Tilmann A. Büttner

Adam Bocca im Wald der Rätsel


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Aufmachern vorangestellt war ein ausführlicher Artikel unter einer Schlagzeile in leuchtend roten und noch dazu animierten, blinkenden Lettern: „Schwerer Anschlag auf Zentrales Regierungsamt verhindert. Secuforce: Wir haben Hunderten das Leben gerettet.“ So eine Nachricht war nicht alltäglich, aber im Leben der Kyser auch noch keine riesenhafte Sensation. Meldungen von gerade noch abgewendeten terroristischen Anschlägen, die viele Opfer gekostet hätten, gab es mehrere in jedem Jahr, und sie beherrschten dann jeweils für einige Tage die Medien. In der Berichterstattung schienen die Journalisten dabei größte Mühe auf die höchst drastische Schilderung dessen zu legen, was bei dem verhinderten Anschlag alles hätte passieren können, wäre er denn nicht verhindert worden. Das bewegte sich zwar allenthalben im Bereich freier Spekulation, um nicht zu sagen blutrünstiger Fantasie, aber das störte die Leser, Zuschauer und Online-Nutzer offenbar wenig. Solche Berichte fanden große Verbreitung und ein garantiert vielfach höheres Interesse als alle noch so klugen Analysen über die Arbeit der Regierung oder des Parlaments. Freilich brachten die Menschen in Kys, in der ganzen Paneupinia und wohl auch in allen anderen Kuppeln allen Belangen der Regierung ohnehin niemals mehr als ein der Höflichkeit gebotenes Mindestmaß an förmlichem Interesse entgegen. Die Lust an der schauerlichen Sensation, die ein verhinderter Anschlag verbreiten konnte, kontrastierte mit dieser allgegenwärtigen politischen Indifferenz um so greller. Als ob die Menschen nicht selber imstande gewesen wären, sich Schauergeschichten auszumalen, wurde in den Medien dann also genüsslich durchdekliniert: In unmittelbarer Nähe, etwa zwei Straßenkreuzungen entfernt vom potentiellen Anschlagsort, befinde sich bekanntlich eine der größten Kinderschulen der Stadt. Und wenn jetzt, wie das um diese Jahreszeit ja durchaus üblich sei, die frisch eingeschulte Anfängerklasse einen Ausflug in den benachbarten Park gemacht hätte, dann hätte, ja, das wäre sehr gut möglich gewesen, der Fußweg der süßen kleinen ABC-Schützen an dem Gebäude vorbeiführen können, an dem die skrupellosen Terroristen den hochpotenten Hydrid-Sprengsatz hatten deponieren wollen. Und wenn die Schüler gerade im Augenblick der Detonation dort entlang gegangen wären, ja dann hätte es keine Überlebenschance für keines der goldigen Kinder gegeben, von denen die niedlichsten übrigens auf der Folgeseite zur besseren Information der Leser mit Foto und wichtigsten Eckdaten vorgestellt werden. Diese jungen unschuldigen Leben hätten die in namenloser Brutalität handelnden (oder wenigstens planenden) Verbrecher ausgelöscht (oder wenigstens auslöschen können). Wenn denn alles so gekommen wäre, wie es hätte kommen können.

      Im Vergleich zur Schilderung möglicher Anschlagsfolgen – neben toten Kindern auch verstümmelte Krankenhauspatienten, in eingestürzten Hörsälen lebendig begrabenen Studenten oder schlicht durch herumfliegende Splitter in Stücke gerissene Kunden eines Einkaufszentrums – geriet die Berichterstattung über die Personen der verhinderten Attentäter stets sehr knapp, war beschränkt auf wenig informative Stereotype. Verbrecher waren es eben, kaltblütig planende Terroristen, die ihre fanatischen Ideen mit dem Anschlag hätten verfolgen wollen. Woher sie kamen, wer genau sie waren, und worin eigentlich die fanatische Idee bestand, um deretwillen sie zu vielfachen Mördern hatten werden wollen, das wurde nie ganz klar. Dass es verzweifelte Existenzen seien, gut, das gab eigentlich kaum einen Anhaltspunkt. Es bedurfte schließlich keiner geheimdienstlichen Kenntnisse um zu verstehen, dass nur eine eher verzweifelte Person bereit war, unzählige unbeteiligte Personen für eine bloße Idee in den Tod zu reißen. Zur Herkunft der Attentäter hieß es stets nur, sie stammten aus dieser oder jener Kuppel, selten war es die Paneupinia selber. War ein besonders schlimmer Anschlag verhindert worden, dann konnte auch einmal der mysteriöse Hinweis in den Medien auftauchen, die Attentäter hätten einer Gruppe von unzivilisierten Bewohnern der ländlichen Umgebung der Stadtgemeinde Kys oder anderer Städte angehört. In einer solchen Konstellation wurde dann regelmäßig auch noch eine Verbindung zu einem nicht näher bezeichneten Anführer einer aus eben dieser ländlichen Umgebung stammenden verbrecherischen Bande hergestellt, der zwar schon vor langer Zeit in strenge Haft genommen worden sei, dem seine verblendeten Anhänger aber weiterhin die Treue hielten und ihn zu befreien und zu rächen suchten.

      Zu dieser Art der Berichterstattung gab es dann nur noch eine weitere Steigerung des Grauens, wenn nämlich tatsächlich einmal ein Anschlag passiert war, bei dem tatsächlich Menschen starben, und zwar nicht zu hunderte, aber doch um ein Dutzend Opfer zu beklagen waren. Das passierte weitaus seltener, etwa fünf bis zehn Jahre lagen zwischen solchen tatsächlich verübten Anschlägen. Die Medien waren dann natürlich auf Wochen voll davon. Und bei jedem verhinderten Anschlag wurde auf einige der vergangenen ausgeführten und verhinderten Anschläge verwiesen und nochmals das schreckliche oder gerade noch verhinderte schreckliche Geschehen von damals journalistisch übersichtlich aufbereitet. Zur Mahnung, dass sich so etwas Furchtbares nicht wiederholen dürfe, und dass die entschlossen handelnden Wächter der inneren Sicherheit die volle Unterstützung aller Bürger bedürften.

      Mit diesen Wächtern waren freilich keine staatlichen Organe gemeint. Wirklich polizeilich oder geheimdienstlich operierende staatliche Stellen gab es nicht. Auch das war vielmehr Aufgabe des wichtigsten Kooperationspartners der paneupinischen Regierung in allen Belangen der Sicherheit und Ordnung – also des Sicherheitskonzerns Secuforce. Nicht selten wurden mediale Berichte über verhinderte oder Rückblenden auf früher verübte Anschläge in Form von Augenzeugenerzählungen der an den Ermittlungen beteiligten Secuforce-Mitarbeiter aufgemacht. Vom einfachen Protektor auf Streife bis zum hochrangigen Sicherheitsexperten berichteten dann die langjährig erfahrenen Mitarbeiter von Secuforce über das harte aber ehrenvolle Geschäft mit der allgegenwärtigen Bedrohung. Die es abzuwenden gelte. Für deren Abwehr es einen verlässlichen Partner gebe: Secuforce.

      Stella las den Hauptartikel über den geplanten Anschlag ebenso vollständig wie die vier vertiefenden ergänzenden Berichte und stellte fest, dass sie dem üblichen Schema der Berichterstattung folgten. Dieses Mal wäre um ein Haar die viel frequentierte Expressschweberstation im Bankenviertel getroffen worden. Und wo doch demnächst die große Bewerbermesse für Nachwuchs-Banker hätte stattfinden sollen, hätte es gut sein können, dass viele hoffnungsvolle und gutausgebildete Wirtschaftsexperten einen grausamen Tod hätten finden können, hier stellen wir einige der Spitzenabsolventen des letzten Jahrgangs vor, ihr junges Leben hätte vorbei sein können, und so weiter. Stella schaltete das Digitalpapier ab und sah auf die Uhr: fünf nach Acht. Jetzt hatte Adam sie also doch noch versetzt.

      Sie schalt sich selber, wie sie so dämlich hatte sein können, sich auf Adam diesmal zu verlassen. Es musste ja nicht unbedingt böser Wille bei ihm sein, sie wie eine lästige kleine Schwester zu behandeln, der er entweder ausweichen oder sie ins Bockshorn jagen wollte. Vielleicht war er einfach nur ein noch ziemlich grüner Junge, der nur sich selbst und sein kleines lächerliches Leben kannte, das er ohne die geringste Rücksicht auf seine Zeit- und Altersgenossen lebte. Dann half es wohl nichts, als sich doch an ältere Jungs zu halten, solche, die schon reif genug waren und es verinnerlicht hatten, dass es nie schaden konnte, gegenüber einem hübschen jungen Mädchen vorsichtshalber immer höflich und zuvorkommend zu sein. Wie auch immer, der Abend war jetzt wohl gelaufen, und sie war bereit, ihn als schmerzliches Lehrgeld im Umgang mit scheinbar interessanten Menschen abzubuchen.

      Gerade hatte sie ihren Barkodierer aus der Tasche geholt, um ihr schon vor einer halben Stunde bestelltes und längst ausgetrunkenes Reisbier elektronisch zu bezahlen, und dann zu gehen – als schließlich Adam doch noch ins Brauhaus stolperte. Unruhig suchte sein Blick die nun schon zahlreich besetzen Tische ab. Obwohl er keine zehn Schritte von ihr entfernt stand, schien er sie nicht entdecken zu können. Mit bitterer Bösartigkeit überlegte sie für einen Augenblick, ob sie ruhig sitzen bleiben und dann unbemerkt verschwinden sollte, während er nach ihr in einem anderen Teil des Brauhauses suchte. Verdient hätte der Trottel es eigentlich, und auf einen Abend mit ihm hatte sie jetzt ohnehin nur noch wenig Lust. Aber noch als sie diese Idee zu Ende dachte, ging ihr auf, dass damit für sie auch nichts gewonnen wäre. Adam war ein Trottel, klar, und er wusste einfach nicht – noch nicht – wie er sich gegenüber einem Mädchen mit einem offensichtlichen Interesse an ihm zu verhalten hatte. Doch hatte er beim Telefonat an diesem Morgen gezeigt, dass er nicht mehr nur einsilbig antworten und ihr ausweichen wollte. Immerhin hatte er dieses Treffen vorgeschlagen, zu dem er schließlich auch, mit reichlicher Verspätung zwar, aber immerhin, erschienen war. Wenn sie ihm jetzt heimlich entwischte, hätte sie zwar eine kleine Rache an ihm, aber er würde sich bestimmt wieder melden und eine