Elle West

Die Glocke


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er dorthin.

      Er hatte bereits mehr als eine Minute seiner Zeit verloren. Dann endlich sah er sie. Schon aus der Ferne konnte er erkennen, dass sie sich nicht gut fühlte. Sie wirkte blass, müde und sie hatte geweint.

      „Kate.“, sagte er und griff ihren Arm.

      Sie zuckte zusammen und brach sofort in Tränen aus, als sie sich in seine Arme warf. „Fin!“, schluchzte sie und umklammerte ihn ängstlich. „Ich dachte, du wärest tod…ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen, so wie Rhys oder Jenkins oder meine Schwester.“

      Er berührte ihr Gesicht, senkte den Kopf, um sie besser ansehen zu können. „Hey, schon gut, Baby.“, sagte er und küsste sie auf die Lippen. Sie musste sich ein wenig beruhigen, damit sie ihm zuhören könnte. „Geht’s wieder?“

      Sie nickte, weinte aber noch immer. „Was…? Wieso bist du hier? Ich dachte, sie hätten dich gekriegt. Als du heute Morgen nicht neben mir lagst, dachte ich wirklich, ich wäre jetzt ganz alleine.“

      Fin nickte nun seinerseits knapp. „Sie haben mich gekriegt.“, antwortete er. „Aber es ist nicht die Mafia.“, setzte er erklärend hinzu. „Pass auf, Katy. Ich muss gehen.“

      „Dann komme ich mit.“, erwiderte sie verzweifelt. „Ich komme mit dir. So ähnlich hatten wir es doch geplant.“

      Er küsste sie auf die Stirn und schüttelte den Kopf. Die Zeit lief ihm davon. „Nein, das geht nicht mehr.“, sagte er, was sie erneut zum Weinen brachte. „Süße, bitte. Ich muss gleich gehen. Wir haben keine Zeit.“

      Kate versuchte, sich zusammen zu reißen, blickte ihm in die schönen blauen Augen und konnte selbst nicht aufhören, zu weinen. „Okay.“

      „Ich werde heute verschwinden, aber du wirst hier bleiben. Niemand wird dir etwas tun. Diese Leute, mit denen ich gehe, sind nicht von der Mafia. Sie werden mir nichts tun und auch dir nicht. Verstehst du?“

      Kate nickte, wenngleich sie nicht ganz verstand, was hier los war. „Okay, wir beide werden in Sicherheit sein.“

      Er lächelte liebevoll. „Ja, genau.“, sagte er und küsste erneut ihre weichen Lippen. „Alles wird gut werden. Du weißt, wo ich mein Geld versteckt hab’. Ich werde es nicht mitnehmen. Hol es dir heute Abend und versteck es in deiner Wohnung.“

      Wieder nickte sie. „Was ist mit Rachel? Sie ist auch verschwunden. Hängt das zusammen, Fin?“

      Fin erinnerte sich, dass er nichts über Kates Schwester sagen sollte. „Schon gut, ich kümmere mich um sie. Vertrau mir.“

      Kate erkannte, dass der breitschultrige Mann hinter Fin ihn zur Verschwiegenheit anhielt. Also nickte sie. „Okay, ich vertraue dir.“

      „Gut. Also du nimmst dir das Geld, ja? Vielleicht solltest du es nehmen und damit weit weg von hier gehen, Katy. Fang von vorne an.“

      „Okay.“, erwiderte sie und umklammerte sein Hemd. „Ohne dich…-“

      Er zog sie in seine Arme und umschloss sie fest. „Ich liebe dich, Kate.“, sagte er und küsste sie aufs glänzende Haar. „Wenn ich dich nicht wiedersehe, dann bin ich zufrieden, dich überhaupt solange gekannt zu haben. Ich will, dass du glücklich wirst. Heirate, kriege süße Kinder und denk’ nicht mehr an mich.“

      Sie wich ein wenig zurück, um ihn ansehen zu können, legte ihre Hand an seine Wange. „Niemals, Baby.“, entgegnete sie lächelnd. „Ich werde dich immer lieben, Fin. Und ich werde warten, bis du zu mir zurück kommst. Das verspreche ich dir.“

      Ihm traten die Tränen nun ebenfalls in die Augen. „Das will ich nicht.“, sagte er, obwohl ein Teil von ihm es doch wollte. „Ich will, dass du alles vom Leben kriegst, was du dir immer gewünscht hast. Versprich mir, dass du leben wirst, dass du glücklich sein wirst.“

      Sie nickte schluchzend.

      „Fin.“, sagte Ryan hinter ihm. Die Zeit war abgelaufen. Ryan hielt den Kopf ein wenig gesenkt, weil ihm offensichtlich auch nicht gefiel, sich in dieses persönliche Gespräch zu mischen.

      „Ok.“, sagte Fin, zu ihm. Dann sah er Kate wieder an, küsste sie ein letztes Mal. Betrachtete ein letztes Mal ihr hübsches Gesicht, die großen, braunen Augen, das ebene, strahlende Lächeln. „Leb wohl, Katy. Und pass auf dich auf.“

      Kate nickte. „Okay. Du auch auf dich, Baby.“, flüsterte sie aufgelöst. „Ich liebe dich.“

      Fin zwang sich, zu lächeln. „Und ich liebe dich.“

      Dann ließ er ihre Hand los und folgte Ryan ohne sich noch einmal nach ihr umzudrehen. Er konnte sie, trotz der lauten Arbeitsgeräusch um ihn herum, zusammen brechen hören, weinend. Es brach ihm das Herz und deshalb konnte er sie nicht noch einmal ansehen. Er wusste nicht, ob er dann weiter gehen könnte. Aber er musste weiter gehen. Er musste sie los lassen.

      „Tut mir leid, Mann.“, sagte Ryan auf dem Weg zum Laster. „Du liebst sie wirklich, he?“

      Fin sagte nichts, nickte nur knapp. Er konnte nichts sagen, war zu sehr darauf konzentriert, seine Tränen zurück zu halten.

      „Es ist besser so, denk’ ich.“, sagte Ryan seufzend. „Rettet ihr wahrscheinlich nicht nur das Leben, sondern macht es auch zu einem Besseren.“

      Fin sah ihn an. Erneut war er sicher, dass der Ire meinte, was er sagte. Und Fin fragte sich plötzlich, ob er tatsächlich Recht hatte. Würde Kate nun, da er weg war, ein besseres Leben haben? War er es gewesen, der sie zurück gehalten hatte? Zumindest hatte er sie erst in Gefahr gebracht. Das hatte er immer gewusst, nur war er zu selbstsüchtig gewesen, um sie deshalb aufzugeben. Er hatte sie zu sehr gebraucht. Sie hatte sein Leben erst lebenswert gemacht. Wenn er darüber nachdachte, wurde ihm bewusst, dass sie immer das Gute in seinem Leben gewesen war. Doch er hatte ihr nicht das Gleiche gegeben. Er hatte sie in Schwierigkeiten gebracht und nun hatte er ihr das Herz gebrochen. Vermutlich wäre es ehrenwerter gewesen, sie gehen zu lassen, als er bemerkt hatte, dass er ihr nicht geben konnte, was sie verdiente. Nur hatte er sich mit aller Macht an die Hoffnung geklammert. Und sie war immer seine Hoffnung gewesen. Kate hatte ihn zu einem besseren Menschen gemacht. Sie hatte es verdient, ein Leben ohne ihn zu führen. Ein gutes Leben, voll von Freude und den guten Dingen. Und selbst wenn sie es jetzt noch nicht so sehen würde, eines Tages, da war Fin sicher, würde sie aufwachen, und ihr Herz würde nicht mehr schmerzen. Eines Tages würde sie aufwachen und ihr Leben wäre ein anderes. Sie würde nicht mehr jeden Tag an ihn denken und irgendwann würde sie gar nicht mehr an ihn denken. Eines Tages wäre er nur noch eine verblassende Erinnerung für sie.

      Fin stieg mit Logan in ein Auto, während die Young-Brüder in den Laster stiegen. Gleich nachdem die Wagen gestartet wurden und auf die Hauptstraße gelenkt worden waren, fuhren sie in unterschiedliche Richtungen. Fin fragte nicht, warum. Er fragte auch nicht, wohin sie ihn nun bringen würden. Es interessierte ihn nicht. Er hatte gerade den besten Teil seiner Selbst aufgegeben. Das Leben würde weitergehen, aber alles würde anders sein.

      Sie fuhren zum Cotton Club und Logan parkte den Wagen direkt vor der Tür. „Komm mit.“, sagte er und stieg aus.

      Fin folgte ihm. Sie betraten das Gebäude, gingen in den ersten Stock. Logan wies ihn an, sich auf einen Stuhl in der Nähe der leeren Bühne zu setzen. Überhaupt sah der Club bei Tageslicht und ohne Betrieb befremdlich aus. Und viel weniger schön und aufregend. Die bemalten Wände wirkten nicht nostalgisch, sondern lächerlich. Das Mobiliar war teilweise abgenutzt, der Boden nicht gefegt. Fin war nie zuvor zum Feiern hier gewesen. Weil der Inhaber Kate und anderen Afroamerikanern den Zutritt verweigerte. Deshalb hatte Fin sich ebenfalls nicht hier aufgehalten. Er hatte nichts mit Menschen zu tun haben wollen, die seine Frau verachteten. Und jetzt, morgens, wirkte der Club auf ihn wie ein Fremdkörper. Doch auch jetzt wollte er nicht hier sein. Nur hatte er nun wohl keine Wahl. Er fragte sich, warum sie ihn hier her gebracht hatten. Und ob Mason Hernandez mit Owney Madden zu tun hatte. Fin hatte schon viel von dem Besitzer des Cotton Clubs gehört, jeder hier hatte das. Vielleicht war er selbst also nicht an die italienische Mafia geraten, aber wie es aussah, wohl doch an eine irische Gang.