Tonda Knorr

Totenwache 2.Teil


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auch die Enttäuschung erspart, von Kuntz knallhart und kompromisslos mit der Realität konfrontiert zu werden. Sie war sich nicht mehr sicher, ob Frank für sie der Schuldige war. Und wieder kam sie nicht drum herum, sich selbst zu hinterfragen. Sie schloss für einen Moment die Augen. Dass sich neben sie jemand auf die Bank setzte vernahm sie, wollte aber den Augenblick völliger Ruhe noch ein bisschen genießen. Vielleicht brauchte jemand genau wie sie den Moment, um mit seinen Gedanken nur für sich zu sein. Vielleicht sogar Franks Mutter. Das angenehmste an Friedhöfen ist nun mal, dass nicht viel geredet wird.

      Sarah verspürte die sanfte Berührung einer Hand. Sie zuckte zusammen und riss die Augen auf. Neben ihr saß Frank und schaute sie mit einem verstehenden Blick an. Sein Gesicht hatte wieder diesen gewissen Ausdruck, der Sarah ein aufs andere Mal dahinschmelzen ließ. Nein, Frank war nicht der Schuldige. Dieser sanfte Blick aus diesem markant kantigen Männergesicht verhieß so viel Liebe, Einfühlungsvermögen und eben diese gewisse Unsicherheit, die Sarah so anziehend fand. Behutsam strich sie ihm über die Wange.

      Seine Bartstoppeln kitzelten an ihren Fingerspitzen. Sie wusste nicht was sie sagen sollte. Ihm sofort verzeihen? Wofür? Hat er was falsch gemacht? Zur Tagesordnung übergehen, als wäre nichts gewesen? Sarah hatte keine Ahnung, wie sie sich verhalten sollte. Sie wusste ja noch nicht einmal, wem sie an dem ganzen Dilemma die Schuld geben konnte. Sich selbst? Dafür war sie noch nicht bereit. Haagedorn…, ja, dem könnte sie die Schuld geben. Aber der ist tot. Für einen Augenblick fühlte sie sich zurückgeworfen in die Zeit, in der sie eine tiefe seelische Leere umgab, da sie Fragen hatte, was sagen wollte, aber nicht wusste was und vor allem wem. Im Gegensatz zu damals, war sie sich aber eines sicher: Sie wird einen Weg, eine Lösung finden und dieser Frank, ihr Kommissar wird dabei eine wichtige Rolle spielen.

      Sie beobachtete ihn dabei, wie er seinen Blick umherschweifen ließ. Wie es schien, war dieser Ort auch für ihn ein geeigneter Platz, völlig abzuschalten.

      „Ich sitze oft hier“, begann er langsam zu reden. „Auch wenn ich mir etwas Angenehmeres vorstellen kann, als regelmäßig auf einem Friedhof zu sein, ist ja nun mal nicht zu ändern, aber Friedhöfe sind für mich immer auch wie ein Spiegel der Zeit. Man spürt förmlich einen Hauch von Kulturgeschichte, Historie, die Architektur der Gräber, vor allem die der alten Familiengräber. Man, ich möchte nicht wissen, was die heutzutage an Bauplänen und statischen Berechnungen einreichen müssten, um so etwas genehmigt zu bekommen. Und dann sind da natürlich die Lebenserzählungen der Verstorbenen. Man muss sich nur die Daten anschauen und schon fragst du dich, wie wohl die Geschichte hinter diesen Zahlen ist.“

      Sarah lauschte aufmerksam Franks Gedankengängen. Ein leichtes Unbehagen machte sich bei ihr breit. Mit ihr hier, am Grab seiner verstorbenen Frau, hatte er bestimmt nicht gerechnet. Sie wusste gar nicht, ob ihm das überhaupt recht war. Vielleicht wollte er diesen einen Ort nur für sich und Franzi behalten? Ihn schützen? Als Oase, als Zufluchtsort, wenn es, wie gerade bei ihnen, in einer neuen Beziehung vielleicht mal nicht so läuft wie es soll. Wenn man dem alten Partner nachtrauert, ihn mit dem neuen vergleicht? Sich vielleicht fragt, ob der neue doch nicht der Richtige ist? Wieder kamen ihr Selbstzweifel.

      „Ich hoffe es stört dich nicht? Franzi…“

      Behutsam wurde sie von Frank unterbrochen, indem er ihr seine Finger auf den Mund legte.

      „Wie könnte mich irgendetwas, was mit dir zu tun hat, stören? Du, du bist jetzt ein Teil von meinem Leben. Und von Franzis Leben. Vermutlich war es ihre Idee. Sie redet manchmal mit ihrer Mutter. Ich soll das zwar nicht wissen, aber was wäre ich denn für ein Vater, wenn ich das nicht merken würde. Ich habe es die erste Zeit ja auch getan. Sie wird ihr schon von dir erzählt haben. Ich hatte nur Angst…“ Jetzt unterbrach Sarah ihn.

      „Keine Angst. Ich habe dir gesagt, dass es mir wichtig ist, dass es mit uns was wird. Das heißt aber nicht, dass ich alles richtig mache und ich habe auch nicht erwartet, dass du alles richtig machst. Ich weiß auch nicht, was ich jetzt wie sagen muss. Aber ihr Beide seid das Wichtigste in meinem Leben geworden. Also werde ich mich anstrengen. Du musst nur Geduld mit mir haben.“

      Vorsichtig zog Frank Sarah zu sich heran. Behutsam strich er ihr übers Haar während er seine Tochter beobachtete. Er hätte Sarah jetzt noch so viel sagen wollen, aber er empfand es als angenehmer, einfach zu genießen, dass sie da war.

      *

      Leise schlich sich Sarah durch Franziskas angelehnte Zimmertür. Sie war sich nicht sicher, ob sie vielleicht doch schon schlief. Franzi wollte so lange es ging, die Zeit mit Frank und ihr genießen in dem Wissen, beide jetzt ein paar Tage nicht zu sehen. Trotzdem musste sie ihrer Müdigkeit irgendwann Tribut zollen. Frank hatte sie liebevoll ins Bett gebracht, musste ihr aber versprechen, Sarah noch mal vorbeizuschicken. Ihr war das nur recht. Zum einen war die Stimmung, trotz des Gesprächs mit Frank auf dem Friedhof, immer noch gedrückt und irgendwie unbehaglich. Zum anderen lag Sarah noch was auf der Seele, was sie mit Franzi unbedingt klären wollte.

      „Franzi?“

      „Komm rein. Ich bin noch wach.“

      „Beim Abendbrot sah das aber anders aus. Kann ich mich zu dir legen?“

      „Klar. Ich weiß doch, dass du hier gerne liegst und dir mit mir meinen Sternenhimmel anschaust.“

      Mit einem Schmunzeln legte sich Sarah zu ihr ins Bett. Zusammen verharrten beide, ohne ein Wort zu sagen, den Blick nicht von den zahlreichen kleinen Leuchtdioden an der Decke über Franzis Bett lassend. Sarah fühlte, wie sie langsam die Müdigkeit übermannte. Am liebsten wäre sie gleich eingeschlafen. Den Tag einfach hinter sich lassen. Sie musste an Franzis Worte denken, dass wenn man im Bett liegt, die Welt in Ordnung ist. Das Schlechte kann man hier ganz schnell vergessen und das Gute nochmal Revue passieren lassen. Sarah tat sich aber schwer damit. Den heutigen Tag einfach so vergessen…?

      „Hast du dich mit Papa gestritten?“

      Sarah drehte sich ihr zu. Was sollte sie jetzt sagen?

      „Wie kommst du darauf?“

      „Naja, ihr seid heute so anders. Sonst, wenn wir zusammen sind, ist es immer lustiger.“

      „Hm? Findest du?“

      Jetzt drehte auch Franzi sich Sarah zu.

      „Bestimmt verstehe ich das noch nicht, aber gemerkt habe ich das schon. Du musst ja nicht antworten. Hauptsache du bist hier, dann wird es vielleicht nicht so schlimm sein.“

      Sarah huschte ein Lächeln übers Gesicht.

      „Weißt du noch, als wir uns das erste Mal begrüßt haben, damals, als Papa meine Treppe ganz gemacht hat? Als ich mich vor dich hingehockt habe? Weißt du noch was ich da zu dir gesagt habe?“

      „Meinst du, dass man Kindern genau so viel Respekt zeigen soll wie Erwachsenen? Das hat deine Mama dir beigebracht. Und das man sich immer in die Augen schauen soll.“

      „Ja, so ungefähr.“

      „So richtig weiß ich aber nicht, was Respekt ist. Nur so ein bisschen.“

      „Na in unseren Fall heißt das, dass ich eben nicht sagen werde, dass du das noch nicht verstehst. Ich werde versuchen, dir die Sachen so zu erklären, dass du sie vielleicht verstehen kannst. Ich weiß zwar nicht, ob ich das hinbekomme, aber ich werde mich bemühen.“

      „Oh, das hat meine Mama auch immer gemacht.“

      Zärtlich strich Sarah Franzi übers Gesicht.

      „Ja, ich weiß. Das finde ich auch so toll an deiner Mama. Also, gestritten…, ja, ein bisschen. Aber das kriegen wir wieder hin. Weißt du, ich habe eine Vorgeschichte. Das erzähle ich dir aber erst, wenn du größer bist. Das ist nichts Schönes. Das erzählt man auch nur Menschen, die einem wichtig sind. Wenn überhaupt. Aber du bist mir wichtig und wenn es soweit ist, werde ich dir das auch erzählen. Auf alle Fälle habe ich daran noch ganz schön zu knabbern und manchmal will ich das nicht wahrhaben.

      Und dein Papa, der weiß genau wie ich manchmal nicht, wie man sich dann richtig verhalten