Tilmann A. Büttner

Adam Bocca im Wald der Rätsel


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Wie sie dastand, mit dem Rücken Adam zugewandt, fiel ihm ihr wunderbares Haar auf, das sie, zurückgehalten von einem Reif, offen trug. Fantastisch langes, volles braunes Haar, es fiel auf ihrem schlichten knielangen Kleid aus einem grausilbern changierenden, seidenartigen Stoff fast bis zur Hüfte, glatt und glänzend und mit einer Fülle, dass er hätte hineingreifen und es fühlen mögen. Er konnte es auch nicht verhindern, ihre vollkommene frauliche Figur anzustaunen, ihr schöner Rücken lief nach unten in einer perfekten Taille zu. Das um die Beine nicht eng und nicht weit geschnittene Kleid gab den Blick erst ab den Kniekehlen frei, und Adam erwischte sich bei dem Gedanken, von ihren festen, geschwungenen Waden auf ihre Oberschenkel zu schließen.

      „Wie gesagt, es dauert einen Augenblick wegen der Sicherheitszeiteinstellung.“ Sie setzte sich hinter ihren Schreibtisch, nachdem sie den Öffnungscode des Tresors eingegeben hatte. „Sie waren heute aber nicht als Hotelgast bei mir, oder?“

      „Nein, ich habe meine Freundin… meine Bekannte hier abgeholt.“

      „Die junge Dame, die nicht wieder mit ihrer Gruppe abgereist ist, nicht wahr? Klug gehandelt, wenn ich mir diese Bemerkung bei aller diskreten Zurückhaltung erlauben darf, ihr Begleiter war wirklich eine schreckliche Person.“

      Es klopfte am Rahmen der offenen Bürotür, ein Kellner brachte zwei Getränke herein.

      „Danke, den Gin Tonic für mich, die Schorle für den Herren. Wir können die Bar dann wohl ganz zumachen, Zimmerbestellungen werden wohl nicht mehr kommen. Gute Nacht.“

      Der Kellner wünschte ebenfalls eine gute Nacht und schloss, wie Adam hörte, die Tür hinter sich.

      „Auf Ihr Wohl, Herr Bocca.“

      „Auf das Ihre, vielen Dank.“ Sie nippten an ihren Getränken.

      „Sie führen hier ein sehr schönes Hotel“ nahm Adam einen Konversationsfaden auf, schließlich war er sich nicht sicher, wie lange die Zeiteinstellung des Tresors laufen würde. Und außerdem verspürte er zunehmende Lust, sich mit dieser wunderschönen Frau zu unterhalten, hegte sogar die unterschwellige Hoffnung, ihr ein wenig imponieren zu können, indem er sich ganz weltmännisch gab.

      „Vielen Dank. Mein größtes Kapital ist die wunderbare Lage. Jedenfalls glaube ich das. Es gibt für mich keinen schöneren Ort, in jeder Jahreszeit lebt und gedeiht es hier, immer auf seine eigene Weise. Ein Archäologe war einmal hier zu Gast und er sicherte mir zu, dass dieser Platz vor ewiger Vorzeit einmal als ‚Ort der Fülle‘ bezeichnet wurde und deshalb als Kultstätte diente. Ich hätte gute Lust, daraus ein Werbekonzept zu machen, aber ich fürchte, der Herr wollte mir nur schmeicheln und mich mit seinem Professorenwissen beeindrucken.“

      Adam nickte, ein wenig zu heftig, fühlte sich ertappt.

      „Aber leider“ fuhr sie fort, „leider kann ich nur von der schönen Lage nicht leben. Wenn ich mich auf grelle Bergromantik verlegen würde, könnte ich damit womöglich zuverlässige Scharen alter Leutchen anlocken. Das sind für Hoteliers sehr beliebte Gäste, immer gut bei Kasse, und wenn sie es immer nur schön warm und gut verdaulich haben, auch sehr leicht zufrieden zu stellen. Aber das würde ich auf Dauer nicht aushalten, immer nur Grauköpfe um mich herum. Deshalb habe ich vor einigen Jahren ein Sporthotelkonzept aufgegriffen. Das erlaubt mir so etwas wie ein wenig städtischen Chic mit dem Reiz der Umgebung zu verbinden, und zum Glück muss ich nicht in jedem Jahr hohe Mindestumsätze aus dem Betrieb herauspressen.“

      Adam nickte wieder, wiederum im besorgten Gefühl, ertappt worden zu sein. Obwohl er aufmerksam zuhörte, hatte er ihr Gesicht genau studiert. Ihre großen, hellen Augen, deren Farbe er im Schein der indirekten Beleuchtung und über den Schreibtisch hinweg nicht erkennen konnte, strahlten ihm entgegen, warme Farbpunkte, die ihren zarten, hellen Teint zu illuminieren schienen. Ihre Nase war ebenfalls zart, aber von vollkommener Form, genau so wie ihre vollen, in einem hellen rot geschminkten Lippen, die sich im Gespräch zu einem breiten Mund schlossen und öffneten und dabei kurze Blicke auf die Ahnung eines strahlenden Lächelns preisgaben. Anders als im Gesicht einer jungen Frau wie Stella (oder in einer schönheitsoperierten und zurechtgezogenen Fratze, wie man sie so häufig bei Frauen jenseits der dreißig sah), waren in Frau Piyols Zügen kleine Falten unübersehbar, die dem Ausdruck auf ihrer länglich-runden Gesichtsform die Lebendigkeit ihres Temperaments verliehen. Als sie geendet hatte, vermochte Adam sich nicht sofort von seiner Betrachtung loszureißen und eine kleine Gesprächspause trat ein.

      „Aber nun bin ich schon wieder meinem Laster erlegen“, nahm sie den Gesprächsfaden wieder auf, „und belästige Sie als meinen Gast mit meinem belanglosen Geschwätz. Dabei ist es für mich viel interessanter, etwas von Ihnen zu hören, wenn Sie mir etwas über sich verraten wollen.“

      Adam erzählte ihr bereitwillig von sich, indem er von seine freiwilligen Dienstzeit im Regierungsamt und seiner Analyse kleiner und mittelgroßer Unternehmen berichtete. Geflissentlich überging er dabei, dass er sich erst seit Beginn dieser Woche mit der Analyse beschäftigte, was der sicher und gewandt vorgetragenen Darstellung den Anschein gab, als handele es sich um ein gründliches und lang angelegtes Forschungsprojekt.

      „Wie bemerkenswert“, warf Frau Piyol ein und ein leiser Stolz durchglühte ihn in einem angenehmen Schauder. „Ohne Ihrem Dienstherren zu nahe treten zu wollen, muss ich doch zugeben, dass ich unserer Regierung die Behandlung so ernsthafter Fragen gar nicht zugetraut hätte.“

      Vom Tresor her ertönte ein Piepen, die Tür entriegelte hörbar.

      „Ah, endlich das Sesam-öffne-dich.“ Sie erhob sich und entnahm dem Tresor eine kleine Kassette. „Hier ist Ihr Token. Wenn Sie so aktuelle spannende Fragen in Ihrer Tätigkeit behandeln, ist es freilich kein Wunder, dass Sie auf das Netzwerk Acht geben müssen. Bitte schön.“

      Sie ging um den Tisch herum, gab ihm den Token. Seine weltläufige Pose deutlich vernachlässigend sprang er auf und nahm den kleinen Chip mit dem zugeklappten Display entgegen. Unmittelbar vor ihm stand sie, er konnte ihren Duft, ihr Parfum im Einklang mit ihrem Zauber, ganz aufnehmen, und berührte ihre Hand einen Augenblick zu lang, als dass es nur eine einfache Geste der Übergabe des Tokens gewesen wäre.

      „Vielen Dank“, murmelte er heiser.

      „Keine Ursache, behalten Sie ruhig Platz.“ Einen Ausdruck freundlicher, gar nicht spöttischer oder herablassender Amüsiertheit, versuchte sie gar nicht zu verbergen, und ging wieder zu ihrem Schreibtischsessel zurück. Sie setzte sich und prostete ihm nochmals zu.

      „Auf die glückliche Rettung also.“

      „Ja, vielen Dank nochmals für Ihre freundliche Mithilfe.“

      „Bitte sehr. Ich will Sie auch nicht länger aufhalten, wenn Sie gleich wieder zurückfahren wollten.“ Und als Adam stutzte, fügte sie hinzu: „Weil Sie schon so aufbruchsbereit dastehen.“

      „Ach so, nein, Entschuldigung, ich war gerade nur... Ich wollte Sie gerade fragen, ob Sie schon immer hier gelebt haben.“

      „Das nun nicht, aber über zwanzig Jahre sind es nun schon. Ich habe erst in dem Waldhaus-Hotel gearbeitet, weiter oben im Tal, und seitdem lebe ich draußen vor der Stadt. Es ist mir immer unpraktisch gewesen, zwischen der Stadt als Wohnort und dem Land für die Arbeit zu pendeln. Nicht so sehr wegen der Fahrtzeiten, aber wenn ich hier arbeite, dann will ich auch hier leben, und das geht nicht, wenn Sie zugleich versuchen, ein Freizeitleben in der Stadt zu führen.“

      „Dann kennen Sie sich auch in der Gegend gut aus?“

      „Gewiss, es ist das Privileg von uns Hoteliers auf dem Land, zu jeder Jahreszeit die Wälder und Hügel erkunden zu können. Vor dem Frühling und nach dem Spätsommer haben wir die Wege und Steige oft ganz für uns allein.“

      „Ist es Ihnen nicht manchmal etwas unheimlich?“

      „Unheimlich? Nein, gar nicht. Wo sollte es hier einen unheimlichen Winkel geben?“ Sie fragte mit echtem Erstaunen.

      „Nicht hier unten im Tal, aber ich habe auf der Herfahrt heute Nachmittag gesehen, weiter oben auf der Anhöhe steht der Wald doch sehr dicht, selbst die Straße ist schon fast überwuchert.“