Tom Bleiring

Die Chronik des Dunklen Reiches -Band 1-


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<< erwiderte er in sachlichem Tonfall.

      Die Gestalt vor ihm, gehüllt in einen weiten und tiefschwarzen Umhang, nickte nur.

      Marius versuchte, einen Blick unter die tief hängende Kapuze zu werfen, doch er erkannte darunter nichts weiter als absolute Finsternis.

      Und die Hände, die einen ebenso schwarzen Stab hielten, an dessen Ende eine silberne Sensenklinge schimmerte, waren nicht die eines Skeletts, sondern blasse und schmale Menschenhände.

      Als der Tod seine Rede fortsetzte, klang seine Stimme leise und schwach, wie die eines alten und gebrechlichen Mannes.

      >>Dein Los ist noch nicht entschieden, doch da du hier bist und diesen armen Seelen bei ihrem Heimgang beiwohnst, wurde dein Weg zumindest schon geebnet. <<

      >>Wer hat mir welchen Weg geebnet? , << fragte Marius verwirrt.

      >>Warum bin ich nicht umgekommen, als das Feuer über uns herein brach?

      Hunderte scheinen ihm zum Opfer gefallen zu sein, warum also nicht ich? <<

      Der Tod machte einer Gruppe von Kindern Platz, die lachend an ihm vorbei liefen.

      >>Das Schicksal weiht mich nicht in seine Pläne ein, << erwiderte er, >>doch du bist von ihm gezeichnet worden. Deine Bestimmung scheint eine andere zu sein, als hier dein Ende zu finden.

       Dir wurde die Gabe geschenkt, mein Reich zu betreten. Du darfst in das Reich der Schatten schauen, doch auch wenn man dir dieses Geschenk zu teil werden ließ, will ich dich warnen.

       Du lebst und darfst mein Urteil niemals anfechten, denn hier herrsche ich!

      Wage es also nie, dich in meine Geschäfte einzumischen. <<

      Der Gevatter trat dicht an Marius heran und deutete auf dessen Arme.

      >>Sieh die Zeichen des Schicksals. Sie wurden dir und anderen gegeben, damit ihr einander erkennt.

       Ihr werdet eine verschworene Gemeinschaft bilden, die zerstören und erneuern wird, was einstmals schon existierte.

       Euch wurden und werden Geschenke gemacht, die euch unter allen Lebenden auszeichnen und zu etwas Besonderem machen.

      Sucht einander und erfüllt, wozu ihr auserkoren wurdet. <<

      >>Wenn das geschehen ist, werden wir uns dann wieder sehen? , << fragte Marius.

      >>Wann wird das sein? <<

      Der Tod wandte sich zum Gehen und antwortete:

      >>Ich werde immer bei euch sein, denn wo ihr euch befindet, wird Tot sein.

       Und du, Marius vom Stamme der Nameder, wirst nicht auf mich warten müssen, ebenso wie deine Brüder und Schwestern. Ich werde kommen, wenn ihr mich ruft, denn so ist es bestimmt.

       Was heute begonnen hat, gab es seit tausenden Jahren nicht mehr auf dieser Welt.

       Aus Blut und Asche wird sich Neues erheben, seine Zeit haben und dann wieder vergehen.

      So ist es allen Dingen bestimmt. Doch es liegt an Auserwählten wie dir, ob diese Zeit eine Goldene oder von Finsternis erfüllte sein wird. <<

      Damit verließ ihn der Tod, ohne ein weiteres Wort zu sprechen.

      Marius wollte ihm folgen, doch erneut sprach ihn jemand an, mit vertrauter Stimme.

      >>Junge, bist du es? <<

      Er fuhr erschrocken herum und blickte in die fröhlich strahlenden Augen seines Vaters.

      >>Marius, was ist hier bloß geschehen?

      Eben noch stehe ich bei den Ochsen, um ihr Gebiss zu prüfen, da packt mich ein brennend heißer Sturm und wirft mich gegen die nächste Mauer.

      Sind wir tot? <<

      Marius wusste nicht, was er erwidern sollte.

      Der Tod selbst hatte ihm eben noch zu verstehen gegeben, dass er noch nicht an der Reihe wäre, doch nun stand sein armer Vater hier.

      >>Du bist es, ja, << stieß er hervor und ergriff aus einem Impuls heraus die Hand seines Vaters.

      Diese war fest, aber strahlte keine Wärme aus.

      >>Nur ich? , << fragte dieser.

      Marius nickte und spürte nun doch etwas in seinem Innersten.

      Es war Verbitterung, Trauer und Wut, zum Teil auch auf sich selbst.

      >>Dann haben die Götter es so bestimmt, << verkündete sein Vater gelassen.

      >>Doch du kümmere dich um Mutter und den Hof, wenn du kannst.

      Wenn wir beide nicht zurückkämen, brechen dort harte Zeiten an.

      Meinst du denn, ich kann unbesorgt dort ins Licht gehen?

      Du schienst mir immer klüger als die meisten anderen Jungen, also was meinst du? <<

      Marius wich dem freundlichen Blick seines Vaters aus, obwohl er so viele Jahre darauf gewartet hatte, einen solchen zu bekommen. Sein eigener fiel dabei auf seinen am Boden liegenden Körper,

      und er sah eine Träne aus seinem Augenwinkel rinnen.

      >>Ja, << sagte er mit fester Stimme, >>geh ruhig in das Licht und sorge dich nicht um Mutter und den Hof, denn bald schon werdet ihr beide euch in der Nachwelt wiedertreffen. <<

      Marius wusste nicht, warum er dies gesagt hatte, doch es war eine plötzliche, wenn auch schmerzhafte Gewissheit für ihn, dass seine Mutter auch bald sterben würde.

      >>Dann ist es gut, << erwiderte sein Vater, klopfte ihm zum letzten Mal auf die Schulter und setzte dann seinen Weg ins Licht hinein fort.

      Marius sah ihm nach, bis die Umrisse der kräftigen Gestalt seines Vaters im Glanz verschwammen.

      Jetzt erst betrachtete er seine Arme und das, was sich auf diesen nun abzeichnete.

      Auf beiden Unterarmen hatten sich schwarze Linien gebildet, manche ineinander verschlungen wie Flammenzungen, die von den Handgelenken bis zum Ellenbogen reichten.

      Im ersten Moment hätte man sie für Tätowierungen halten können, doch diese Zeichen hatten sich für alle Zeiten in seine Haut eingebrannt.

      Und, so schien es ihm einen Augenblick lang, sie bewegten sich und veränderten ihre Positionen am Arm.

      Der Strom der Verstorbenen schien abzunehmen und Marius wusste, dass er nun in die Welt der Lebenden zurückkehren musste.

      Und als wäre ein stiller Befehl ergangen, da spürte er den Schmerz durch seinen Körper zucken, rang röchelnd nach Luft und krümmte sich im Staub der Straße zusammen.

      Gierig füllte seine Lunge sich mit der nach Asche schmeckenden, nach verbranntem Fleisch und Holz riechenden Luft.

      Seine Muskeln und Sehnen schmerzten, der von Hitze erfüllte Dunst brannte in seinen Augen.

      Unter Höllenqualen schaffte er es, auf die Beine zu kommen, sah sich um und nahm das volle Ausmaß der Zerstörung um sich herum wahr.

      Der Feuersturm hatte die gesamte Stadt in ein Trümmerfeld verwandelt, hatte kaum einen Stein auf dem anderen gelassen.

      Hier und da sah Marius Gestalten durch den Rauch wanken; Überlende, die dieses Inferno zwar überstanden hatten, nun aber vor den zu Asche verbrannten Überresten ihrer Existenz standen.

      Marius hörte, wie sein Meister leise stöhnte und sank neben ihm auf die Knie.

      >>Bei den Göttern,