Tilmann A. Büttner

Adam Bocca im Wald der Rätsel


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sich meistens kaum die Mühe machten, sich dort unter einem Alias zu registrieren. Danach hatte er es noch mit den Fansites einiger Musikvideosender versucht und den Kundenforen der drei größten Modehausketten. Nirgends gab es eine Stella Parker. Einen Treffer hatte er dann schließlich doch, als er ohne großes Nachdenken ein Mitgliederforum des „Freundeskreises der Sicherheitskräfte in Paneupinia“ überprüft hatte. Da, tatsächlich hatte da die Suche nach Stella Parker Erfolg gehabt. Stella Parker war, das hatte Adam doch sehr gewundert, vielfach anerkannte und sogar ausgezeichnete Freundin der Sicherheitskräfte. Der nächste Klick hatte den Irrtum aufgeklärt: die im Freundeskreis der Sicherheitskräfte registrierte Stella hatte im Jahr zuvor ihre fünfundzwanzigjährige Mitgliedschaft gefeiert und dafür die Ehrenbrosche entgegengenommen. Eine dermaßen achtbar um die Sicherheitskräfte bemühte, vermutlich schon reichlich ältere Dame konnte kaum mit dem Früchtchen identisch sein, das fremden Jungs das Reisbier wegtrank und dabei die Flaschen mit ihrem Ring öffnete.

      Mit diesem Ergebnis waren Adams Bemühungen, über die Suche nach Stella Sandra aufzuspüren, fürs Erste gescheitert. Eine „Sandra“ im Netz zu suchen, nähere Beschreibung: blond, um die zwanzig Jahre alt, sitzt im Sommer gerne mit ihre Freunden an der Kirna, das war von vornherein aussichtslos. Oder wie Adams wunderbar verschrobener Biologie-Lehrer einmal zur Freunde der gesamten Abschlussklasse gepredigt hatte: „Meine Herren, Sie müssen ja das Objekt Ihrer Begierde nicht siezen, wenn Sie von der Liebe auf den ersten Blick getroffen werden. Aber nach ihrem Nachnamen sollten Sie schon fragen. Oder haben Sie es schon einmal geschafft, eine..., na sagen wir: eine Cindy im Telefonbuch von Kys zu finden?“ Nun benutzte zwar so gut wie niemand mehr Telefonbücher, aber Recht hatte er doch gehabt, der verschmitzte alte Knacker. Alleine anhand ihres Vornamens konnte Adam Sandra nicht finden und schon gar nicht ihre Nummer herausbekommen. Das war auch Stella klar gewesen, die auch gewusst haben musste, dass Adam auch sie selber nicht über ihre Nummer würde identifizieren können. Er war also in eine Sackgasse geraten.

      Sein letzter Strohhalm war der Plan gewesen, am darauffolgenden Samstag noch einmal an die Kirna zu gehen in der Hoffnung, Sandra würde dort wieder auftauchen und er bekäme womöglich sogar die Chance mit ihr alleine, ohne ihren Freddy in der Nähe, zu reden. Aber das nächste Wochenende war schon kühl und regnerisch, und so gab es genau genommen überhaupt keine Menschen, die am Flussufer den Tag verbrachten. Nur ein paar hysterische Powerwalker hasteten vorüber. Adam war trotzdem hingegangen, hatte eine gute halbe Stunde lang im Regen gestanden und war dann niedergeschlagen nach Hause getrottet. Warum musste er sich auch in ein Mädchen verlieben, bei dem er überhaupt keine Chance hatte, sie zu finden und wiederzusehen?

      Gar keine Chance? Na ja, das stimmte natürlich nicht. Immerhin hatte er Stellas Nummer, er hätte sie anrufen und sich mit ihr verabreden können, vielleicht hätte er dann mit etwas Geschick das Gespräch auf Sandra lenken und so viel über sie herausbekommen können, um sie doch noch im Netz aufzuspüren. Aber das war für Adam kaum mehr als eine rein theoretische Möglichkeit. Stella hatte er kennen gelernt... als ein Mädchen, mit dem er lieber nicht mehr als unbedingt nötig zu tun haben wollte. Er hatte sie an jenem Nachmittag am Fluss nicht unsympathisch gefunden, hatte auch nicht übersehen, wie hübsch sie war, und doch – oder vielleicht auch deshalb – hatte er, ja, da gab es nichts zu leugnen, hatte er Angst vor ihr gehabt. Nur so ein bisschen, genug jedenfalls, um ein Telefonat oder gar ein Treffen mit ihr vorsichtshalber erst gar nicht in Betracht zu ziehen. Richtiggehend verhört hatte sie ihn schließlich, und Carlo hatte die Sache nicht unbedingt besser gemacht mit seinen Versuchen, Adam besser dastehen zu lassen. Und dann die Nummer mit dem Bierflaschenetikett! Hätte er nicht ein bisschen Angst vor Stella gehabt – und so wenig war es gar nicht, eine ganz undefinierbare Angst hatte er davor gehabt, ihren Unwillen auf sich zu ziehen – hätte er also keine Angst vor Stella gehabt, er hätte das Etikett unbesehen in den Fluss geschmissen. Das hatte er zum Glück nicht getan, so dass ihm eine winzig kleine Hoffnung geblieben war, mithilfe der Nummer von Stella auch Sandra wiederfinden zu können. Diese Hoffnung hatte sich zwar nun zerschlagen, aber immerhin. Und doch hatte sich Adams Verzweiflung noch nicht hoch genug aufgetürmt, um die theoretische Restmöglichkeit doch noch zu ergreifen und Stella anzurufen. Lieber hatte er sich eine Woche nach dem Aufeinandertreffen mit Sandra an derselben Stelle am Flussufer nasse Füße geholt und verwunderte Blicke der Powerwalker eingehandelt. Dann, zu Hause hatte er sich in ein heißes Bad gelegt und sich unbestimmten, süßen Träumereien an Sandra hingegeben, die vor seinem geistigen Auge – selbstverständlich – immer schöner und begehrenswerter wurde.

      Sein Vater war an diesem Wochenende wieder einmal nicht daheim sondern auf unaufschiebbarer Geschäftsreise in einer der benachbarten Kuppeln unterwegs, so dass Adam die Wohnung für sich gehabt hatte, alle Türen hatte offen stehen lassen und eine schwermütige, scheinbar uralte Popmelodie bis in das große, hell erleuchtete Bad hinein hatte fließen lassen können. Der Sinn des Textes war Adam nicht mit dem Verstand, sondern nur in vagen Ahnungen zugänglich. Von einem Lied, dessen Tentakel sich aus einer Tür hinaus erstreckten, war da die Rede, von einer Welt in Zeitlupe und davon, wie zwei, die zusammengehören, den Tag verschlafen.

      Adam hatte nicht verstehen müssen, was sich diese Musikgruppe mit dem rätselhaften Namen „Elbow“ da vor unvorstellbar langer Zeit bei diesem Lied mit dem rätselhaften Titel „Bones of you“ gedacht hatte. Nur mitfühlen, bis in die letzte Faser spüren wollte er es. Das war ihm an einem so trüben Samstagnachmittag ohne jede Aussicht, Sandra in nächster Zeit wiederzufinden, ganz ausgezeichnet gelungen. Sandra, ach, Sandra. Sanft war Adam eingedöst.

      Mit penetranter Gutgelauntheit hatte ihn der Klingelton seines Handys aus Dösen und Träumereien gerissen. Das wilde Gestampfe der quäkenden elektronischen Musik aus dem silbergrau changierenden und ultraflachen Mobiltelefon hatte überdeutlich zur schwärmerischen Schwere der klassischen „Elbow“-Songs kontrastiert, und das hatte geholfen, Adam um so gründlicher zu wecken. Als ob er bei etwas Verbotenem, oder wenigstens bei etwas Ungehörigem erwischt worden wäre, war er aus der Badewanne gesprungen, hatte sich sein Handy und den Haustechnik-Controller geschnappt und zeitgleich die Musikanlage ausgeschaltet und den Anruf angenommen.

      „Hallo?“ hatte er ins Telefon gerufen, „Adam Bocca?“ Er hatte schon immer eine unverwechselbare Art gehabt, seine Anrufer dadurch zu verwirren, dass er sich zwar mit seinem Namen meldete, ihn aber als Frage intonierte. So mancher Anrufer hatte da schon überrascht aufgelegt. Aber Stella natürlich nicht.

      „Das will ich hoffen“ war ihre Stimme sanft aber entschlossen aus seinem Handy getönt, „oder ich werfe meine Kommunikationssoftware auf den Müll.“

      Adam hatte geschwiegen. Dann hatte er geschnauft vor Überraschung. Nur sagen hatte er nichts können.

      „Ja, ja“, setzte Stella das Gespräch fort, „schon gut, du kannst dir deine überschwänglichen Freudensbekundungen sparen, ich freue mich auch total, wieder von dir zu hören.“

      Immer noch keine Reaktion von Adam.

      „Aber gehört hast du von einer Erfindung namens Telefongespräch doch schon mal?“ hatte sie weiter gebohrte. „Und vielleicht hast du ja auch schon mal so ganz am Rande mitbekommen, dass die zentrale Spielregel dabei verlangt, dass beide Gesprächsteilnehmer etwas sagen?“

      „Ja, hallo...“ Zäh wie Klebstoff waren Adam die Worte aus dem Mund getropfte, „hallo, ich...“

      „Oh, prima, klar können wir von mir aus gerne bei den Basics anfangen. Alsdann: Hallo Adam Bocca, ich wünsche einen guten Tag und bitte um Nachsicht um die Störung zu dieser unpassenden Zeit, ich bin’s nur, Stella Parker, Telekommunikationsgenie und auf der Suche nach einem jungen Mann, der nicht gleich jedes dahergelaufene Hühnchen zurückrufen muss, das ihm seine Nummer gibt. Darf man vielleicht fragen warum?“

      „Wie hast du meine Nummer herausgefunden?“

      „Huiuiui, ich hoffe, dein Sicherheitsbeauftragter scheißt sich nicht gleich die Hosen voll, wo doch schon eine unbekannte Verrückte dich ohne weiteres kommunikativ aufspüren kann. Aber keine Angst, ich will dich weder erpressen noch stalken.“ Stellas Ton war ziemlich gereizt geworden.

      Adam hatte sich entweder nicht davon beeindrucken lassen oder er es einfach überhört. „Ja, aber wie hast du es denn dann geschafft?“