Tom Bleiring

Die Chronik des Dunklen Reiches -Band 1-


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schob Marius einen Stuhl hin und setzte sich dann ebenfalls.

      Er bestellte bei der herbeieilenden Magd zwei Becher mit verdünntem Wein, lehnte sich zurück und strich sich wieder nachdenklich über den Bart.

      Marius Blick aber war in Richtung des Meeres gerichtet.

      Wie gebannt starrte er zum Horizont, und erst als Racorum mit der Hand auf den Tisch zwischen ihnen schlug, wurde er aufgeschreckt.

      >>Was bist du bloß für ein seltsamer Junge? , << fragte er.

      Marius wollte darauf erwidern, dass er das selbst nicht wüsste, doch Racorum verdrehte entnervt die Augen und gebot ihm, zu schweigen.

      >>Das war eine rhetorische Frage, die eher an mich selbst gerichtet war, << sagte er, >> doch ich muss zugeben, dass du mich faszinierst.

      Mir sind schon viele Lehrjungen untergekommen, Gute und Schlechte, aber du hast etwas höchst Seltsames an dir.

      Und warum blickst du immer wieder aufs Meer hinaus?

      Gibt es da was zu sehen, außer Wasser und Möwen? <<

      Der Zauberer schaute hinaus auf die spiegelglatte See, konnte aber nichts Interessantes ausmachen.

      Marius dagegen blickte in die Ferne, zum Horizont und sah dort ein rötliches Funkeln, nicht viel mehr als ein kurzes Aufleuchten. Seine Nackenhaare richteten sich auf, und wieder überkam ihn die Furcht, die dunkle Ahnung, dass etwas Schlimmes bevor stand.

      Racorum spürte die Veränderung, die in dem Jungen vorging und erhob sich langsam, einen neuerlichen Anfall erwartend.

      In diesem Augenblick sprang Marius auf und deutete hinaus aufs Meer.

      >>Es wird etwas Schreckliches geschehen, << stöhnte er mit entsetzter Stimme, >>und es kommt von dort draußen! Wir müssen die Menschen warnen, damit sie sich in Sicherheit bringen können! <<

      Racorum packte den Jungen am Arm.

      >>Da draußen ist gar nichts, << erwiderte er milde.

      Er ergriff mit der anderen Hand die des Jungen und erstarrte augenblicklich.

      Etwas geschah mit ihm, als er seine Finger die von Marius berührten, und später konnte er nicht mehr beschreiben, was genau in diesem Moment geschehen war.

      Er spürte, was Marius spürte und sah durch seine Augen in die Ferne, hin zum Firmament, an dem sich urplötzlich graue Wolkengebilde zu sammeln begannen.

      Der Wind war nicht stark, doch die Wolken trieben vom Meer derart schnell auf die Stadt zu, als würde ein Sturm sie dazu zwingen.

      Innerhalb weniger Augenblicke konnte man sie mit bloßem Auge sehen und erkennen, dass in den Wolken rote und grüne Blitze aufflackerten.

      Wie auf einen stummen Befehl hin stoben alle Vögel auf und flohen, Hunde jaulten laut auf und ergriffen voll Panik die Flucht.

      Eine gespenstische Stille legte sich über die gesamte Stadt.

      Nun blieben auch die Menschen auf den Straßen stehen und bewunderten das unheimliche Spektakel am Himmel, welches sich der Stadt schnell näherte.

      Und dann schien es plötzlich so, als würden die Wolken in sich zusammenfallen.

      Sie stürzten vom Himmel hinab auf das Meer, doch wurden sie von diesem nicht verschlungen.

      Das Wasser begann zu brodeln, wurde aufgewühlt und verfärbte sich schwarz.

      Und dann wurde aus dieser gewaltigen, auf dem Wasser schwimmenden Wolkenbank eine Feuerwand, die sich aus ihrer Starre löste und wie eine Lawine über die Bucht und die Stadt hereinbrach.

      Ein grässliches Getöse, ein Kreischen und Dröhnen brach los, als die Feuerwalze sich über den Hafen ergoss, die Schiffe und Lagerhäuser verzehrte und sich bergauf in die Straßen ergoss.

      Die Menschen stoben schreiend und voller Panik auseinander, versuchten ihr Heil in kopfloser Flucht zu finden, doch die alles vernichtende Feuersbrunst holte sie ein und verschlang sie.

      Innerhalb weniger Augenblicke erreichte die Welle der Vernichtung auch das Gasthaus, wo Marius und Racorum sich aufhielten.

      Der Zauberer blickte stumm und fassungslos dem auf ihn zueilenden Untergang entgegen und seine Hände schlossen sich noch fester um den Arm und die Hand seines Lehrlings.

      Und dann war das Feuer über ihnen, um sie herum, durchdrang ihre Körper, raubte ihnen die Luft zum Atmen und stürzte beide, Mann und Jungen, in die Dunkelheit.

      *********************

      Für Marius war es, als würde ein Vorhang zur Seite gezogen.

      Er spürte, wie sein Körper fiel, sich von seiner Seele löste und zu Boden glitt.

      Doch sein Geist, sein wahres Ich, blieb stehen und betrachtete die Welt durch neue Augen.

      Alle Gefühle wie Schmerz, Furcht und auch die Panik, die ihn in seiner Todesangst überkommen hatte, verschwanden und wichen absolutem Gleichmut.

      Er befand sich noch immer auf der Straße, an jenem Ort, wo die tosende Flammenwand ihn und seinen Meister überrollt hatte, doch er wusste auch, dass die Welt, in der er nun stand, nicht für die Augen eines Lebenden bestimmt gewesen war.

      Alle Farben waren verblasst, es schien hier nur Grautöne und Schatten zu geben.

      Es war nicht kalt, aber auch nicht warm; Marius konnte es nicht beschreiben.

      Geräusche drangen nur gedämpft an sein Ohr, als würden sie aus weiter Ferne kommen.

      Gestalten kamen die Straße herauf und auf ihn zu.

      Es waren Einwohner der Stadt, die ihr Leben bei diesem fürchterlichen Angriff gelassen hatten.

      Viele von ihnen waren grässlich entstellt, doch während sie an Marius vorüber zogen, begannen sich ihre Wunden zu schließen.

      Da waren Männer und Frauen, Kinder wie Greise, die an ihm vorbei gingen und ihn keines Blickes würdigten. Ihre Augen richteten sich auf ein Ziel, welches hinter Marius zu liegen schien.

      Dieser drehte sich um und sah am Horizont ein goldenes Funkeln, einen überirdischen Glanz, auf den die Seelen der Toten zuhielten.

      Marius hob die Hand, um seine Augen vor dem grellen Schimmer zu schützen, doch gerade, als er dies tun wollte, begann der Glanz sich zu verändern, wurde milder, woraufhin der Junge den Arm wieder sinken ließ.

      Die Verstorbenen wanderten nicht still und teilnahmslos ins Licht hinein, sondern wirkten eher wie Menschen, die nach einer langen Reise ihr ersehntes Ziel vor Augen hatten und die letzten Meter in erwartungsvoller Ruhe und Gelassenheit hinter sich brachten.

      Viele schienen einander zu kennen, begrüßten sich fröhlich und gingen gemeinsam ins Licht hinein.

      Anderswo erblickte Marius eine sorgenvoll schauende Frau, deren Blick sich aufhellte, als ein Kind von vielleicht vier Jahren die Straße herauf kam und fröhlich lachend ihr in die Arme fiel.

      Marius begriff, dass der Ort, an dem er sich aufhielt, die Pforte ins Reich des Todes war.

      Doch während alle um ihn herum scheinbar vom Glanz der Nachwelt angezogen wurden, verspürte er selbst nicht den Drang oder Wunsch, ihnen zu folgen.

      War er denn nicht tot? Hatte ihn das grimmige Feuer nicht getötet?

      Er sah hinab auf seinen Körper und den seines Meisters, der seinen Griff noch immer nicht von Marius gelöst hatte.

      >>Deine Zeit ist noch nicht gekommen, << hörte er jemanden sagen, und als er sich umdrehte,

      stand vor ihm jene Gestalt, die ihm von seinen Eltern und Großeltern schon so viele Male beschrieben worden war.