Tilmann A. Büttner

Adam Bocca im Wald der Rätsel


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er jetzt aber über Stella, da gab es einiges, worüber er sich klar werden wollte. Stella, sie war so wie Carla auch eine deutliche Abweichung von dem Frauenbild, wie er es als herrschendes kennen gelernt hatte. Auch sie zog sich nicht auf die Rolle der Dame zurück, um die der Verehrer werben musste, ehe er auf Erhörung rechnen durfte. Schon bei ihrem ersten Aufeinandertreffen vor nun schon drei Wochen war sie es gewesen, die von Anfang an die Situation kontrolliert hatte. Es war ungeheuerlich gewesen, zumal an einem Treffpunkt junger Männer auf der Pirsch, die sich am Ufer der Kirna an sonnigen Samtsagnachmittagen in Scharen aufhielten, wie Stella ohne ein Wort der Erklärung sich zu ihnen herüber getraut und aus einem beiläufigen Sich-Sehen eine bewusste Kontaktaufnahme gemacht hatte. Entsprechend tiefen Eindruck hatte sie dann ja bei den Jungs auch hinterlassen, wohl bei allen, außer ihm selber, wie Adam sich jetzt bei nochmaligem Nachdenken eingestehen musste. Er hatte da einfach noch keinen Blick für sie gehabt, immer noch unter Sandras Eindruck stehend. Was hätte er auch tun sollen, er war wirklich förmlich betäubt gewesen. Die jeweils auf eigene Weise missglückten weiteren Kontakte mit ihr, hatten nach und nach seine Aufmerksamkeit auf ihre Person gelenkt. An der Verabredung im Brauhaus war er schon ernsthaft interessiert gewesen und hatte nicht wenig Stolz darüber empfunden, die Initiative vermeintlich zurückgewonnen zu haben. Seinen Irrtum hatte er freilich schnell bemerkt, schon in dem Augenblick, in dem er zu der Verabredung im Brauhaus endlich, viel zu spät, erschienen war, war es für ihn unübersehbar, dass wiederum Stella das Geschehen vollständig kontrollierte. Es war allein ihre Entscheidung gewesen, die Verabredung trotz seiner dreisten Verspätung nicht platzen zu lassen, und dann hatte auch sie allein sich dazu durchgerungen, ihm sogar noch eine Chance zu geben, nachdem er ihr das Bier über die Hose geschüttet hatte. Hätte sie sich dazu nicht entschließen können, wäre sie schon in diesem Moment einfach aufgestanden oder gegangen, oder hätte sie ihn einfach den ganzen Abend über in kühler Verachtung zappeln lassen, sie hätte sich damit keinem berechtigten Vorwurf ausgesetzt. Indem sie es dennoch nicht tat, hatte sie ein weiteres Mal bewiesen, wie sehr ihr daran gelegen war, Adam näher zu kommen, ihn in ihrer eigenen, selbstbewussten Weise zu umwerben, und seine eigenen, zaghaften und vollkommen vertölpelten Werbungsversuche freundlich zu ignorieren. Diese Freiheit zur ganz und gar eigenen Entscheidung, ihrem eigenen Willen folgend und nicht auf das achtend, was er oder gar Dritte über sie denken könnten, das war es, was er seit dem Abend im Brauhaus an Stella mochte, ja bewunderte. Das hatte ihm die Augen für sie geöffnet. Erst danach, bei ihrem Wiedersehen im Lupinental und dann später auf der Rückfahrt in die Stadt, schließlich abends in bei ihr, hatte er auch wahrgenommen, wie schön sie war. Hatte sie da endlich Begehren in ihm geweckt? Wenn er ehrlich zu sich und nicht rücksichtsvoll zu ihr war, musste er das verneinen.

      Er schwamm auf einer breiten, nicht zielgerichteten Woge einer liebeslustigen Empfindung, bereit, rauschhafte Glücksmomente zu erleben, gleichviel, mit welcher Frau. Diese Woge hatte ihn nun in die Arme von Carla Piyol getrieben. Darüber war er glücklich, wie er da den neuen Sommermorgen auf der Terrasse in sich aufnahm, glücklich und frei von Gewissensbissen. Es wäre ihm gar nicht in den Sinn gekommen, dass er, indem er sich auf Stella eingelassen hatte, ihr gegenüber zu etwas verpflichtet sein könnte. Zwar würde er ihr von Carla und der Nacht mit ihr nicht erzählen, aber eben nur deshalb, weil er von niemandem davon berichten wollte.

      Der Café Crème war ausgetrunken, das Croissant gegessen, er nahm sein Handy heraus ohne besondere Absicht. Ach, die Zeit in der Morgensonne war ihm viel länger vorgekommen, er hatte nur etwas mehr als ein Viertelstündchen in Gedanken zugebracht, trotzdem wollte er nun aufbrechen.

      Nach einem kurzen, freundlichen Abschied von Carla war er losgefahren, das Auto war nach dem Sturm und Regen mit einer Schicht aus Staub und Pollen überzogen, aber in seiner wiedererwachten Gleichgültigkeit gegenüber dem Chic seines Wagens störte ihn das nicht. Die Seitenscheiben heruntergelassen steuerte er aus dem großen Haupttal hinaus, hinauf zum Wald. Der Fluss mit den Weidenbäumen lag jetzt zu seiner Linken und er warf wie zum Abschied einen glücklichen Blick hinunter. Wieder einmal fuhr er in das dichte Waldstück hinein und wieder fiel ihm der Weg zurück in Richtung der Stadt viel leichter. Dieses Mal zwar nicht abgelenkt von einer Unterhaltung mit einer Beifahrerin, hatte er dafür Carlas Erzählungen von der Gegend hier draußen im Ohr, und ihr Urteil, dass alles, was in diesem Wald lebte, für sich lebte. Und, wie er jetzt, da er in das dämmrige Dunkel des Baumtunnels hineinfuhr, ergänzte, vermutlich hatten die armen Geschöpfe des Waldes vor seinem mit unbezwingbarer elektrischer Antriebsenergie dahinsurrenden Auto mehr Angst als er jemals vor namenlosen Wesen des Waldes ernsthaft verspüren konnte. Die Seitenfenster könnte er jetzt hochfahren, es ist ja auch gleich viel frischer im Wald, aber was soll’s, da vorne wird es ja gleich wieder heller und wärmer.

      Hätte er sich in diesem Moment nicht damit beschäftigt, für die Rückfahrt nun doch etwas Musik aus dem Unterhaltungssystem herauszusuchen, und hätte er dabei nicht den Kopf ein kleines Stück nach rechts gedreht, er hätte womöglich die Gestalt gar nicht sehen können, die im Halbdunkel am Straßenrand stand, einen halben Meter vielleicht vor dem Waldrand zwischen zwei Bäumen. Nur aus dem Augenwinkel hatte er eine kleine, schnelle Bewegung gesehen, die Gestalt hob und senkte beide Arme, zweimal schien sie so zu winken. Unwillkürlich trat Adam heftig auf die Bremse, das Verkehrssystem fing das Schleudern des Wagens aber schon im Bruchteil einer Sekunde ab, so dass der Wagen nur spürbar von einer Seite zur anderen ruckte, dann verlangsamt weiterrollte.

      Das konnte nicht wahr sein! Adams Verstand weigerte sich zuzugeben, dass da doch etwas war, in diesem undurchdringlichen Waldtunnel. Er hatte diese Gestalt dort auf der linken Seite doch gesehen, in diesem Augenblick, im besten Sinne in diesem einen ganz kurzen Blick, den er auf sie geworfen hatte, den Kopf ruckartig zur Seite gedreht, dann ebenso rückartig wieder abgewendet und nach vorne gerichtet, da hatte er sie gesehen, hatte es, dieses Lebewesen, so deutlich wahrgenommen, dass ihm nichts daran wie ein Traum oder gar eine Sinnestäuschung vorkam. Adam atmete durch, dann wagte er einen Blick in den Rückspiegel. Der diffuse Eindruck des Lichts unter dem geschlossenen Blätterdach, das wieder nur von wenigen Lichtpunkten durchbrochen war, wurde noch dadurch verstärkt, dass er beim Losfahren zwar die Windschutzscheibe saubergesprühte hatte, aber nicht die Heckscheibe. Jetzt gab der Rückspiegel nur ein dunkles und körnig grobes Bild der Straße wieder, die hinter ihm lag. Da war nichts. Adam kniff beide Augen kurz zu, um schärfer hinschauen zu können, suchte nochmals das Bild im Rückspiegel ab. Nichts. Doch! Da! Etwas löste sich vom Fahrbahnrand, es unterschied sich in Farbe und Kontur kaum von einem niedrigen Baum oder einem Strauch, jetzt trat es auf die Straße, es war eine aufrecht auf zwei Beinen stehende Gestalt, lange Arme baumelten an den Seiten herunter, auf den Schultern ein flacher Kopf, bedeckt mit einem Fell oder einem Vlies, es war nicht näher zu erkennen. Wieder bremste Adam ab, wieder fing der Wagen das drohende Schleudern ab, ein Warnsignal des Verkehrssystems verfehlte seine Wirkung nicht, Adam blickte wieder nach vorne. Aber noch verlief die Straße gerade und ohne Kurve durch den Wald, er konnte nicht anders, als noch einmal in den Rückspiegel zu sehen. Die Gestalt war mitten auf der Fahrbahn stehen geblieben und sah ihm hinterher. Da winkte sie wieder, indem sie beide Arme schnell wedelnd ein-, zweimal auf und ab bewegte, noch ein Winken. Jetzt erhob sie einen Arm steil nach oben, der Arm, ein langer, dünner Arm stieß viele Male senkrecht zum Dach des Baumtunnels hinauf, eine Geste wie eine Drohung oder Verwünschung. Adam riss sich von dem Anblick los, er ertrug ihn nicht mehr. Gleich ging es in die nächste Kurve, Adam wollte in einem Gedanken der Flucht beschleunigen und schnell, so schnell es ging hinaus aus dem Baumtunnel, hinaus ans Licht und weg von der Gestalt da hinten. Stattdessen schaute er noch einmal in den Rückspiegel – da war nichts! Vor Überraschung vollführte Adam eine Vollbremsung, unter Protest der Reifen und des nervös quäkenden Verkehrssystems kam der Wagen zum Stehen. Adam drehte den Kopf nach rechts über die Schulter, wandte sich ganz um, starrte angespannt nach hinten. Es ist weg, verschwunden! Sein Blick suchte den Waldrand ab, da war auch nichts mehr zu sehen, ganz genau inspizierte er beide Straßenränder bis hin zu der Stelle, an der die Gestalt gestanden haben musste.

      Wie ein schrilles Pfeifen in seinem Kopf durchschoss seinen Geist eine schreckliche Vorstellung: Idiot! Was stehst du mitten im Wald herum und starrst nach hinten! Von vorne, sie kommen von vorne, schleichen sich an das stehende Auto heran, und dann haben sie dich, packen dich und schleppen dich in den Wald, wenn sie dich nicht gleich an Ort und Stelle über dich hermachen. So schrill pfiff es in seinem Kopf, dass ihm der Angstschweiß