Elle West

Die Glocke


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werde ich jetzt gehen.“, sagte sie, etwas unsicher. „Ich werde ein bisschen Zeit brauchen, um eine Entscheidung zu treffen.“

      „Das verstehe ich.“, sagte er aufrichtig. „Soll ich dich nach Hause fahren?“

      Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich fahre selbst.“

      Sie gingen gemeinsam zu ihrem Tisch zurück. Nicolo rollte genervt mit den Augen, weil Mia und Owney bereits am Tisch miteinander rum knutschten, als hätten sie keinerlei Zuschauer.

      „Wir müssen gehen, Mia.“, sagte Hollie entschieden.

      Ihre Freundin löste sich von Madden und blickte sie mit gespielter Verlegenheit an. „Jetzt schon?“, fragte sie nörgelnd. „Lass uns doch noch ein bisschen bleiben, Hollie.“

      Diese schüttelte den Kopf. „Nein, ich hab’ keine Zeit mehr.“, sagte sie und senkte den Blick. „Bitte, Mia. Ich warte draußen auf dich.“

      Als sie sich umwandte und ging, schlossen Mason und Nicolo sich ihr augenblicklich an. Vor dem Club war ebenso viel Leben wie darin. Entweder verließen die gut gekleideten, betrunkenen Gäste gerade den Club oder sie wollten hinein.

      Mason und Hollie stellten sich vor ihr Auto, das sie ein wenig abseits am Bürgersteig geparkt hatte. Nicolo blieb in einiger Entfernung hinter seinem Boss stehen.

      Mason legte ihr seinen Mantel um die Schultern, weil sie, trotz eigener Jacke, schließlich war es bereits Ende Oktober und zumindest in New York kalt und windig, fror. Er rieb ihr über die Arme und blickte ihr in die Augen. „Ich wünschte, ich wüsste, was ich nun sagen sollte, Hollie.“, sagte er kopfschüttelnd. Er wusste es nicht. Hätte er die Worte gefunden, die sie von seiner aufrichtigen Absicht und seinem aufrichtigen Wunsch, sein Leben mit ihr zu verbringen, überzeugt hätten, hätte er sie gesagt. Er wäre egoistisch gewesen und hätte sein Verlangen nach ihr über alles andere gestellt. Und irgendwie hatte er aufrichtig gehofft, ihre Verliebtheit wäre so groß wie seine, groß genug, um sich für ihn und New Orleans zu entscheiden. Als er vor vier Wochen Zuhause gewesen war, hatte er deshalb vorsorglich mit seiner Geliebten gebrochen. Zwischen ihnen war nie mehr als Sex gewesen, zumindest von seiner Seite nicht. Und deshalb ließ er Noa auch weiterhin in seinem Club arbeiten. Aber er hatte das mit ihr beendet, weil er aufrichtige Hoffnungen gehabt hatte, dass Hollie seinen Antrag annehmen würde. Er hatte sie beide schon als glücklich verheiratetes Ehepaar gesehen. Doch wenn er sie nun ansah, schob er diese Zuversicht seinem übersteigerten Selbstvertrauen zu. Sie wirkte absolut nicht entschlossen, seine Frau zu werden. Vielmehr hatte es nun den Anschein, als wollte sie ihre Familie und ihre Heimat nicht seinetwegen aufgeben. Das konnte er verstehen, denn er gab seine Familie ebenfalls nicht auf, zog nicht wieder nach New York um bei der Frau zu sein, in die er sich verliebt hatte. Sie beide hatten ihre, wenn auch gänzlich unterschiedlichen, Verpflichtungen und sie beide wollten ihre Leben nicht gänzlich aufgeben. Trotzdem gab es diese Hoffnung in ihm, dass sie es dennoch tun würde. Dass sie sich trotz aller Unsicherheiten und Folgen für ihn entscheiden würde.

      Sie lächelte leicht, Tränen in den Augen. „Sag’ gar nichts.“, sagte sie leise. Dann hob sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn zärtlich.

      Mason legte eine Hand an ihre Wange, erwiderte ihren zärtlichen Kuss leidenschaftlich. So wie sie sich bisher bei jedem Abschied geküsst hatten, so als gäbe es ein baldiges Wiedersehen. Seine Lippen bewegten sich verlangend an ihren, seine Zunge streichelte die ihre fordernd. Er zog ihren kleinen, festen Körper dichter an sich, umschloss sie mit seinem Arm.

      Hollie ließ ihn gewähren, drängte sich selbst fest an ihn. Sein Körper fühlte sich hart an, unverwüstlich. Und er roch so gut, dass sie sicher war, diese Erinnerung niemals los werden zu können. Gegen ihren Willen liefen ihr zwei Tränen über die Wangen, weil sein Kuss sich nicht nach dem Abschied anfühlte, den sie bereits erwartete. Vielleicht wusste er, dass sie nicht einfach mit ihm gehen konnte, vielleicht wollte er nicht, dass sie mit ihm käme. Doch vielleicht hatte er auch einfach nur Angst, sie zu verlieren, so wie sie fürchtete, ihn los zu lassen.

      Er löste sich von ihr, legte beide Hände an ihr Gesicht. „Warum weinst du?“, fragte er und wischte ihr die Tränen weg.

      Sie versuchte zu lächeln. „Loslassen ist so viel schwerer als Festhalten.“, flüsterte sie.

      Er blickte ihr suchend in die Augen. „Dann halt fest.“, erwiderte er. „Ich wäre der Letzte, der dich aufhalten würde.“

      Sie lachte leise. „Das werden wir sehen, schätze ich.“, sagte sie. Sie konnte Mia in einiger Entfernung auf sie zuhalten sehen. „Werden wir uns wiedersehen, wenn ich morgen nicht da sein werde?“, fragte sie und blickte ihn verzweifelt an, umklammerte sein Hemd mit ihren kalten Fingern.

      Er legte seine Hände über ihre. „Ich werde versuchen, sooft ich kann zu dir zurück zu kommen, wenn du das willst.“, sagte er.

      Sie nickte. Mia stieß zu ihnen. „Gott, hier seid ihr! Ich dachte schon, ich hätte mich verlaufen…oder ihr hättet mich zurück gelassen.“, plapperte sie. „Können wir dann?“

      Hollie nickte leicht und öffnete ihr bereits die Autotür. Mason begleitete sie zur Fahrerseite und öffnete ihr die Tür. Sie drehte sich in seine Arme, küsste ihn auf den Hals, während er sie umschlossen hielt. „Gute Nacht, Mason.“, flüsterte sie.

      „Dir auch, Liebes.“, erwiderte er mit rauer Stimme. Er senkte den Kopf und küsste ihre Lippen. Ein letztes Mal noch.

      Als Hollie nach Hause kam, schliefen ihre Eltern bereits und auch Scarlett war längst ins Bett gegangen. Da sie selbst jedoch wusste, dass sie, so sehr sie sich auch bemühen mochte, nicht einschlafen könnte, zog sie sich nur ihren Mantel und die Schuhe aus, ehe sie sich an Rorys geheimen Rumvorrat vergriff.

      Sie schenkte sich ein Glas voll und setzte sich, auf das Sofa im Kaminzimmer. Das Feuer darin war beinahe runter gebrannt, hatte den Raum jedoch noch immer ausreichend geheizt. Hollie schaltete die kleine Lampe neben dem Bücherregal an und zog ihre Beine auf das Sofa, während sie in die Glut starrte.

      Sie blickte auf ihr Bein hinunter, spürte noch einmal seine Hände auf sich. Konnte sie ihn wirklich gehen lassen? Nicht, dass sie einander besonders gut kannten, sodass sie sicher sein konnte, dass mit ihm zu gehen, das einzig Richtige wäre. Sie hatte fünf Wochen beinahe jeden Abend mit ihm verbracht und nicht mehr. In dieser Zeit waren sie so gut wie nie alleine gewesen und sie hätte ihn auch nicht einfach mit nach Hause nehmen und ihren Eltern vorstellen können. Nicht, dass ihre Eltern ihn nicht gemocht hätten, doch sicherlich entsprach er nicht dem idealen Schwiegersohn, den die beiden sich bereits erwarteten.

      Ihr Verstand riet ihr dringlichst, Ruhe zu bewahren und vernünftig zu handeln. Und eigentlich war sie genau so. Sie war ein rationaler Mensch, der seinem Verstand traute und sein Herz missachtete. Denn es waren die Entscheidungen, die mit dem Kopf getroffen worden, die einen im Leben sicher anleiteten. Nur hatte sie dies bisher niemals in Frage stellen müssen, es nie auf die Probe gestellt. Bisher war sie eine Realistin, eine Pragmatistin gewesen, weil sie niemals empfunden hatte, was sie nun für Mason empfand. Doch selbst wenn sie sich eingestand, dass sie ihn lieben würde, wenn sie ihm nur ein wenig mehr Zeit gebe, dann blieben dennoch so viele Fragen offen, so viele Dinge unsicher. Im Grunde wusste sie ja nicht einmal, was er beruflich wirklich tat. Er hatte ihr gesagt, dass er nicht mehr in der Mafia war, aber sie hatte gesehen, dass er auch nicht gänzlich verändert war. Vielleicht gehörte er nicht mehr zur Cosa Nostra, aber irgendwie hatte er sich selbst ein ähnliches System aufgebaut. Deshalb musste sie davon ausgehen, dass er nicht nur illegale Geschäfte betrieb, was sie nicht weiter störte, weil seit der Prohibition jeder zweite gegen das Gesetz verstieß, sondern auch davon, dass er von Gewalt umgeben war. Und das war die Unsicherheit, die ihr Angst machte. Sie würde sich stets um ihn sorgen müssen, immer fürchten müssen, dass er vielleicht nicht wieder zu ihr zurück käme. Könnte ich mit einem Mann leben, der andere Menschen umbringt, wenn er muss, fragte sie sich. Ihr Verstand sagte ihr, dass das eine dumme Idee war und sie es gar nicht erst herausfinden sollte, doch ihr Herz schrie nur ein deutliches Ja. Vielleicht könnte sie damit leben. Schließlich hätte sie damit nichts zu tun…Das waren Ausreden, die sie bereits jetzt als Ausflüchte