Tilmann A. Büttner

Adam Bocca im Wald der Rätsel


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war sie fortgefahren: „Mensch, so ein grüner Junge kannst du ja doch wohl nicht sein, wenn sie dich beim Regierungsamt immerhin für eine freiwillige Dienstzeit genommen haben. Dann kannst du es dir ja eigentlich selber zusammenreimen, dass ich keine geniale Spürnase sein musste, um dich zu identifizieren und deine Nummer herauszukriegen.“

      „Ach?“

      „Ey, komm, das spielst du mir jetzt vor, oder? Wie viele Adams gibt es wohl, die im Regierungsamt für Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung im Moment eine freiwillige Dienstzeit absolvieren, und zwar genau genommen seit den Schulabschlussklassen im letzten Jahr? Hm? Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, kläre ich dich gerne auf: es gibt genau einen, nämlich dich, Goldbärchen. Und jetzt bitte, bitte, bitte keine Stammelfragen dazu, wieso ich etwas über das Personal des Regierungsamtes weiß, denn die neuen Richtlinien über die Transparenz in Regierungsaktivitäten wirst du ja wohl wenigstens schon mal von weitem wahrgenommen habe, stimmt’s? Steht alles auf eurer Homepage, und mit der hübschen Suchfunktion habe ich dich im Handumdrehen serviert bekommen. Abgefahrener Nachname übrigens.“

      „Was?“

      „Dein Nach-na-me. Zweiter von zwei Namen, den wo du haben tust, verstanden? Bocca, klingt ziemlich abgefahren und jedenfalls eindeutig exotisch.“

      „Hm.“

      „Hör mal, wenn du so was wie eine Telefonier-Allergie hast, will ich dich ja auch nicht länger quälen. Wie wär’s dann mit einem Kaltgetränk in einer Innenstadtkneipe deiner Wahl heute Abend? Ich nehme mal schwer an, dass heute nicht das Wetter dafür ist, um mit deinen Jungs am Fluss abzuhängen.“

      „Tja, also nein, geht natürlich heute nicht, am Fluss.“ Es war Adam überdeutlich anzuhören gewsen, dass er in geradezu panischer Eile nachdachte, während er Stella zögerlich antwortete.

      „Also“, hatte sie nachgehakt, „was ist dann mit heute Abend?“

      „Ich..., eigentlich wollte ich ja, also ich kann nicht.“

      „Adam...“ Stellas Stimme war wieder ins Bedrohliche geschwollen.

      „Na ja, also nicht wegen der Jungs, ich wollte aber...“

      „Mich eben doch wieder abblitzen lassen. Okay, doof von mir. Wenn du’s halt nicht nötig hast.“

      „Aber ich wollte doch nur...“

      „Ach, leck mich!“ Stella hatte aufgelegt.

      Eigentlich hätte Adam erleichtert sein müssen, das Gespräch mit Stella überstanden zu haben, aber das war er nicht. Natürlich war ihm das Telefonat unangenehm gewesen, aber vor allem deshalb, weil er wirklich vollkommen überrascht davon war. Er hatte bestimmt nichts gegen Stella. Sie war ein wirklich lustiges Mädchen, noch dazu mit einer tollen, samtenen Telefonstimme begabt. Es gab überhaupt keinen Grund, ihr dermaßen die kalte Schulter zu zeigen, und das sah Adam auch völlig ein. Eigentlich, dachte sich Adam, wäre gar nichts dagegen einzuwenden, wenn er sich tatsächlich mit Stella träfe, einfach so, und unabhängig davon, dass sie Sandras beste Freundin war. Eine Verabredung mit Stella würde wenigstens bestimmt nicht langweilig werden, ganz im Gegenteil. Nachdenklich war Adam eine Weile im Badezimmer dagestanden, das Handtuch immer noch ungeschickt um die Hüfte gewickelt, bis ihn schließlich gefroren hatte. Um sich abzutrocknen und anzuziehen, hatte er das Handy beiseitegelegte, und damit auch den Entschluss, Stella zurückzurufen, sich bei ihr zu entschuldigen und sich mit ihr für den Abend zu verabreden. Er hatte es einfach vergessen.

      Auch am Sonntag, dem Tag danach, hatte er sich noch nicht an seine Idee erinnert, von sich aus auf Stella zuzugehen, ebenso wenig am Montag. Und so wäre es bei einer netten Idee geblieben, hätte nicht am späten Dienstagvormittag, am Tag vor dem Unfall, sein Handy mit dem neuen, noch penetranter gutgelaunten Klingelton losgeplärrt. Adam sah, dass es Stella war, und in diesem Augenblick war ihm klar, dass er seine bisherigen Patzer alle wieder gutmachen wollte. Ganz euphorisch nahm er das Gespräch an und redete sofort drauflos:

      „Hallo Stella, Mensch, das ist ja prima, ich wollte dich gerade anrufen, das ist wie gesagt echt schön. Ich bin ja hier jetzt noch bei der Arbeit, aber nein, nein, ich habe gerade nicht so viel zu tun, kann gut ein bisschen quatschen, also auch länger. Wie geht’s dir denn so? Ist ja echt schade, dass das Wetter nicht besser wird, aber man kann ja auch so noch was unternehmen. Ich hätte richtig Lust darauf, heute Abend mit dir was trinken zu gehen, was meinst du, wir können uns eigentlich am besten sogar im ‚Brauhaus’ treffen, da kann man jetzt auch super lecker essen, hab ich gehört, ich lad dich natürlich ein, geht das so um halb acht bei dir, fände ich echt toll.“

      Jetzt war es Stella, die nicht sofort antwortete. „Wow“, sagte sie dann, „was haben sie dir denn für Pillen gegeben?“

      „Ääh, wie? Ich wollte nur fragen, ob wir uns heute Abend vielleicht so um halb acht treffen wollen, ich könnte auch schon früher, wenn du magst. Wir müssen auch nicht ins ‚Brauhaus’, wir können auch woanders was essen, oder auch gar nichts essen und nur was trinken gehen, oder vielleicht einen 3D-Film schauen, ganz wie du willst.“

      „Ja, ja, ist ja schon gut, Hauptsache das Zeug wirkt bei dir. Vielen Dank jedenfalls für die Einladung, aber als großes Mädchen kann ich mich schon selber durchschlagen. Halb acht ist gut, wir sehen uns dann im Brauhaus.“

      „Ja toll, prima, freu mich drauf, bis dann.“

      „Hm, bis dann.“

      Überpünktlich um kurz vor halb acht kam Stella ins Brauhaus, ein für ihren Geschmack etwas zu großes und etwas zu trendiges Restaurant mitten in der Innenstadt von Kys, in dem den überwiegend jungen und möglichst flotten Gästen eine Mischung aus gestandener Gemütlichkeit und innovativer Kreativität vorgetäuscht wird. Die in dem hallenartig großen Innenraum zum Teil sichtbaren Braugerätschaften sind allesamt Attrappen. Das ausgeschenkte Reisbier wird natürlich in einer großen Fabrik vor der Stadt hergestellt und lediglich zur Schau aus Zapfhähnen entnommen, die aus einem dekorativen Bierfass herausragen, in Wirklichkeit aber mit einem Schlauch verbunden sind, der durch das ansonsten völlig leer Fass hindurchführt. Und die Bedienungen sind auch keine wachechten Kyser, sondern gut geschultes auswärtiges Personal, das auf einen effizienten und vor allem schnellen Umsatz mit Speisen und Getränken genauso gut geschult ist, wie auf einen halbwegs authentischen kumpelhaften Ton, mit dem sich ein wenig ortstypisches Flair synthetisieren lässt. Aber dem zahlungskräftigen und im Durchschnitt recht jungen Publikum gefällt es. Das Brauhaus ist an jedem Abend, auch unter der Woche, gut gefüllt, es herrscht ein trubeliges Kommen und Gehen.

      Vielleicht nicht der glücklichste Ort für eine erste Verabredung, aber Stella hatte nicht schon wieder meckern wollen. Sie hatte sich zu sehr darüber gefreut, dass Adam zum ersten Mal mehr als nur ein, zwei knappe Sätze am Stück herausgepresst und sogar von sich aus eine Verabredung vorgeschlagen hatte. Jetzt suchte sie mit sicherem Blick einen kleinen Tisch aus, bei dem niemand auf die Idee kommen würde, sich dazu zu setzen, der etwas abseits von der Menge stand aber doch mit unverstellbar gutem Blickfeld auf die Tür. Dass Adam nicht schon vor ihr da sein würde, hatte sie erwartet und sich dessen durch einen schnellen Rundblick noch einmal vergewissert.

      Sie setzt sich hin und wartete. Was erwartete sie von dieser ersten Verabredung? Sie hätte es selber nicht sagen können. Es hatte sie gefreut, dass Adam nach dem reichlich verunglückten Telefonat am Samstag so überraschend doch noch die Initiative ergriffen hatte, aber sie hatte keine konkreten Erwartungen an den Abend. Näher kennen lernen wollte sie ihn, diesen außergewöhnlichen Typ Jungen, der zum Glück gar keinen Wert darauf legte, sie als tollen Kerl zu beeindrucken, und dessen Schüchternheit ihr als Hinweis auf ein kluges und einfühlsames Wesen erschien. Vielleicht endlich einmal jemand aus ihrer Generation, der nicht immer nur in allem mitmachen und es im ständigen Wettbewerb zu den angeblichen Freunden und „Kumpels“ überall besser machen wollte; sondern einer, der bereit war, selber nachzudenken. „Ein außergewöhnlicher Typ jedenfalls“, dachte sie. Es war schon bald viertel vor acht, von Adam keine Spur. Hoffentlich hatte er nicht vor lauter Nachdenklichkeit die Verabredung vergessen, dachte sie mit einem inneren Seufzer und holte ihr Digitalpapier heraus, das sie, sicher ist sicher, in ihre Handtasche gerollt hatte.