Elle West

Die Glocke


Скачать книгу

mit ihr reden durfte. Bisher hatte er dazu jedoch keine Gelegenheit bekommen. Man hatte sie in der Nächten, als sie noch in New York gewesen war, in unterschiedliche Hotelzimmer gebracht und tagsüber verbrachte er, wenn er nicht gerade mit Kate Zeit verbringen konnte, Zeit mit Mason und dessen Männern. Nicht unbedingt freiwillig, doch wie Fin bemerkt hatte, verfolgte ihn mindestens einer der Männer und behielt ihn vorsorglich im Auge, falls er doch plante, sich abzusetzen. Also war er dazu übergegangen, seine Angelgenheiten zu regeln, solange er noch hier war. Er sagte seinen Schnapsabnehmern, dass er aus dem Geschäft ausstieg und sie deshalb nicht mehr beliefern konnte. Auf diese Weise verabschiedete er sich unauffällig von ihnen allen und aufgrund der tödlichen Vorkommnisse stellte niemand seine Erklärung, aufzuhören, in Frage.

      Dann hatte Kate nach ihrer Schwester gefragt. Es war ihr erst nach einer Woche aufgefallen und Fin hatte bis zu diesem Moment gewartet, um sie anzulügen. „Den hier hab ich gefunden.“, hatte er gesagt und ihr dann einen Brief gegeben, den Rachel auf Masons drängendes Bitten selbst geschrieben hatte. In dem Brief sagte sie ihrer Schwester, dass sie einen Mann kennen gelernt, sich verliebt habe und mit ihm weg gehen würde. Kate solle sich keine Sorgen machen und sie würde sich melden, sobald sie angekommen wäre und sich alles beruhigt hatte. Kate hatte vor Wut getobt, ehe sie geweint hatte und sich schämte, dass sie den Fortgang ihrer eigenen Schwester erst so spät bemerkt hatte. Fin hatte sie getröstet, schließlich war Rachel nicht gerade ein Stubenhocker gewesen, sodass die Schwestern sich meistens, ob absichtlich oder nicht, kaum gesehen hatten.

      Gestern Morgen hatte Kate wieder mit ihrer Schwester angefangen, ihn gefragt, warum sie sich noch immer nicht gemeldet hat. Fin hatte sie angesehen und ihr eine ausweichende Antwort gegeben. Sie wäre vermutlich zu glücklich verliebt, um nun an ihre große Schwester zu denken und sie versuchte sicherlich erst einmal, sich ein solides Leben aufzubauen, ehe sie sich an die Zurückgelassenen erinnerte. Kate wusste, dass Fin Rachel nicht besonders mochte, wenngleich er immer versucht hatte, sie trotzdem gerecht und freundlich zu behandeln. Ihr hingegen fehlte die Schwester, schließlich waren sie ein Leben lang zusammen gewesen. Und es machte sie traurig, dass sie nun einfach so verlassen worden war. Fin war jedoch froh, dass sie nur traurig, nicht misstrauisch war. Es war schwer genug, sie zu belügen, denn ihm war nun bewusst geworden, dass er sie zuvor nicht angelogen hatte. Er hatte zuvor keinen Grund gehabt, ihr höchstens etwas verschwiegen, was nicht relevant für sie oder ihre Beziehung gewesen war. Als Ryan Young gestern Morgen, als Kate das Haus verließ um zur Arbeit zu gehen, wieder vor ihrem Haus Wache stand und sich dabei bemühte unauffällig zu sein, hatte Fin ihn beim Verlassen des Hauses angesprochen. Er hatte ihm gesagt, dass er seit Wochen von seinen Aufpassern wusste und dass es allmählich lächerlich wurde, so zu tun, als passten sie nicht auf ihn auf. Trotzdem stand, dieses Mal der andere Young, wieder ein Aufpasser vor dem Haus als er Abends zurückkam. Dann, am nächsten Morgen als es noch dunkel war, war er, kaum dass er ein paar Stunden geschlafen hatte, aus dem Bett gerissen worden und hatte die restliche Nacht über die Gerätschaften abgebaut und verladen, wobei sie mit Letzterem noch immer nicht ganz fertig waren. Mittlerweile dämmerte es schon und die ersten Näherinnen kamen in die Fabrik. Kate wäre längst wach und hätte bemerkt, dass er nicht mehr neben ihr lag. Vielleicht fragte sie sich, ob auch er sie, wie Rachel, verlassen hatte. Aber vermutlich war sie eher verärgert, weil er ihr nicht gesagt hatte, dass er heute so früh das Haus verlassen wollte. Wie auch? Er hatte es ja selbst nicht gewusst. Dass er nun jedoch seine eigenen Geräte verlud, bedeutete für ihn, dass er bald aufbrechen würde. Es bedeutete, er würde Kate tatsächlich verlassen und im Gegensatz zu Rachel, hatte er ihr nicht einmal einen Brief hinterlassen. Jedoch hoffte er, dass er vielleicht die Chance hätte, Kate noch einmal wieder zu sehen. Ob sie wussten, dass sie hier arbeitete? Ja, ganz sicher, sonst wäre das Überwachen der letzten Wochen völlig überflüssig gewesen. Würden sie verhindern, dass er mit ihr sprach?

      „Wir müssen uns beeilen, wenn wir nicht die Bullen oder die Cosa Nostra am Hals haben wollen.“, sagte Ryan soeben zu seinem Bruder und dem lächerlich gut aussehenden Aufpasser. Fin hatte seinen Namen häufiger gehört, als dass er Logan gesehen hatte und konnte den großen Blonden nicht einschätzen. Er stand immer abseits und behielt alles aufmerksam im Blick. Sicherlich hatte er das Sagen, wenn sein Boss nicht da war. Die Art, wie er sich scheinbar aus allem heraushielt, verriet seine Autorität.

      Nun nickte er. „Ich helfe euch.“, sagte er und warf seine Zigarette weg. Dann packte er mit an, damit es schneller voran ging. Wieder konnte Fin sich nur über diese Männer wundern. Offenbar stand die Gang über allem.

      Fin allerdings hatte augenblicklich kein Interesse daran, schneller fertig zu werden. Ganz im Gegenteil, er sah hier die letzte Chance, Kate noch einmal zu sprechen. Jetzt hatte er zwei Möglichkeiten. Entweder er boykottierte die Arbeit, um langsamer zu werden und Zeit zu schinden, wobei er sicher war, dass zumindest Ryan Young nicht lange brauchen würde, um diesen Plan zu durchschauen. Oder er konnte schneller arbeiten und ehrlich sein, sie bitten, noch einmal mit ihr sprechen zu dürfen.

      Fin entschied sich für Letzteres. Er packte härter mit an, arbeitete schneller. Im Grunde wollte auch er nicht von den Bullen erwischt werden, und erst recht nicht von der Mafia. Selbst wenn die Bullen ihn durch eine Verhaftung hier behalten könnten…dieses Leben wollte er noch weniger. Seine Freiheit war das einzige, für das er jeden Kampf ausgetragen hatte. Und wenn er Mason Hernandez vertraute, dann bestand für ihn die größte Chance, diese erhalten zu können.

      Nach weiteren zehn Minuten, es war längst hell und die ersten Fabrikarbeiterinnen hatten sie auf ihrem Weg in die Fabrik bemerkt, schlossen Fin und Ryan die Plane und machten den Inhalt der Ladefläche unsichtbar.

      „Gute Arbeit, Mann.“, sagte Ryan und reichte ihm die Hand.

      Fin ergriff sie und schüttelte sie knapp. „Gleichfalls.“

      „Dann können wir ja endlich los.“, sagte der Schönling und trat eine weitere Zigarette mit seinem Stiefel aus.

      „Ja…hey, meint ihr, ich könnte kurz nach meiner Freundin sehen?“, fragte Fin und drückte sich selbst die Daumen. „Sie arbeitet hier in der Fabrik. Es würde nicht lange dauern, versprochen.“

      „Wissen wir.“, sagte Riley Young und verzog das Gesicht, während er darauf wartete, dass jemand anderes diese Entscheidung traf.

      „Willst du das wirklich machen, Mann?“, fragte Ryan und hielt ihm erneut eine Zigarette hin, ehe er sich selbst eine anzündete. „Ich meine, sie kann jetzt denken, du wärest verschwunden. Sie kann dann angefangen, sich zu verabschieden. Denkst du, es würde euch helfen, sie noch einmal zu sehen?“

      Fin senkte den Blick. Auf diese Weise hatte er es tatsächlich noch nicht gesehen. Aber er kannte Kate und wusste, sie würde nicht annehmen, er hätte sie wortlos verlassen, sondern, dass die Cosa Nostra ihn hatte verschwinden lassen. Sie würde nicht ruhen, ihn zu suchen, bis auch sein Körper tot in Hell's Kitchen auftauchte oder sie ihn lebend finden würde. Wenn sie jedoch heraus fand, dass er lebte und er sie schlicht verlassen hatte, dann würde sie ihn hassen und es ihm nie verzeihen. „Kann schon sein.“, gab er zu und sah Ryan in die Augen. „Aber es gibt noch ein paar Sachen, die ich ihr sagen muss.“

      Logan stöhnte ärgerlich. „Wenn du ihr sagst, wohin wir fahren, bringe ich sie um.“, sagte er und blickte Fin eindringlich an. „Wenn du etwas über den Boss sagst, was sie nichts angeht –und damit meine ich so ziemlich alles, was du über den Boss sagen könntest-, bringe ich sie um. Wenn du sie um Hilfe bittest, bringe ich sie um. Wenn du ein Wort über ihre nervtötende Schwester verlierst, bringe ich sie um.“

      „Nur Privates, hab’ verstanden.“, sagte Fin, damit er nicht weiter in seiner Aufzählung machte.

      „Du hast drei Minuten.“, entschied Logan dann. „Ab sofort.“ Er warf bereits einen Blick auf die Uhr.

      Fin eilte zum Haupteingang der Fabrik. Ryan folgte ihm in einiger Entfernung. Offenbar vertrauten sie ihm nicht genug, um darauf zu setzen, dass er freiwillig zu ihnen zurück käme. Als hätte er jetzt die Flucht riskiert, wo alle bewaffneten Männer Masons hier waren, statt die Wochen vorher zu nutzen. Und sie konnten nicht wissen, wie sehr er Kate liebte, wie sehr er sie beschützen wollte. Sie ahnten nicht, dass er ihnen ausgeliefert war, solange sie ihr Leben bedrohten.