Tom Bleiring

Die Chronik des Dunklen Reiches -Band 1-


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blieb abrupt stehen und hob den Kopf.

      Vor ihm stand jener Mann, der ihm den Weg zur Akademie gewiesen hatte.

      Er trug noch immer seinen Mantel, lächelte freundlich und strich sich gelegentlich über seinen Spitzbart.

      >>Sie haben dich fort gejagt, oder? <<

      Marius nickte nur.

      Der Mann zuckte mit den Schultern und sagte:

      >>Mach dir nichts draus, mein Freund. Diese Narren von der Akademie würden echtes Talent nicht einmal dann erkennen, wenn man es ihnen direkt vor ihre Nasen halten würde.

      Ich habe gleich gemerkt, dass da etwas in dir ist, auch wenn ich noch nicht weiß, wie viel es ist.

      Aber wo bleiben meine Manieren? Ich vergaß, mich vorzustellen.

      Mein Name ist Racorum von Agravin, aber unter Standeskollegen nennt man mich auch Racorum der Große! Ich bin Zaubermeister, ziehe es aber vor, durch die Lande zu streifen, anstatt wie meine verblödeten Genossen in staubigen Kammern zu hocken.

      Ich könnte einen Lehrling gebrauchen, bei der vielen Arbeit, die ich habe.

      Es ist eine harte Arbeit, das solltest du wissen.

      Es fehlen die Annehmlichkeiten, die man in einer Akademie genießt, aber dafür kann ich dich Dinge lehren, die du so niemals in einer Zauberschule beigebracht bekämest.

      Insgeheim fürchten mich die Gildenmagier, denn sie wissen, dass ich über Kenntnisse jenseits ihrer Vorstellungskraft verfüge.

      Nun, bist du interessiert? <<

      Marius konnte es kaum fassen.

      Eben noch schien es, als wäre sein großer Traum, Zauberer werden zu können, in tausend Scherben zerbrochen. Nun aber bot ihm das Schicksal die Chance und Gelegenheit, dieses Ziel doch zu erreichen. Freudig streckte er Racorum die Hand entgegen.

      >>Ja, ich will euer Lehrling werden, Herr, << erwiderte er, wobei sich seine Stimme vor lauter Freude überschlug.

      Sein neuer Meister schlug in die dargebotene Hand ein und wurde ernst.

      >>Gut, dann soll es so sein.

      Sind deine Eltern in der Stadt? Sie müssen natürlich Bescheid kriegen, denn sonst heißt es noch, ich würde Kinder entführen. <<

      Marius zögerte mit der Antwort zu lange und weckte damit das Misstrauen seines Lehrherren.

      >>Du bist von zuhause ausgerissen, oder? <

      >>Nein, nicht ausgerissen, << erwiderte Marius kleinlaut und schilderte dem Zauberer in kurzen Worten, wie er nach Ypoor gelangt war. Er verheimlichte auch nicht, dass er sich ohne das Wissen seines Vaters zur Akademie begeben hatte.

      Racorum strich sich erneut durch seinen Bart und hörte ihm zu, ohne Zwischenfragen zu stellen.

      Als Marius mit seiner Schilderung fertig war, schüttelte der Zauberer verständnislos den Kopf.

      >>Ich war selbst einmal jung und hatte viele Flausen im Kopf, aber du hast dich selbst in größere Gefahr gebracht, als du vielleicht geahnt hast.

      Man hätte dich ausrauben oder verschleppen können.

      Sklavenfänger sind immer auf der Suche nach Jungen wie dir.

      Du hättest als Galeerensklave oder Lustknabe in irgendeiner Kaschemme enden können.

      Du bist entweder sehr mutig oder sehr töricht, mein Junge.

      Wie lautet überhaupt dein Name? <<

      >>Man nennt mich Marius, << erwiderte dieser.

      Die Furcht, von seinem neuen Lehrmeister wieder verstoßen zu werden, war in ihm gewachsen, nachdem dieser ihn so zurecht gewiesen hatte.

      >>Nun, Marius, ich kann dich nicht einfach so mitnehmen.

      Wenn dein Vater die Wache verständigt und man uns beide aufgreift, wirft man mich in den Turm.

      Kindesraub wird schwer bestraft, und auch wenn du mein Lehrling sein willst, bedarf es der Einwilligung deines Vaters. <<

      >>Die wird er mir nie geben! << jammerte Marius.

      >>Trotzdem kannst du dich nicht einfach davon stehlen, << erklärte Racorum mit fester Stimme.

      >>Dir bliebe höchstens die Möglichkeit, einen Tempel aufzusuchen, um dich von deiner Familie los zu sagen. Du bist alt genug, um dies tun zu können, aber bedenke, dass es kein leichter Schritt ist.

      Du löschst damit jede Verbindung zu deinem früheren Leben aus.

      Zumeist nutzen die Angehörigen von Verbrechern diesen Weg, um ihren Familiennamen rein zu waschen, nicht nur vor den Augen der Götter.

      Was ist mit dir? Ist dir nicht wohl? <<

      Racorum packte Marius am Arm, um ihn zu halten, denn der Junge war mit einem Mal weiß wie Kreide, sah sich panisch um und begann zu taumeln.

      Marius spürte den Griff Racorum’s nicht, für ihn war die Welt um ihn herum schlagartig grau und bitterkalt geworden.

      Er spürte, wie sich etwas in seinem Innersten regte, ein grausiges Gefühl aus Leere und Furcht.

      Obwohl er eben noch die warme Frühlingsluft um sich gespürt hatte, drang jetzt frostige Kälte in seinen Körper und füllte ihn mit Entsetzen.

      Er hörte seltsame Stimmen in seinem Kopf, ein fortwährendes Flüstern, Stöhnen und Zischen.

      Schließlich übermannte ihn die Panik, doch mehr als einen Schrei brachte sein von Grauen erfüllter Körper nicht zustande.

      Doch dieser riss ihn aus seiner Trance, brachte ihn zurück in die reale Welt.

      Er lag auf dem Boden und blickte hinauf zum blauen Himmel.

      Racorum kniete neben ihm, besorgt dreinblickend, und hielt noch immer seinen Arm.

      >>Geht es dir besser? <

      >>Du leidest doch nicht etwa an der Fallsucht, oder?

      Jeder weiß, dass diese Krankheit eine Strafe der Götter ist.

      Was ist mit dir geschehen? Du hast ausgesehen, als wärest du den Dämonen der Hölle begegnet.

      Und dein Schrei klang, als käme er aus weiter Ferne. <<

      Marius, noch immer benommen von seiner Vision, berichtete dem Zauberer in kurzen Worten, was er gesehen und gespürt hatte.

      Racorum runzelte die Stirn, half Marius wieder auf die Beine und sagte:

      >>Irgendetwas Magisches hast du zweifelsfrei an dir, auch wenn ich noch immer nicht genau weiß, was es ist. Ich übe die Kunst der Magie schon lange aus und habe ein leichtes Beben der astralen Ebene gespürt, als du gefallen bist, aber mehr als das war da nicht.

      Vielleicht hast du eine besondere Bindung in jene Gefilde, vielleicht auch nicht, aber es ist besser, wenn wir erst einmal einen Platz finden, an dem du dich ausruhen kannst.

      Ganz in der Nähe gibt es eine Taverne, von der man bis hinab zur Bucht und den Hafen schauen kann.

      Dorthin sollten wir uns begeben. <<

      Der Weg in das Gasthaus war nicht lang, doch es dauerte eine Weile, bis die beiden dort ankamen,

      denn Marius musste häufig stehen bleiben, um Kraft zu sammeln.

      Sein Anfall hatte ihn stärker entkräftet, als es zunächst den Anschein hatte.

      Das Wirtshaus war ein schmucker Bau aus rotem Ziegelstein, an dem mit der Zeit Efeu empor gewachsen war. Es besaß auch eine Terrasse, von der man eine gute Aussicht über