Jasmin Salfinger

Teufels Träume


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sie auf den Knien und wollte Melicas Arme ergreifen. Doch ihre Hände waren auf einmal rot. Voll von Blut. Woher kam das viele Blut, das an ihren Händen klebte und ihren Arm hinab sickerte. Es war Melicas Blut, aus den Wunden in ihrem Brustkorb.

      Emilia wurde klar, dass sie selbst den gellenden Schrei von zuvor ausgestoßen hatte.

      Die Welt bekam vor ihren Augen einen nebeligen Schleier und schwer atmend, drückte sie die zittrigen Hände fest auf Melicas blutgetränkten Brustkorb. So als könnte sie das Leben wieder in sie hineinpressen, dass mit der dicken dunklen Flüssigkeit stetig aus ihr heraus floss.

      Doch Melicas weit aufgerissene Augen, waren bereits kalt und leblos. Nur mehr ein letzter Rest Todesangst schimmerte auf ihren Pupillen.

      Andere Geräusche machten sich bemerkbar. Schritte, dann Stimmen, Rufe die immer lauter wurden. Erst ruhig und dann entsetzt.

      Emilia achtete nicht darauf. Alles was jetzt wichtig war, war Mel fest zu halten. Sie durfte nicht gehen! Sie würde all das Blut wieder in sie hineinpumpen!

      Die Zeit wurde zu einer unbestimmten Masse die an Emilia vorbeifloss. Sie bemerkte nicht einmal wie aus einzelnen Schritten, viele Schritte wurden. Sie hörte die Sirenen nicht und sah auch nicht das blinkende Blaulicht das auf die Wände fiel. Hinter trudelten Polizei und Rettungswagen ein. Jemand hatte das Spektakel mit angesehen und dann entsetzt die Behörden verständigt.

      Emilias Blickfeld verzerrte sich, die Welt schien zu schwanken, während sie ihre Augen nicht von ihren blutverschmierten Händen lassen konnte.

      Jemand schrie sie von hinten an, und als sie nicht darauf reagierte, kamen die Schritte näher, bis sie direkt hinter ihr waren.

      Jemand packte Emilia grob an den Schultern. Sie wollte sich wehren, wollte bei Mel bleiben, aber ihr war so schwindelig. Sie schaffte es gerade mit ihren blutigen Fingern an den Handgelenken die sie umklammerten zu kratzen. Dann wurde sie davon bugsiert. Weg von Melica und weg von der Blutlache in der sie kalt und leblos lag.

      Emilia konnte kaum etwas hören, alles war dumpf; die Menschen rund um sie herum, die Stimmen und die Autos die vorbeifuhren.

      Sie wurde in einen Polizeiwagen gesetzt. Schlaff wie eine Puppe ließ sie alles mit sich geschehen und saß stumm auf dem Rücksitz. Ihr Hirn war blockiert und leer, sie verstand einfach gar nichts mehr.

      Der Wagen setzte sich in Bewegung und fuhr los. Im Vorbeifahren sah Emilia aus den Augenwinkel wie Sanitäter eine Bahre hin zu dem Rettungswagen schoben. Darüber lag ein Laken und unter diesem Laken, wusste Emilia, lag Melica Salveter. Kalt, erstarrt, blutleer und tot.

      Weiße Schuld

      Man führte Emilia durch unzählige finstere Gänge. Die Wände waren kahl und Leer. Der Boden war aus stinkendem Plastik und grelles, weißes Neonlicht leuchtete von oben auf sie herab.

      Emilia hatte keine Ahnung wo sie langgefahren waren, es interessierte sie auch nicht sonderlich. Es war als befände sie sich in einer anderen Welt. In einer Welt die dumpf und hohl war und in der keine Gefühle existierten. Es gefiel ihr hier… hier musste man an nichts denken.

      Ein kleines Pochen in ihrem Kopf, mahnte sie diese schützende, dumpfe Welt zu verlassen und in der Gegenwart zu bleiben. Aber dann würde sie wieder fühlen…. Und das wollte sie nicht. Da warteten nur Schreckliche Dinge die ihr Verstand verarbeiten müssen würde.

      So schlurfte sie teilnahmslos weiter, durch immer mehr Flure und Türen.

      Man geleitete sie in einen fensterlosen, engen Raum. Er war leer, bis auf ein kleines Bett in einer Ecke und einer Toilette in der anderen. Die Tür schlug hinter ihr zu und sie war allein.

      Kraftlos setzte sie sich auf das Bett, stierte auf die Wand gegenüber und regte keinen einzigen Muskel mehr.

      Vor der Tür liefen hektische Schritte hin und her, Menschen redeten laut durcheinander. Emilia blendete alles aus. Zähe Klumpen von Zeit bröckelten nur so dahin.

      Sie hätte nicht sagen können wie lange sie bereits in diesem kalten Raum saß. Minuten? Stunden? Tage? Keine Ahnung.

      Die Tür flog wieder auf, und ihre Mutter, gefolgt von einem besorgten Vater stürmte auf sie zu. Leatrice umarmte sie, sah die noch immer blutverkrusteten Hände ihrer Tochter und brach in Tränen aus. Sie umklammerte Emilia noch fester.

      Ihre Eltern redeten fieberhaft auf sie ein, doch Emilia verstand gar nichts. All die Wörter machten keinen Sinn.

      Ihr Vater blickte zur Tür, anscheinend hatte ihn jemand gerufen. Er ging zurück auf den Gang und sprach mit einem Mann in einem weißen Kittel. Emilia konnte das Wort „Schock-Zustand“ hören, sprach man etwa über sie?

      Ihre Mutter strich ihr sanft über das Haar, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und ging ebenfalls hinaus. Die Tür fiel zu, Emilia war wieder allein und fuhr damit fort auf die Wand zu starren und an ja nichts zu denken. Bis die Tür erneut aufging, wie viel Zeit war jetzt vergangen? Fünf Minuten? Nein, es mussten mehrere Stunden gewesen sein, denn es war wieder Leatrice, Emilias Mutter. Doch sie trug andere Kleidung und hatte eine kleine Reisetasche bei sich.

      Persönliche Gegenstände? Aha war alles was Emilia sich zu denken wagte, ihre Mutter ging diesmal nicht, eine andere Frau kam zu ihnen, ebenfalls mit weißem Kittel. Sie führte Emilia hinaus, schob sie in einen Waschraum und stellte sie unter eine Dusche.

      Emilia sah zu wie der Schaum das Blut von ihren Händen wusch und eine rosa gefärbte Schaummasse in den Abfluss rann.

      Jemand hatte ihr frische Anziehsachen hingelegt, es waren ihre eigenen, die kamen wohl aus der Tasche die ihre Mutter mitgebracht hatte. Auch Schuhe waren dabei, erst jetzt fiel ihr auf, dass sie die ganze Zeit barfuß unterwegs gewesen war.

      Sie wurde zurück in ihren Raum gebracht, wo noch immer ihre Mutter saß und zwei weitere Personen hatten sich dazu gesellt. Ihr Vater und ein anderer Herr mit Anzug und Krawatte. Emilia nahm keinerlei Notiz von ihm und setzte sich einfach wieder auf das Bett. Ihr Vater redete sich mit dem Mann heiser. Er hatte graues Haar, obwohl er ansonsten gar nicht so alt wirkte und hinter seinen eckigen Brillengläsern ruhten wachsame Augen. Vermutlich auch ein messerscharfer Verstand. Der Mann richtete öfters das Wort an Emilia, er wurde aber aufgrund ihrer Teilnahmslosen Art zunehmend resignierter. Emilia bekundete nicht einmal seine Existenz.

      Schließlich gingen sie alle wieder und dann wurde es still um sie herum. Sehr still. Nicht einmal mehr am Gang konnte sie jemanden hören. Hin und wieder brachte ihr eine Dame ein Tablett mit etwas zu essen, nicht dass sie es wirklich angerührt hätte. Emilia schätzte an der Anzahl wie oft die Dame ihr etwas zu Essen brachte, wie viele Tage wohl vergingen. Drei Tabletts standen für einen Tag, wenn man ihr auch tatsächlich drei Mahlzeiten am Tag brachte. Das wären jetzt also vier, fünf, sechs Tage… eine Woche? Emilia fragte nicht, was jetzt geschehen würde oder wann sie wieder nach Hause gehen dürfte. Sie bekam jedoch viel Besuch. Immer wieder kamen die verschiedensten Leute zu ihr. Anzugmänner, Krawattenträger, hin und wieder auch eine Frau oder ein Mann im weißen Kittel und alle redeten auf sie ein. Befragten sie, hielten ihr irgendwelche Fotos vor die Nase, dabei wollte Emilia doch einfach nur in Ruhe gelassen werden und weiterhin die Wand anstarren. Weiterhin in ihrer dumpfen, kleinen, schmerzlosen Welt versinken. Sie ignorierte alles und jeden, gab keine Antworten, würdigte sie nicht einmal eines Blickes und betrachtete kein einziges der mitgebrachten Bilder.

      Auch schien ihre Erinnerungen Lückenhaft zu sein, manchmal waren Leute in ihrem Zimmer und das nächste Mal, wenn sie aus ihrer Versunkenheit erwachte waren ganz andere Leute oder niemand mehr da. Sie saß einfach nur stumm da oder schlief, wobei selbst ihre Träume dumpf und leer wirkten. Sie sah die ganze Zeit nur ihre Freunde, ihre Familie und andere bekannte Gesichter, und diese starrten sie aus der Ferne stumm an. Emilia schob diese Träume ebenfalls beiseite.

      Irgendwann hörte sie draußen vor der Tür laute Männerstimmen „… sie ist dazu im Stande, sie kann teilnehmen!“ raunte jemand. Eine erboste andere Stimme versprühte ein paar Schimpfwörter, verstummte dann aber.

      Drei