Jasmin Salfinger

Teufels Träume


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was passiert?" Fragte Emilia sofort und starrte ihre Freunde der Reihe nach an. Bevor jedoch einer ihrer Freunde eine Antwort geben konnte sah Emilia sich erschrocken um: "Wo ist Mel? Nein, nein sie ist doch nicht etwa-?" Der Moment dauerte nur eine kurze Millisekunde lang. Es war lang genug um ihr einen Vorgeschmack darauf zu geben was es bedeuten würde einen wichtigen Menschen in ihrem Leben zu verlieren. Ein Ohnmächtiges Gefühl, dass einem den Boden unter den Füßen wegzog.

      "Nein Lia, ihr geht's gut! Mel geht's gut, sie war nicht in der Schule! Sie war nicht da!" beruhigte Ben sie sofort.

      "Aber- die Chemielabore... Die 5A wurde vom Feuer überrascht und mit den ganzen Chemikalien darin..." Ben sah betreten zu Boden. Die 5A war ihre Parallelklasse gewesen. Die Klassen blieben meist eher unter sich, doch jeder hatte hier und dort ein paar Freunde in der anderen Klasse.

      "Sie sind wahrscheinlich alle tot."

      Emilia sah ihn an als ob er sie gerade geohrfeigt hätte. Ein Drittel des Abschlussjahrgangs konnte nicht von den einen auf den anderen Tag ausgelöscht sein.

      Emilia räusperte sich: "Wahrscheinlich? Was soll das heißen?" Fragte sie krächzend nach.

      "Wegen der ganzen Chemie kann dort nur eine Spezialeinheit rein und naja... Die konnten noch nicht alle Leichen rausholen und identifizieren." Sagte Alex. Corrinn war nicht mehr im Stande dazu etwas zu sagen.

      Emilia starrte nun ebenfalls zu Boden. Leise fragte sie: "Wer ist definitiv tot?" Sie musste wissen welche ihrer Schulfreunde zu Grabe getragen wurden.

      "Larrissa Mc Colden" kam es von Corrinn. Sie hatte ihre Stimme wieder, nur um elf Namen hintereinander zu nennen. Elf Namen die vor wenigen Stunden noch individuelle Leben bedeuteten und bald nur mehr als Erinnerungen auf einem Grabstein stehen würden.

      „Marty Stoller.“ Fiel ihr Emilia plötzlich ins Wort. Sie hörte sich selbst diesen Namen sagen, ohne zu registrieren was sie tat. Vor ihrem inneren Auge war Marty aufgeblitzt. Ein sechzehnjähriger mit dem sie noch nie ein Wort gewechselt hatte.

      "Was?" Fragte Alex und runzelte die Stirn. "Nein, Marty ist gar kein Fünftklässler?!"

      "Nadya Bohm, Felix Zcek" sprach Emilia weiter ohne auf Alex zu reagieren. Es flimmerten Bilder vor ihrem geistigen Auge vorbei. Bilder die sie einfach nicht abschütteln konnte, von Kindern, nein keine Kinder… fünfzehn und sechzehnjährige.

      "Ich glaube sie hat einen Anfall!" Sagte Ben gestresst "Ich hol schnell ihre Mom."

      Er drückte sich an Emilia vorbei und lief hinaus.

      "Okey, Lia setz dich!" Sagte Alex und wollte sie zu einem der Stühle bugsieren. "Corrinn, gib mir mal ein Glas Wasser." Bat er sie. Doch Corrinn reagierte gar nicht, sie sah auf ihr Handy das gerade vibriert hatte, sah mit geöffnetem Mund hoch und starrte Emilia an.

      "Was?" Fragte sie Alex, weil ihre Stille ihn verwirrte.

      "Desiree hat mir geschrieben." (Desiree war die derzeitige Schulsprecherin und Freundin von Corrinn) "Marty Stoller, Nadya Bohm und Feli Zcek sind tot. Sie wurden gerade identifiziert."

      Alex sah zwischen ihr und Emilia hin und her. Ab jetzt schien es wohl auch mit seiner Fassung am Ende zu sein.

      "Woher wusste du das?" Platzte er ungläubig heraus. Emilia sah ihn an und konnte keine Antwort geben. Woher hatte sie das gewusst? Woher nur? So als ob sie Vorhergesehen hätte wer in den Flammen verbrannt war. Ihr Hirn fing an heiß zulaufen wie ein Uhrwerk voller Zahnräder. Da warf eines der Zahnrädchen in ihrem Kopf einen Funken… ihr Fiebertraum. Dieser elendig heiße Traum, der sich anfühlte als wäre sie in Flammen aufgegangen. Wenn sie ihren Kopf fest anstrengte, konnte sie sich an Bilder aus diesem Traum erinnern. Bilder von Gängen in denen das Feuer loderte, und ebenjenen Kindern die darin umkamen. Konnte das möglich sein? Nein, das war absurd… oder etwa doch?

      Sie öffnete den Mund und sprach ohne nachzudenken, mit einer Stimme so leicht wie der Wind auf einem Friedhof: "Ich hab es geträumt"

      Leichen Sommer

      Es war heiß und die Sonne prallte hoch am Himmel stehend auf die schwarze Zusammenkunft. Ein Massenbegräbnis sollte für die Toten und deren Verbliebene sein. In St. Monterose wurde selbst diese Tragödie zur Schaustellung des Luxus. Ein Sarg war protziger als der andere. Die Trauergäste wollten sich mit ihren übertriebenen schwarzen Roben bis ins Geschmacklose übertreffen. So sah es zumindest aus. Haute Couture, frisch vom Laufsteg. Wie könnte man einem Toten sonst gebührend Respekt zollen? Der Friedhof von St. Monterose lag etwas Abseits auf einer Erhöhung umkreist von sanft grünen Bäumen. Sachte wogten die Blätter im Wind und bescherten dem Friedhof eine friedliche Ruhe. Durch die verzweigten Blätter konnte man das prunkvolle Viertel überblicken. Emilia schwitze in ihrem schwarzen Kleid und stand unbequem auf hochhackigen Schuhen. Die gesamte Schule, Eltern, Lehrer, Freunde und Verwandte der 27 Toten Schüler hatten sich zwischen den Grabsteinen versammelt. Die komplette Schülerschaft war für eine Woche freigestellt worden. Es waren alle erschienen um den Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen.

      Es war eigentlich unpassend wie sehr die Sonne schien, und wie strahlend der blaue Himmel heute war. Zwischen den Gräbern hätte man mehr Düsternis erwartet.

      Ein Pfarrer ging die Reihe an Särgen entlang, salbte sie und sprach Gebete. Der Schuldirektor, der Vorsitzende des Elternbeirates und sogar Emilias Vater (als inoffizieller Bürgermeister) traten nach einander vor die Menschenansammlung und sprachen tröstende Worte aus. Es waren aber nur Floskeln, denn was könnte man sagen, dass in dieser Situation helfen würde. Nichts.

      Emilia verrenkte sich den Hals, während sie auf hohen Schuhen balancierend versuchte Mel irgendwo zu erspähen. Sie sah Alex und Ben, jeweils in schwarzen Smokings bei deren Familien stehen. Corrinn stand hinter ihr, ebenfalls neben ihren Eltern. Selbst mit Trauermiene sah sie aus wie eine frisch aus dem Ei gepellte Barbie.

      Emilias Blick wanderte herum und blieb an Marty Stollers Sarg hängen. Sie betrachtete seine beiden großen Schwestern die schluchzend daneben standen. Sie hatte die seltsame Situation mit Corrinn und Alex in der Küche nicht vertieft. Die Erwachsenen waren dazu geplatzt. Je mehr Tote bekannt geworden waren, umso größer war der Radau geworden und das Gespräch zwischen den Freunden war beendet gewesen. Es war verstörend; sie hatte gewusst das Marty Stoller und die anderen tot waren. Noch bevor sonst jemand es gewusst hatte. Marty Stoller war nicht einmal in der Abschlussklasse. Er und die anderen Sechzehnjährigen waren nur wegen eines Projektes in den Chemielaboren bei den Fünftklässlern gewesen. Leider zur falschen Zeit am falschen Ort. Wie hätte Emilia erahnen können, dass Marty Tod war... ? Sie hatte zu Corrinn und Alex gesagt sie hätte es "geträumt". Das war verrückt.

      Emilia schüttelte sich, beendete die Kopfzerbrecherei und sah sich wieder nach Mel um. Sie erspähte sie ein paar Reihen weiter rechts, neben ihrem Vater Dr. Salveter. Ihr feuriger Haarschopf stach glühend aus all dem Schwarz hervor.

      Der kurze Moment, in dem Emilia gedacht hatte, Mel sei in dem Feuer gestorben, hatte genügt um sie mit brechreizender Angst zu füllen. Umso wichtiger war es, dass die beiden wieder ins Lot kamen. Sie waren Schwestern, von der Wiege bis zur Bahre. So hatten sie es sich versprochen.

      Mel war ihr die gesamte Woche erfolgreich aus dem Weg gegangen, doch hier bei dem Begräbnis, konnte sie nicht davonlaufen. Niemand konnte neben so einer Tragödie sich weiter streiten wollen. Sie würden sich wieder vertragen. Der Wind fegte durch die schwarze Schar der Anwesenden und sorgte für etwas Kühlung zwischen den Grabsteinen unter der gleißenden Sonne. Die Zeremonie kam langsam zu Ende. Es wurden Gebete gemurmelt und Beileid ausgesprochen. Dann löste sich die schwarze Prozession auf und ein düsteres Gewusel drängte den Friedhof hinaus. Emilia sah wie Dr. Salveter zu seinem glänzenden Wagen ging, während Mel kurz dageblieben war, um bei Mitschülern ihr Beileid auszusprechen. Das war die Gelegenheit. Mel verabschiedete sich und wollte ihrem Vater auf den Parkplatz folgen, doch Emilia rief ihr hinterher.

      "Mel, warte mal."

      Mel drehte sich nicht um, aber sie war stehen geblieben. Emilia blieb ein paar Schritte hinter ihr stehen und setzte an: "Mel, hör mal-"