Tilmann A. Büttner

Adam Bocca im Wald der Rätsel


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sommerlicher ging die neue Woche voran, Stella meldete sich nicht. Adam überraschte seinen Vorgesetzten mit der Initiative, vielleicht doch einmal etwas Bedeutsameres zu tun, als immer nur Eingaben einzusortieren und abzulegen. Der Vorgesetzte hatte ihm umgehend eine neue Aufgabe gegeben und ihn in die Zielsetzung einer demnächst zu erstellenden Analyse von Kleinunternehmen eingewiesen. Seitdem las sich Adam fleißig in statistische Geschäftskennzahlen kleiner Unternehmer ein und versuchte sich darin, den Zahlen analytische Ansätze zu entlocken. An jedem Abend der Woche machte er Sport, Squitten, Magno-Squashen, Laufen, er schaute wirklich nicht auf sein Handy in Erwartung einer Nachricht von ihr. Am Freitagmittag ließ er das Telefon sogar in seinem Büro liegen, als er zum Essen ging. Nach der Pause sah er ihren Anruf auf dem Display, und dass sie ihm auf die Mailbox gesprochen hatte. Schlagartig gesellte sich zu seiner gelassenen Klarheit eine frohe Aufregung. Sie hat sich zurückgemeldet. Endlich! Ihre Nachricht war kurz:

      „Adam, hallo, Stella hier. Du, hm, du wolltest etwas wiedergutmachen. Wie praktisch. Ich könnte nämlich deine Hilfe gebrauchen, ja. Ich sitze hier in der Pampa fest, in so einem Sporthotel, oder wie sich das nennt. Die anderen sind einfach abgedampft, und es ist ziemlich teuer, die Monobahn in die Stadt zurückzunehmen. Genau genommen fährt heute auch erst spät abends wieder eine, und ich wäre dann erst nachts da. Sei mal wieder ein netter Kerl und hol mich ab, ja? Ruf mich zurück, ich sag dir dann genau, wo ich bin.“

      Da half ihm seine neu gewonnene Klarheit auch nicht viel weiter. Sie abholen? Aus einem Sporthotel irgendwo auf dem Land? Und dann mit ihr zurück in die Stadt fahren? Das war schon eine Menge, konnte aus der Ferne ja fast wie Freund und Freundin aussehen. Und sie würden viel Zeit haben, miteinander zu reden. Nicht zu vergessen die Gelegenheit, sich nicht nur mit schönen Worten, sondern auch durch eine echte Hilfe zu entschuldigen. Was gab es noch zu überlegen? Dass er überlegte, genau das gab ihm zu denken. Er hatte, seitdem er ihr auf die Mailbox gesprochen hatte, nicht mehr an Stella gedacht, wirklich nicht, an Sandra schon. Sandra und ihr Freddy, Sandra, die Zicke wider willen. Nichts zu machen, Junge, schlag sie dir aus dem Kopf. Aber wer wollte das schon befehlen und Gehorsam erwarten? Wenn er Stella jetzt diesen Gefallen tat, dann gab er endgültig zu, bei Sandra nichts gewinnen zu können. Dann würde er sich auf Stella einlassen müssen, sie würde ihn dann kaum mehr entwischen lassen.

      Carlo musste helfen, ganz klar. Er rief ihn an, das war die oberste Nummer in seiner Anrufliste. Und selbstverständlich, alles andere wäre eine Überraschung gewesen, meldete sich sofort Carlos Mailbox.

      „Carlo Feinmans Mailbox, hallo. Ich komme auf Ihre Nachricht sehr gerne zurück. Danke.“

      „Carlo, du Penner, sieh zu, dass du rangehst, ich hab dir schon tausendmal gesagt, dass diese dämliche Masche mit dem ‚Hey ich bin zu beschäftigt, um erreichbar zu sein‘ einfach nur nervt. Es ist dringend, superdringend, also beweg deinen Arsch. Ich zähle jetzt bis zwanzig, und wenn ich dich bis dahin nicht an der Leitung habe, hast du ein echtes Problem mit mir.“

      Schon bei zwölf war Carlo dran.

      „Adam, fleißiges Goldstückchen, wie kann ich dir helfen.“

      „Klappe halten, zuhören. Stella hat mich gerade angerufen.“

      „Respekt.“

      „Ich sagte doch, erst mal Klappe halten.“ Adam schilderte ihm seine Lage und fragte, was er tun sollte.

      „Mann, sei kein Idiot, fahr hin, aber flink.“

      „Du weißt schon, dass ich Stella dann nicht so schnell wieder loswerde.“

      „Und du weißt, dass du viel mehr als ein Idiot bist, wenn du sie wieder loswerden willst.“

      „Ach, wenn du sie so toll findest, kannst du ja fahren.“

      „Wenn ich keine anständige Beschäftigung hätte und so viel Zeit wie einige Herren Dienstleistende im Regierungsamt würde ich es auch sofort tun, Penner.“

      „Selber Penner. Vielen Dank auf jeden Fall.“

      „Gern geschehen. Grüß schön und hab Spaß.“

      Nur eine gute Stunde später fuhr Adam aus der Innenstadt hinaus und den Stadtgrenzen entgegen. Gleich nach dem knappen Gespräch mit Carlo hatte er ebenso knapp mit Stella telefoniert. Sie hatte sich unüberhörbar über seinen Rückruf gefreut, ihm dann aber ganz sachlich beschrieben, wie er mit dem Auto am schnellsten zu dem Hotel käme, in dem sie auf ihn warten würde. Adam war überzeugt gewesen, dass er ohne weiteres seine seit dieser Woche eigentlich sehr ansprechende Arbeit unterbrechen und sofort würde aufbrechen können. Und tatsächlich: als er – mehr der Höflichkeit halber – zu seinem Vorgesetzten ging, um sich für den Freitagnachmittag abzumelden, hatte der ihm kaum Beachtung geschenkt. Der Vorgesetzte war an seinem Schreibtisch sitzend deutlich erschrocken, als Adam an die halboffene Tür geklopft hatte. Eine hastig in die Schreibtischschublade versenkte Schachtel hatte Adam auf den ersten Blick als Verpackung eines interaktiven Cyber-Sex-Zubehörsets identifizieren können. „Ja, ja, gehen Sie nur“, war er denn auch abgewimmelt worden, und „auf geht’s, junger Mann“ hatte der Vorgesetzte ihm noch hinterhergerufen. Adam hatte nicht recht gewusst, an wen genau sich diese Aufforderung richten sollte. Er hatte so schnell wie möglich ein paar Unterlagen zusammengepackt, um am Wochenende noch ein wenig daheim weiter zu arbeiten, und hatte dann schleunigst sein Auto aus dem Parkhaus seines Wohnhauses geholt.

      Adam fuhr auf der Schnellstraße stadtauswärts durch den zunehmend dünneren Verkehr. Jetzt machte es ihm doch Freude, dass die Versicherung dieses armen Zeitungsverkäufers so schnell reagiert und das Auto in eine Partnerwerkstatt mitgenommen hatte, wo es so gründlich instand gesetzt wurde, dass es gepflegter als vor dem Unfall an diesem unseligen Regenmorgen aussah. Ein bisschen angeben wollte er mit seinem Auto – auch wenn es ihm von seinem Vater geschenkt worden war – vor Stella natürlich schon. Die Schnellstraße, auf die Adam ganz in der Nähe seiner Wohnung aufgefahren war, durchschnitt Kys der Länge nach und wurde gerne als wichtigster Verkehrsweg der Stadt angepriesen. Als sicher konnte gelten, dass kein Verkehrsweg so viele Autofahrer so viele Nerven kostete, zumal zu Stoßzeiten wie an einem Freitagnachmittag, wenn sich ein zäher Stau auf den zentrumsnahen Streckenabschnitten bildete. Die hatte Adam mit einigem Glück und nicht mehr als einem Mindestmaß an Warterei im Stau hinter sich gelassen, für den Rest der Strecke durfte er jetzt freie Fahrt erwarten. Aus der Stadt hinaus wollten nicht viele mit dem Auto fahren. Der ländliche Erholungsraum, wie alle Gebiete außerhalb der Städte offiziell genannt wurden, diente weder in der Paneupinia noch in den anderen Kuppeln dem Wohnen und Arbeiten. Das Land war alleine der Erholung vorbehalten und der damit verbundenen Tourismusbranche. Hinter den an den Stadträndern angesiedelten Nahrungsmittelfabriken endete der menschliche Siedlungsbereich, das Land war zwar kulturell erschlossen, siedeln durften die Bürger dort nicht, allein schon um der effizienten Flächennutzung unter der Kuppel willen. Ein Verbot freilich, das keiner zwangsweisen Durchsetzung bedurfte. Es erschien unvorstellbar, jemand könnte den Wunsch haben, nicht in der Stadt zu wohnen. Die Stadt bot alles, was es zum glücklichen und vor allem abwechslungsreichen Leben brauchte: lebenswerte Wohnlagen, nahe gelegene Arbeitsplätze, ein vielfältiges Angebot zum Einkaufen und Ausgehen, und für die Naturbeseelten selbstverständlich auch ausreichend schöne und gepflegte Parkanlagen, in denen Mensch, Tier und Pflanze sorgsam gehegt wurden.

      Wer sich trotzdem nicht in der Stadt, sondern auf dem Land erholen wollte, konnte aus einem breiten Angebot touristischer Hotels und Herbergen wohnen. Wie alle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens waren auch Erholung und Freizeit unter der Kuppel hervorragend organisiert. Das Unterhaltungsbedürfnis machte diesen Lebensbereich zu einem wirtschaftlich äußerst bedeutsamen Faktor. Staatlicher Reglementierung durch die Regierung bedurfte es schon deshalb nicht oder nur als minimaler Rahmenbedingung. Die großen Tourismuskonzerne unternahmen aus eigenem kaufmännischem Interesse ungeheure Anstrengungen, die der Erholung dienende ländliche Struktur aufrecht zu erhalten und hier und da behutsam auszubauen. Das umfasste zunächst Verkehrswege und Versorgung der auf dem Land gelegenen Unterkünfte, dann aber natürlich auch das, was den Reiz des Landes für die Menschen ausmachte, die sich nicht mit der Stadt begnügen wollten: die Pflege der nur scheinbar natürlichen Umgebung, der Wiesen und Wälder, Seen und malerischen Bäche und Flusslandschaften.