er ganze Abende allein in seinem Arbeitszim­mer. Das hatte er vorher nie getan. Die Falten in seinem Gesicht wirkten tiefer.

      „Worüber grübelst du jetzt schon wieder?“, fragte die Fürstin. „Ist ja nicht mehr auszuhalten mit dir.“

      Er räusperte sich. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“

      „Denkst du, ich merke nicht, wenn du mit deinen Gedanken woanders bist?“

      Saoana steckte sich ein Stück Hähnchenfleisch in den Mund. Sie wollte sich nicht an dem Streit beteiligen. Wenn ihre Mutter in Rage geriet, war es unklug, sich einzumischen.

      „Ich denke über unsere Zukunft nach“, sagte Tiogan.

      „So? Geht uns das Geld aus? Ist die Ernte schlecht?“

      „Unserem Fürstentum geht es prächtig. Ich denke an die Zukunft der Menschen.“

      Fernora legte die Stirn in Falten. „Das solltest du nicht tun, das bringt nur Unglück. Hat es nicht gereicht, dass unser …“

      Tiogan hob die Hand. „Bitte, sprich nicht davon.“

      Fernora öffnete den Mund, schwieg jedoch, als die große Holztür des Speisesaals knarrend aufschwang und ein Eta­ria­ner den Raum betrat. Er verneigte sich und sagte: „Mein Fürst, meine Damen.“

      „Guten Abend, Xaviin“, sagte die Fürstin.

      Tiogan schüttelte mit dem Kopf und griff nach einer Weinkaraffe. Die Echsen hatte er noch nie gemocht, weder damals noch heute; und er machte keinen Hehl daraus. „Was willst du, Schuppiger?“, fragte er.

      Die Etarianer hatten den Fürsten nach dem Krieg Botschafter zur Seite gestellt, doch das war ein verharmlosender Begriff für das, was sie wirklich waren. Spitzel, die jene aufspüren sollten, die sich nicht an die etarianischen Verbote hielten; und für den reichsten Fürsten war ihr bester Spitzel gerade gut genug.

      „Verzeiht mir die Störung, mein Fürst.“ Xaviin trug eine dunkelgraue, schmucklose Robe. Seine olivgrünen Schuppen schimmerten im Schein des Feuers und seine gelben Augen reflektierten das Licht. „Es sind Flüchtlinge aus dem Süden eingetroffen. Sie stehen vor Euren Toren und bitten um Nahrung für die Weiterreise.“ Von allen Etarianern, denen Saoana begegnet war - viele kannte sie nicht -, beherrschte Xaviin die Sprache der Menschen als einziger akzentfrei.

      „Wie viele, Echse?“ Tiogan wandte seinen Blick von der Weinkaraffe ab, musterte den Etarianer mit zusammengekniffenen Augen.

      „Fast zweihundert, mein Fürst.“

      „Wohin wollen sie?“

      „Nun, es scheint, als wären sie auf dem Weg in den Norden, nach Etovernem.“

      „Zu den Schuppigen?“

      Xaviin atmete hörbar aus und kratzte sich am haarlosen Hinterkopf. „Das haben sie mir jedenfalls erzählt.“

      „Was hindert sie daran, in meinem Fürstentum Hilfe zu suchen?“ Tiogan blickte ihn herausfordernd an. Er wartete auf ein falsches Wort, eine falsche Geste, einen Grund, die Echse anzuschreien.

      Xaviin blieb ruhig. „Mein Fürst, ich kann Euch nur antragen, was mir erzählt wurde. Offensichtlich glauben sie, bei Euch keinen Schutz finden zu können, sollten die Grauen tatsächlich das Reich der Menschen angreifen. Ihr habt keine Armee, die Etarianer schon. Und denkt an den Friedensvertrag. Ihr habt ihn dereinst selbst unterzeichnet.“

      Tiogan füllte seinen Becher mit Wein und sagte: „Ja, gezwungenermaßen. Und wessen Schuld ist das? Ihr Echsen habt uns alles genommen, nicht wahr? Armee, König, den Glauben. Und nun wenden sich die Hilfesuchenden an euch, nicht an ihre Fürsten. Das habt ihr geschickt eingefädelt. Ich würde Beifall klatschen, hätte ich die Hände frei. Bist du Stolz darauf? Freust du dich? Es ist einfacher, ein Volk zu unterdrücken, das keinen Glauben hat, nicht wahr?“

      Der Große Richter war der Grund für den Glaubenskrieg gewesen, folglich hatten die Etarianer den Glauben verboten. Wer ihn dennoch ausübte, wurde bestraft. Saoana hatte gesehen, wie die Menschen, die in ihren Kellern Altäre errichtet hatten, von Henkern ausgepeitscht wurden. Ihre Rücken waren mit blutigen Rissen übersät, ihr entblößtes Fleisch hatte in der Sonne geglänzt.

      „Ihr wart es doch, Fürst. Ihr habt den Glaubenskrieg begonnen“, sagte Xaviin. „Oder habt Ihr das vergessen?“

      Das entsprach der Wahrheit, doch Tiogan sah das anders. Er erhob sich - der Holzstuhl scharrte über den Steinbo­den -, presste die Lippen zusammen und ballte die Fäuste. „Beruhige dich“, sagte die Fürstin und berührte seinen Arm.

      Tiogan