Tonda Knorr

Totenwache 2.Teil


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Sina umgehst, glaub mir mal, da waren sie nicht nur stolz auf ihre Tochter, sondern auch stolz auf die Hauptkommissarin.“

      „Die im Ruhestand ist…, mit 35.“

      Franks Mutter ließ Sarahs Worte unkommentiert. Was sollte sie auch groß erwidern.

      „Ich werde noch verrückt in dieser Welt. Nie weiß man woran man ist. Immer wenn man eine Linie gefunden hat, kommt irgendetwas, was dich wieder aus der Spur haut.“

      „Eins habe ich gelernt in all den Jahren. Wundere dich nicht, wenn du verrückt wirst. Die Welt…, das Leben ist so. Gerade in der heutigen Zeit, bei diesem höllischen Tempo. Wundere dich, wenn du es nicht wirst. Du hast dich vielleicht zu sehr darauf versteift wieder in den Polizeidienst aufgenommen zu werden. Und jetzt bist du enttäuscht. Man braucht dich, das gefällt dir. Aber nicht zu deinen Bedingungen, das gefällt dir nicht.“

      „Mein Leben scheint ein einziger freier Fall zu sein. Nichts scheint zu klappen, so wie ich das will.“

      „Oh, das klang bei deiner Rede aber noch ganz anders. Auch eine kaputte Uhr geht zweimal am Tag richtig. Wenn dein Leben ein einziger freier Fall sein soll, dann sei froh, dass du noch nicht aufgeknallt bist. Frank sagt immer, das Leben ist wie ein Kampf. Eine hochgradig dynamische Situation. Man muss immer auf irgendeine neue Situation reagieren. Ob man will oder nicht, man muss! Ist was dran, auch wenn es mächtig militärisch klingt. Du musst wieder zurückfinden zu deiner Linie. Er musste lernen damit umzugehen, wie ein Leben ohne den liebsten Menschen ist. Franziska musste lernen damit umzugehen, ohne Mutter aufzuwachsen. Aber sie haben beide ihre Linie wiedergefunden. Und du bist jetzt Teil dieser Linie. Durch dich haben sie - vor allem Frank - diese Linie wiedergefunden und vielleicht hast du durch sie auch deine wiedergefunden. Jetzt müsst ihr gemeinsam, wenn euch etwas daran liegt, auf dem Weg bleiben, wenn es denn der richtige zu sein scheint. Gehe aber davon aus, dass euch das noch ein paarmal passieren wird.“

      Sarah lauschte aufmerksam den Worten. Herzlich klangen sie. Weise und lebenserfahren. Sie beobachtete Franks Mutter während sie redete und fragte sich, wie sie ohne viele Worte benutzen zu können, ihren gehörlosen Schülern in ihrer Zeit als Lehrerin, so viel Lebensweisheit vermitteln konnte.

      „Und? Was soll ich jetzt tun?“

      Mit einem Lächeln und einen Blick auf Sarahs Tasche erhob sie sich.

      „Du hast dich doch schon lange entschieden. Flieg mit Frank nach Bern, auch wenn es gerade ein bisschen rumort bei euch. Ob nun als Hauptkommissarin oder als Sarah Fender, es brennt dir doch unter den Nägeln, die Sache zu Ende zu bringen. Das ist doch genau deine Linie!“

      „Er war nicht offen zu mir. Er hat mir nicht die Wahrheit gesagt.“

      Franks Mutter zögerte kurz, bevor sie auf Sarahs Bemerkung einging.

      „Aber du bist doch hier. Mit Tasche. Die Wahrheit ist kein alleinstehender Wert an sich. Es ist manchmal heikel, die Wahrheit zu sagen. Anscheinend gibt es verschiedene Arten davon. Wahrheit kann sehr zerstörerisch sein. Man muss immer abwägen, wem sie nutzt. Es ist doch auch für ihn neu.“

      „Neu?“

      „Ihr seid jetzt fast ein Jahr zusammen. Aber ihr lernt euch auch immer noch ein bisschen kennen, und ab und zu gibt es halt Situationen wo er nicht genau weiß, wie er es richtig macht. Er hat sich tatsächlich nochmal richtig verliebt. Gott was bin ich dankbar, dass er dich getroffen hat. Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, dass ihm das nochmal passiert. Er hat Franzis Mutter über alles geliebt, das stand ihm bis vor einem Jahr im Weg. Aber die Tragik einer Liebe, wie er sie geliebt hat, die besagt doch nicht, dass man sich nicht neu verlieben kann. Er will aber nicht nochmal einen Menschen verlieren, der ihm so wichtig ist. Also versucht er alles abzuschirmen, was dem Wohl dieses Menschen abträglich ist. Vielleicht hat er geahnt, dass man dich nicht wieder in den Polizeidienst lässt und gewusst, wie du darauf reagieren wirst. Und das wollte er solange es geht von dir fernhalten.“

      „Trotzdem. Ich bin ein Mensch der offen für alles ist. Mir kann man alles sagen, ich kann damit umgehen. Ich dachte er weiß das. Was soll mich denn noch erschüttern?“

      Liebevoll legte Franks Mutter ihre Hand an Sarahs Wange.

      „Sarah. Na wie es aussieht erschüttert es dich doch gerade.“

      „Mich erschüttert…, naja erschüttern ist das falsche Wort, …mich ärgert so was eben. Wenn wir uns lieben, will ich, dass wir eine Einheit sind. Er muss so was nicht von mir fernhalten. Ich kann mich dem schon stellen. Er soll an meiner Seite sein, wenn ich damit umgehe.“

      „Das ist er doch. Du musst das nur zulassen.“

      Zuversichtlich, vielleicht ein wenig zufriedener als vorher erhob auch Sarah sich. Für einen Augenblick lagen sich die Frauen in den Armen, ohne zu bemerken, dass Franzi mittlerweile neben ihnen stand.

      „Können wir jetzt? Mama wartet schon.“

      „Mama?“

      „Ja. Wir gehen auf den Friedhof.“

      „Oh. Na dann geht mal, ich warte hier.“

      Franks Mutter wühlte in ihrer Tasche.

      „Ich gebe dir meinen Schlüssel, dann kannst du oben warten. Langsam könnte Frank dir ruhig mal…“

      „Komm doch mit“, mischte Franzi sich ein. Überrascht schauten die beiden Frauen Franzi an.

      „Ich weiß nicht. Ich will euch da nicht stören.“

      „Du bist doch jetzt auch so was wie meine Mama. Dann lernt sie dich mal kennen.“

      Skeptisch schaute Sarah in das fröhliche Gesicht des kleinen Mädchens. Sie bewunderte sie für ihre Leichtigkeit. Als ob es das Normalste der Welt war, lud sie die Freundin ihres Papas ein, das Grab ihrer Mutter zu besuchen. Und das mit elf Jahren. Es schien für sie wie selbstverständlich zu sein, dass es da eine neue Frau an der Seite ihres Papas gibt. Das ist das, was Franks Mutter wahrscheinlich meinte: Immer zurückfinden zur Linie, weil man muss. Aber dass ein Kind in dem Alter das schon so verinnerlicht? Fragenden Blickes drehte sich Sarah zu Franks Mutter. Ein kurzes Nicken bestätigte sie in ihrem Entschluss.

      „Tja, du siehst, manchmal klappt das sogar bei Kindern.“

      *

      Ein wenig abseits hatte es sich Sarah auf einer Bank bequem gemacht. Sie beobachtete Franziska, wie sie liebevoll das Grab ihrer Mutter pflegte. Sie wollte sie dabei nicht mit ihrer Anwesenheit bedrängen. Auch Franks Mutter nahm sich ein wenig zurück und ließ Franzi in ihrem Eifer freien Lauf. Ab und zu konnte Sarah erkennen, wie sich Franzis Lippen bewegten. Wahrscheinlich war das der Moment, wo sie, wie sie ihr erzählt hat, heimlich mit ihrer Mutter sprach. Verständnisvoll lächelte Sarah.

      Sie genoss die Ruhe, die auf einem Friedhof zwangsläufig herrschte. Noch mal richtig abschalten in der Unwissenheit, was die nächsten Tage wohl bringen werden, starrte sie ziellos umher. Ihr Blick schweifte über die zahllosen Gräber. Ihr fiel auf, dass sie, soweit sie sich erinnern konnte, erst einmal, bei der Beerdigung von Gustavs geliebter Hilde, auf einem Friedhof war. Glücklicherweise musste sie weder in ihrer Familie noch in ihren Jahren bei der Polizei den Tod eines Angehörigen oder Kollegen beklagen. Trotzdem konnte sie sich nicht der ganz eigenen Atmosphäre eines Friedhofes entziehen.

      Ihr Blick fiel auf einen jüdischen Grabstein. Der Davidstern erinnerte sie wieder an die Sache mit den Kunstgegenständen. Das Gespräch in Sinas Schlafzimmer, kurz vor dem Richtfest in Glostelitz. Der Moment, wo sie mit Waschkow, Sina und der kleinen Franzi vor dem Grab der Familie Rosenbaum stand. Und da war er wieder, der Augenblick wo sie sich selber eingestehen musste, dass der Fall für sie noch nicht zu Ende war. Lisa hatte Recht. Es ratterte in ihr und sie ahnte bereits, dass die Angelegenheit in Bern mehr verbarg, als es im Moment den Anschein hatte. Sie brannte darauf, die Sache zu Ende zu bringen, mit Frank. Ihrem Frank, ihrem Kommissar. Trotzdem nahm sie sich vor, ihn irgendwann im richtigen Augenblick zu fragen, wie er die Sache mit ihr sieht. Warum nur musste Lisa sie erst wieder darauf stoßen? Warum ist sie von selbst nicht schon auf die Idee gekommen, Frank zu fragen, wie seine Meinung