Tilmann A. Büttner

Adam Bocca im Wald der Rätsel


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zu schwinden. Die hohen Baumkronen schlossen sich tatsächlich zu einem Gewölbe aus Blättern und ineinander greifenden Zweigen über der Straße, die so durch einen lebenden Tunnel führte. Wenige Flecken auf der Fahrbahn zeugten von Lichtstrahlen, die den Weg durch das Laub gefunden hatten. Das Verkehrssystem warnte Adam prompt vor problematischen Lichtverhältnissen und schlug eine weitere Verringerung der Geschwindigkeit vor. Er verspürte sofort Unwillen gegen die Vorstellung, länger als unbedingt nötig durch diesen unsinnigen Waldtunnel zu schleichen, darum müsste man sich doch kümmern, kann man doch alles wegsägen, bestimmt ist das dem Hotelverband einfach nur zu teuer – steht da hinter mir jemand auf der Straße? – nein, natürlich nicht – was ist das, schon wieder eine Geschwindigkeitsbegrenzung, noch eine scharfe kurve, ganz schön eng, jetzt wieder kräftig nach links kurbeln, da wird’s ja auch schon wieder heller.

      Adam verließ den tunnelartigen Abschnitt abrupt. Nach rechts hin öffnete sich ein weites Tal mit dem wieder sichtbaren, weidengesäumten und verschlungenen Fluss im Grund. Der Blick reichte jenseits des Tals in weite Ferne. Ein anderes Tal zweigte weiter vorne ab und endete an dunklen Hängen eines schroffen Hanges, der nicht mehr zu einem Hügel, sondern zu einem veritablen Berg gehörte. Die Szenerie war mild ausgeleuchtet, ein undurchsichtiger Dunst machte die Konturen weicher und die von links einfallende Sonne sanfter. Die Schatten der Weidenbäume im Talgrund waren auf nachmittägliche Länge angewachsen, auch die Straße selber lag vollständig im Schatten des zur linken weiter verlaufenden Waldrandes. Das da hinten, das musste, wenn Adam die Navigationsanzeige richtig ausdeutete, der Hügel sein, hinter dem das Sporthotel in einem kleinen Seitental liegen musste. Bald da!

      Wirklich fuhr Adam bald die Auffahrt durch den Park des Sporthotels hinauf. Die sorgsam angelegte und gepflegte Anlage wirkte in der Nachmittagssonne so einladend und herrschaftlich wie es für eine Werbefotografie nicht besser am Computer hätte eingestellt werden können. Mit Verlassen des dichten Waldes hatte sich seine Laune schlagartig aufgehellt, jetzt wollte er schnell Stella treffen. Hier ließ sich bestimmt auch ganz schön ein Kaffee zusammen trinken, überlegte er, als er den Wagen ungeniert unterhalb der Terrasse des Restaurants abstellte.

      „Hey, Adam“, hörte er sie von der Terrasse herabrufen, als er aus dem Auto stieg. „Das ging ja flott.“ Er blinzelte gegen die Sonne nach oben. Sie stand am Geländer, lächelte ihn an und winkte ihm sogar zu. „So schnell hätte ich dich gar nicht erwartet.“

      „Ich hoffe, ich komme nicht zu früh. Will dich ja in deinen Ferien nicht stören.“

      „Blödmann, ich hab ja schon angefangen, nach einem Auto aus der Stadt Ausschau zu halten. Ich hätte es schon noch ein, zwei Stündchen hier ausgehalten, aber schön, dass du schon da bist.“

      „Gern geschehen. Kann ich dich da oben noch auf einen Kaffee einladen?“

      „Klar. Und wenn du mich brav einlädst, darfst du auch noch mein Gepäck ins Auto laden.“

      „Hört sich toll an.“

      Erst als die Dämmerung mit dem Versinken der Sonne hinter den Hügeln einsetzte brachen die beiden zur Rückfahrt in die Stadt auf. Ferienstimmung hatte tatsächlich geherrscht auf der kaum besuchten Terrasse des Hotelrestaurants. Sie tranken eine völlig überdrehte und eigentlich auch etwas künstlich schmeckende Kaffeemischung, wie es sie nur bei Ausflügen aufs Land geben konnte, machten es sich in den selbst für die Bedürfnisse anspruchsvoller Rentnergruppen gut gepolsterten Gartensesseln bequem und saßen nebeneinander in der warmen, nicht mehr heißen Nachmittagssonne. Behaglich streckten und reckten sie sich, während sie sich ungezwungen über zunächst Belangloses unterhielten und Adam dann zu erzählen begann, wie seine freiwillige Dienstzeit in der zurückliegenden Woche plötzlich interessant geworden war. Stella fragte nach, Adam war stolz, ihr die Zusammenhänge zu erklären, die er selber erst vor wenigen Tagen kennen gelernt hatte und die er nun bei der Erstellung der Unternehmensanalyse anwandte. Adam lobte die schöne Lage des Hotels und den herrlich angelegten Park.

      „Ja, ich habe den Hotelnamen ‚Lupinental‘ auch erst für eine süßliche Werbebotschaft gehalten, aber hier gab es früher wohl wirklich einmal einen Ort mit diesem Namen, und immer schon war es hier sonnig genug für die schönsten Pflanzen“, erklärte Stella.

      Die Schatten im Park wurden länger und schließlich schlug Adam vor, loszufahren.

      „Natürlich nur, wenn ich dein Gepäck tragen darf.“

      „Hm... na gut. Ist aber leider nur eine Reisetasche.“

      „Da arbeiten wir aber noch dran.“

      Der heitere Plauderton setzte sich im Auto fort, Stella lobte den schnuckeligen Flitzer, „Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen teuer, stimmt’s?“ und Adam spielte kurz die Rolle des auto-versessenen Machos, der seine Perle in die schicksten Clubs von Kys kutschiert, oder, wenn das Geld am Monatsende knapp wird, notfalls eben auch in ein Ausflugslokal aufs Land. Den laubüberrankte Baumtunnel bemerkte Adam fast gar nicht, als er das Gespräch darauf bringen wollte, waren sie schon längst hindurch, und so ließ er es bleiben. Sie hatten sogar schon die Ausbaustrecke erreicht, als er mit einem kleinen Trick herausbekommen wollte, wie es dazu gekommen war, dass Stella im Hotel gestrandet war.

      „Herzliche Grüße von Carlo übrigens.“

      „Von wem?“

      „Carlo Feinman, meinem Kumpel.“

      „Ah, dein bester Freund.“

      „Ja, kann man so sagen. Der hat mir mit einer guten Ausrede geholfen, damit ich sofort losfahren konnte.“ Stimmte zwar nicht so ganz, aber was soll’s. „Er lässt also herzlich grüßen, und weil ich ihm natürlich klarmachen musste, warum er mich unbedingt sofort im Regierungsamt loseisen musste, will er jetzt natürlich wissen, ob mal wieder freaky Freddy schuld ist, dass man dich im Hotel hat sitzen lassen.“

      „Freaky Freddy? Ach so, nein, der war’s ausnahmsweise mal nicht, obwohl er sogar mit rausgefahren ist. Er und Sandra.“ Sie schaute zu ihm rüber, Adams Ausdruck blieb aber in schneller Reaktion teilnahmslos. „Es war so“, fuhr Stella fort, „ich hab mich von einem Kollegen bequatschen lassen, dass wir doch ein verlängertes Wochenende auf dem Land machen könnten, jetzt, wo doch das Wetter endlich wieder besser geworden ist, so mit Fitnessprogramm, Magno-Squashen und so. Ich hätte auf mein erstes Gefühl hören und gleich ablehnen sollen, aber...“

      „Ja?“

      „Ach, mir war langweilig. Und dann hab ich auch schön nach Mädchenart vorgeschlagen, Sandra und Freddy könnten mitkommen, damit wir als kleine Reisegruppe fahren können. Wir sind dann am Mittwochabend rausgefahren, am ersten Abend war es ganz nett, das Sportprogramm am Tag danach war schon eine ziemlich anstrengende Macho-Show. Kevin, also mein Kollege, wollte der Platzhirsch sein, da hätte er es natürlich leichter gehabt, wenn Freddy nicht dabei gewesen wäre, aber so haben die beiden Herren einander beweisen müssen, wer der größte ist.“

      „Der größte Bronko.“

      „Genau. Mir hat’s jedenfalls keinen wirklichen Spaß mehr gemacht und zum gemeinsamen gemütlichen Abendessen musste ich mich richtig zwingen. Zur Krönung hat sich Kevin dann ordentlich einen eingetütet und einen blöderen anzüglichen Witz nach dem anderen erzählt. Eine etwas ungewöhnliche Art, seine Zuneigung zu zeigen. Ich hab mich dann noch vor dem Gang zur Bar losgeeist und bin auf mein Zimmer gegangen. Und jetzt rat mal, wer mich eine Stunde später aus dem Bett geklopft hat.“

      „Hätte ich Freddy gar nicht zugetraut.“

      „Nicht witzig, Monsieur, ich hatte meine liebe Mühe, Kevin wieder aus meinem Zimmer zu bekommen. Und dann nennt mich der Dreckskerl auch noch eine verklemmte Jungfer, die sich mal nicht so anstellen soll, wenn sie sich schon von einem Kavalier ausführen lässt. Kavalier! Ich wusste gar nicht, dass Testosteron bewusstseinstrübend sein kann. Am nächsten Morgen beim Frühstück hält der Sack es dann nicht einmal für nötig, sich bei mir zu entschuldigen, stattdessen gibt er sein ‚Stelldichein bei unserer tugendsamen Nonne‘ zum Besten und lacht sich über seine dummen Scherze selber halb tot.“

      „Was hast du gesagt?“