Tilmann A. Büttner

Adam Bocca im Wald der Rätsel


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      Adam schaute immer noch unruhig im Brauhaus umher, ohne Stella zu bemerken. Das wird nie was, dachte sie sich, und als er auch noch Anstalten machte, zur Treppe ins obere Geschoss zu gehen, stand sie vom Tisch auf, ging ihm hinterher und hielt ihn an der Schulter fest.

      „Na, wieder mal nichts passendes im Kleiderschrank gefunden vor so einem wichtigen Date?“ fragte sie ihn, als er sich erschrocken zusammenfahrend umdrehte. So viel Spott musste dann doch sein.

      „Ach, Stella, es tut mir leid, ich hab mich total verspätet, tut mir so leid, ich bin los, um mit dem Auto von meinem Vater zu kommen, aber dann habe ich erst im Parkhaus gemerkt, dass ich nicht die richtige Fahrzeugidentität dabei hatte, und dann bin ich schnell zum Expressschweber, aber das hat ewig gedauert, wegen der Sicherheitskontrollen mit dem Anschlag, tut mir echt leid.“

      „Und dein Handy hast du wahrscheinlich ins Klo fallen lassen, du Komiker.“

      „Mein Handy? Ach so, Mist, daran hab ich gar nicht gedacht, ich meine, ich dachte, ich schaff’s doch noch rechtzeitig.“

      „Hat ja fast hingehauen. Wegen ’ner schäbigen kleinen halben Stunde muss man ja auch nicht gleich zum Telefon greifen, wenn man sich sicher ist, dass das Herzchen sowieso wartet.“

      „Tut mir leid.“ Adam stand da wie ein ausgeschimpfter Schuljunge. Stella wusste nicht, dass nach der Bekanntgabe des verhinderten Anschlags die Secuforce tatsächlich zahlreiche Telefonnetze zeitweilig zur Sicherheit lahmgelegt hatte – eine Standardmaßnahme nach solchen Nachrichten, angeblich um Absprachen zwischen potentiellen weiteren Mitgliedern der jeweils entdeckten Gruppe zu verhindern. Auch Adams Telefon war davon in der letzten halben Stunde betroffen gewesen und funktionierte nun erst seit einigen Minuten wieder. Sie tat ihm also Unrecht, ohne es zu wissen, aber wie er so vor ihr stand, wollte sie ihn sowieso nicht länger anmotzen.

      „Na ja, es is’ ja wie’s is’, hast Glück gehabt, ich wollte gerade gehen. Da drüben ist unser Tisch, na los, ich hab echt Hunger jetzt.“

      Artig setzte Adam sich hin. Bevor er es sich bequem machte, sprang er sogar noch einmal in verlegener Eile auf, um Stella den Stuhl heran zu rücken.

      „Zu freundlich, danke“ bemerkte sie mit halbem Spott.

      „Du hast wohl schon ziemlich lange gewartet?“

      „Ziemlich, danke der Nachfrage. Hat aber auch sein Gutes. Jetzt habe ich wenigstens anständigen Appetit, und ich weiß auch schon, was ich nehme, denn die Karte konnte ich ja in der Zwischenzeit auswendig lernen.“

      „Ja, stimmt, tut mir leid, dass du noch nichts gegessen hast.“

      „Einen knurrenden Magen muss man riskieren, wenn man pünktlich kommt und mit dem Futtern wartet, bis die Verabredung endlich da ist. Hast du schon eine Idee, was du willst?“

      Adam hatte sich in seiner Verlegenheit nicht anders zu helfen gewusst, als schnell eine der auf dem Tisch liegenden Speisekarten zu studieren. Mit rotem Kopf versuchte er, so schnell wie möglich irgendetwas herauszusuchen, aber die Buchstaben tanzten vor seinen Augen und er nahm gar nicht wahr, was er da las.

      „Das scheint mir übrigens die Kinderkarte zu sein“, hörte er Stella da sagen. „Eine echte Empfehlung des Hauses für unsere lieben Kleinen ist wohl ‚Silly und Philly’, zwei Bockwürstchen mit mildem Senf und Kartoffelbrei. Wäre das was für dich, hm?“

      Adam senkte die Karte zum Zeichen, dass er sich geschlagen gab. „Wohl kaum. Ich nehme einfach, was du nimmst.“

      „Alles klar“. Mit erfolgsgewöhnter Geste winkte sie einen Kellner heran, bei dem sie zwei Holzfällersteaks mit extra viel Pommes und zwei große Reisbier bestellte. Das Bier kam nach wenigen Augenblicken, die beiden prosteten sich zu und es entspann sich so etwas wie eine Unterhaltung. Stella musste zwar das Konversationsthema vorgeben – zum Glück interessierte sie sich wirklich für die Squit-Liga – aber immerhin wurde Adam wieder zusehends selbstsicherer. In der Schilderung seiner eigenen Leidenschaft fürs Squitten wagte er sogar einen kleinen Scherz auf seine eigenen Kosten, über den Stella tatsächlich ein wenig lachen konnte. Das Essen kam, zwei gewaltig große Teller mit je einem in rotbrauner Soße dampfenden Steak und einem Berg knuspriger Pommes. Stellas Stimmung machte Sprünge nach oben. Auch Adam freute sich sichtlich, er rieb sich die Hände wie ein Kind vor der Bescherung, lobte Stellas Menüwahl „das sieht ja wirklich nach einem richtig leckeren Jungs-Essen aus“ und griff betont schwungvoll nach Messer und Gabel, um seinen großen Appetit zum Ausdruck zu bringen. „Guten Appetit!“ wünschte er noch, und da passierte es auch schon. In dem Schwung, mit dem er das Besteck in weitem Bogen zu seinem Teller führen wollte, blieb er irgendwie – wie genau wird für immer sein Künstlergeheimnis bleiben – an seinem zu drei Vierteln vollen Bierhumpen hängen. Der schwere Glaskrug folgte gehorsam der Schwerkraft, kippte nach vorne, also in Stellas Richtung, und ergoss seinen Inhalt in gerechten Teilen über den Tisch, Stellas Hosen und auf Stellas Pommes. Da half ihr auch kein noch so fester Wille zur guten Laune mehr.

      „Verdammte Scheiße, pass doch auf, du Idiot“ entfuhr es ihr, als sie vom Tisch aufsprang. Das und der laut polternde Aufprall ihres umkippenden Stuhls garantierten die Aufmerksamkeit der umsitzenden Restaurantgäste. Für eine Sekunde war Adam der festen Überzeugung, in einem Albtraum gelandet zu sein. Auch das noch! Stellas Hose, die sogar er als zwar nicht protziges aber auch bestimmt nicht billiges Stück Markenware erkannte, troff vor klebrigem Reisbier. Der Tisch sah aus wie ein Schlachtfeld nach einem Kindergeburtstag. Die Pommes auf Stellas Teller waren ebenfalls mit Reisbier getränkt und hatten sich aus einem knusprigen Genuss in eine pappige, an den Rändern in Auflösung übergehende Masse verwandelt. Der herbeieilende Kellner wischte die Lache vom Tisch, nicht ohne ein paar gezielte Spritzer in Richtung Adam zu lenken, brachte die Karten in Sicherheit und erkundigte sich in unüberhörbar gespielter Anteilnahme, ob es denn ginge.

      „Ja, es geht“ zischte Stella mit dem denkbar schärfsten aller S-Laute. Es wollte fast den Anschein haben, als würde sie auf der Stelle gehen. Dann hob sie aber doch mit ein paar unverständlich gemurmelten Flüchen ihren Stuhl auf, was wohl nicht in den Zuständigkeitsbereich des wieder verschwundenen Kellners fiel, setzte sich hin und säbelte mit grimmiger Entschlossenheit auf ihr Steak ein. Adam versuchte es noch mit einer schüchternen, in fiepsiger Stimme vorgetragenen Frage, ob sie vielleicht von seinen Pommes...? Das beantwortete sie nur mit einem tiefen Brummen und säbelte weiter, ohne Adam eines Blickes zu würdigen.

      Schweigend aßen die beiden. Stella verzehrte in beängstigender Geschwindigkeit ihr Steak, ohne die Pommes-Trümmer auch nur anzurühren. Adam stocherte schüchtern auf seinem Teller herum, das Steak war wirklich lecker und die Pommes, obwohl jetzt schon ein wenig kalt geworden, ausgesprochen sagenhaft. Leider, denn das musste er jetzt ja wohl tunlichst für sich behalten. Als Stella das Steak aufgegessen hatte und den Teller von sich schob, legte auch er das Besteck beiseite. Er sah sie an in der Hoffnung, die ganze Katastrophe doch noch gutmachen zu können. Sie starrte mit finster zusammengezogenen Augenbrauen auf einen unbestimmten Punkt hinter ihm. Schließlich holte sie tief Luft und wandte ihm den Blick zu.

      „Und sonst?“ fragte sie fauchend.

      „Wie... sonst?“

      „Hat’s dir jetzt neben dem Appetit auch mal wieder die Sprache verschlagen.“

      „Ich..., ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll.“

      „Egal, sag irgendwas, kann ja nur noch aufwärts gehen. Isst du das noch?“ Sie deutete auf seine noch zu einem erklecklichen Anteil auf dem Teller liegenden Pommes. Er schüttelte mit resigniertem Gesicht den Kopf.

      „Leider schon kalt“, konstatierte sie verbittert, nachdem sie sich zwei, drei Pommes geangelt hatte. „Also, ich höre?“

      „Hm?“

      „Konversation bitte, Mister Bombenstimmung.“

      Es war ein kleines Wunder, dass es Adam wirklich gelang, dieser Aufforderung mit einigem Erfolg nachzukommen. Mit gutem Gespür begann er mit einer halb sachlichen, halb amüsanten Schilderung des Auto-Ticks seines Vaters, der sich alle zwei Jahre einen neuen Wagen zulegte und dabei immer ängstlich