Tonda Knorr

Totenwache 2.Teil


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auch manchmal.“

      „Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Bestimmt meint er damit, dass es nicht in Ordnung ist, einem Kind die Mutter wegzunehmen. Das ist bestimmt schwer zu verstehen für dich. Wir Erwachsenen verstehen das ja manchmal selber nicht. Aber genau das meine ich. Man muss dann immer irgendwie mit der Situation umgehen, und dein Papa und ich tun uns da gerade ein bisschen schwer. Wir haben verschiedene Ansichten, aber das ist ja das Schöne, dass die Menschen so verschieden sind.“

      „Du hast Recht.“

      „Womit?“

      „So richtig verstehe ich das noch nicht.“

      „Ja, das ist manchmal auch ganz gut, wenn man was nicht versteht.“

      Für einen Moment, die Hände übereinandergelegt, zwischen dem Kissen und ihren Wangen vergraben, starrten sich die beiden an ohne ein Wort zu reden. Bei Franzi schien die Müdigkeit verflogen. Mit ihren kastanienbraunen Augen musterte sie Sarah. Der lag aber noch immer etwas auf der Seele, worüber sie mit Franzi reden wollte.

      „Ich weiß, es ist schon spät, aber ich wollte dir noch was sagen bevor ich mit Papa wegfahre.“

      „Na los.“

      „Vorhin, vor eurer Haustür, da hast du gesagt, dass ich ja jetzt auch so was wie deine Mama bin.

      „Stimmt. Ist das in Ordnung, wenn ich das sage?“

      „Oh ja, für mich auf alle Fälle. Das wollte ich dir ja sagen. Ich werde bestimmt nicht den Platz deiner Mama einnehmen können. Alles was ich über sie gehört habe, klang toll. Sie muss eine tolle Mama und bestimmt auch eine tolle Frau für deinen Papa gewesen sein. Ich weiß nicht ob ich auch so ein toller Mensch bin. Ich bin ganz ehrlich, so richtig hatte ich noch nie mit Kindern zu tun. Ich habe oft Angst, Erwartungen nicht erfüllen zu können. Aber ich werde mir Mühe geben und ich will dir auf alle Fälle eine gute Freundin sein. Ich mag dich sehr und ich bin auch ganz stolz darauf, dass ich dich kenne. Es wird aber auch mal passieren, dass wir irgendwann mal nicht derselben Meinung sind. Ich hoffe aber, das kriegen wir dann hin. Genauso, wie wir Erwachsenen das hoffen hinzukriegen.“

      Franzi schaute verunsichert. Vielleicht war ihr das doch alles ein bisschen zu viel um diese Uhrzeit. Sie schien genau zu durchdenken, was sie sagen wollte.

      „Willst du denn nicht meine Mama sein?“

      „Oh! Nein! Ich meine doch! Wie kommst du denn darauf?“

      „Das klingt so komisch was du sagst. So ängstlich. Als ob du nicht genau weißt was du machen sollst?“

      „Das klingt nicht nur so. Na klar will ich so was wie deine Mutter sein. Dazu gehört aber erstmal, dass dein Papa und ich eine richtig feste Beziehung haben.“

      „Habt ihr doch! Wenn Papa frei hat sind wir doch bei dir oder du bist bei uns. Manchmal unternehmen wir was und manchmal faulenzen wir zusammen. Außerdem hat Papa dir doch ein Haus gebaut. Das macht man doch in einer festen Beziehung.“

      „Ja schon, stimmt auch wieder, aber nach einem Jahr kann man eben noch nicht wissen, ob das für die Ewigkeit hält.“

      „Das Haus? Was Papa baut, das hält für die Ewigkeit.“

      „Nein. Ich meine unsere Beziehung.“

      „Hast du Angst, weil ihr euch gestritten habt? War das euer erster Streit?“

      Sarah dachte nach. Nein. Gestritten oder verschiedener Meinung waren sie schon, bevor sie sich überhaupt nähergekommen sind. Aber eigentlich hatten sie das letzte Jahr ohne große Blessuren überstanden. Was ist aber, wenn es mal richtig kracht zwischen ihnen?

      „Ja, ein bisschen habe ich auch Angst. Ich weiß aber nicht, wie ich dir das besser erklären soll.“

      „Also ich finde dich toll. Und ich habe auch manchmal Angst. Genau wie meine Mama manchmal Angst hatte. Und Papa hat mir auch schon mal verraten, dass er manchmal Angst hat. Vor allem, dass mir irgendetwas passiert und er vielleicht nicht da ist. Er hat mir aber auch gesagt, dass er froh ist, dass er dich getroffen hat und dass wir beide uns so gut verstehen. Er war sich nämlich nicht sicher, ob ich das gut finde, wenn da auf einmal eine andere Frau bei ihm ist. Meine Mama hat damals aber gesagt, er soll dafür sorgen, dass ich wieder eine Mama kriege. Eine Oma ist eine Oma, aber ein Kind braucht eine Mama. Er sollte ihr das versprechen. Also, wenn das für dich in Ordnung ist, dann bist du so was wie meine Mama. Ihr müsst euch aber wieder vertragen.“

      Sarah störte nicht im Geringsten, dass ihr, während sie Franzi aufmerksam zuhörte, eine Träne über die Wange rollte. Ihr verschlug es die Sprache. Was sollte sie auch groß erwidern. Verlegen spielte sie mit Franzis Hand. Die richtete sich langsam auf.

      „Wenn du mit Papa dahinfährst, bringt ihr mir was mit?“

      „Aus der Schweiz? Na mal sehen? Was könnten wir dir denn da mitbringen?“

      „Ich weiß nicht. Was gibt’s denn da?“

      „Hm? Schokolade, Käse, teure Uhren…, mal sehen, wir finden bestimmt was. Weißt du denn wo die Schweiz liegt?“

      „Ich habe mir mit Oma eine Karte angesehen. Ist nicht weit. Ist ein ganz kleines Land. Oma sagt, dass ist das einzige Land auf der Welt, dass keine richtige Hauptstadt hat.“

      „Was? Aber Bern ist doch die Hauptstadt?“

      „Sie sagt, Bern ist die Stadt wo die wichtigen Leute sitzen, aber eigentlich haben die keine richtige Hauptstadt. Sie sagt, das ist für mich noch zu schwer, um es zu verstehen und dass die meisten Erwachsenen das auch nicht wissen. Die Armen…, haben nicht mal ne Hauptstadt.“

      „Da kannst du mal sehen, wie schlau deine Oma ist. Ich habe das auch nicht gewusst.“

      „Warst du schon mal da?“

      „In der Schweiz? Ja, mit Lisa zum Skifahren. Die haben da ganz viele Berge. Die haben da sogar den höchsten Berg Europas. Da war es aber sau teuer. Oh…“

      Franzi kicherte los.

      „Ich will auch mal Skifahren. Ist aber bestimmt schwer?“

      „Na dann sollten wir das mal machen. Das lernst du ganz schnell. Umso so kleiner man ist, umso besser lernt man das. Aber heutzutage fahren Mädchen wie du lieber mit einem Snowboard. Da hast du dann keine Skier, sondern so ein Brett, wo du mit beiden Füßen draufstehst. Das ist cooler. Da werden dir dann die Jungs hinterherpfeifen.“

      „Kannst du das auch?“

      „Nee.“

      „Und Lisa?“

      „Auch nicht. Lisa sagt immer, wenn der liebe Gott gewollt hätte, dass wir auf so einem Stullenbrett stehen, dann hätte er uns nicht zwei Beine gegeben.“

      „Verstehe ich nicht.“

      „Ach, ist nur so ein Spruch.“

      „Aber du versprichst mir, dass wir das machen…, und dass ihr euch wieder vertragt?“

      „Dann versprichst du mir aber, dass du jetzt schläfst, und…, dass du zu mir kommst und mit mir redest, wenn dich was bedrückt.“

      Ohne zu antworten legte Franzi ihre beiden Arme um Sarah. „Ich hab dich lieb.“

      „Ich dich auch! Schön dass wir das geklärt haben. Schlaf jetzt.“

      „Bleibst du noch ein bisschen hier?“

      Sarah schüttelte Franzis Kissen auf und legte sich zu ihr.

      „Na klar.“

      Es dauerte nicht lange, bis Sarah unter Franziskas wohlwollender Beobachtung vor Müdigkeit die Augen zufielen. Sie kriegte nicht einmal mehr mit, wie Frank einen Finger vor den Mund haltend, seiner Tochter zublinzelte und leise die Tür zuzog.

      Kapitel 4

      Boris Waschkow und Bernhard Kuntz standen Seite an Seite