Tilmann A. Büttner

Adam Bocca im Wald der Rätsel


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Liebkosungen konnte der Erfolg nicht verborgen bleiben. Sie hielt inne. „Wie heißt Du?“ flüsterte sie.

      „Adam.“

      „Adam.“ Sie seufzte in Freude, küsste ihn wieder.

      „Adam. Ich bin Carla.“ Als nun er sie wieder küssen wollte, entzog sie sich geschickt, legte ihm den Finger auf die Lippen. „Adam. Lass uns in meine Wohnung gehen. Zerwühlte Hotelbetten sind noch mehr für Klatsch unter den Zimmermädchen gut, als unerwarteter Herrenbesuch bei der Herrenbesuch.“

      An ihrer Hand folgte er ihr aus dem Zimmer, ohne ihr Kleid wieder zurecht zu zupfen zog sie ihn über den Korridor, in ihre Wohnung. Leuchtende Stoffe strahlten von Kissen, Sesseln und Polstern durch das Halbdunkel gedämpften Lichts. In ihrem Schlafzimmer war es bis auf eine winziges Licht auf ihrem Nachttisch unerleuchtet. Sie ließ ihn los, öffnete ihr Kleid und legte es in einer Bewegung ab, mit nur einem Schritt zum Bett und mit einer Handbewegung. „Komm.“

      Er umarmte sie wieder, mit fiebrig zitternden Händen tastete er über Spitze und Seide, beim Öffnen half sie ihm mit einem lautlosen Lachen. Wieder sagte sie: „Komm.“ Ebenso schnell hatte sie auch ihn entkleidet, sie schlüpften in ihr Bett. Nach dem nächsten Kuss spürte er sein sanftes Zögern.

      „Denk einfach nicht nach“ redete sie ihm tröstend und ermunternd zu. „Denk einfach nicht nach, das ist das ganze Geheimnis.“

      Als er später unter den Laken auf dem Rücken lag, ihr fester fraulicher Körper sich über ihm aufbäumte, um den Augenblick höchsten Genusses herum, bis kurz davor und danach sofort wieder, da musste er an die Weidenbäume denken, die in jenem Tal am Flüsschen standen. Dort, wo die Straße, die zum Hotel führte, aus dem Wald mit einer abrupten Linkskurve ins Freie trat, fiel der Blick sofort hinab ins Tal und auf diese Weidenbäume. Keine leichtsinnigen, jungen Gewächse, die mit sprießender Lebenskraft prahlten, sondern volle Bäume, an den saftigen Grund gewöhnt, dem sie entsprangen und der sie nährte. Darüber weitete sich der Blick ins hell erleuchtete Tal und die Berge und Hügel dahinter. Einer, der durch den Wald hindurch war, wusste von seiner Schwärze, sie stand einem im Rücken, beunruhigend in nicht zu leugnender Weise, aber unverwandt ging der Blick nach vorne, in das Tal. Welche Überraschung, so unvermittelt ins Freie, in das Licht zu gelangen, wo sich der Horizont öffnete und kein Gedanke mehr sein konnte daran, dass der Blick angstvoll beschränkt zwischen struppigen Gewächsen hindurch hätte huschen müssen. Da stand einer, erfüllt von der Freude an einem unverdienten Genuss des Glücks. Es ließ sich nicht darüber nachdenken, es ließ sich nur spüren.

      Sie schliefen nebeneinander ein, ihre Gesichter zugewandt, sich die Händen haltend. Als er später für einen Augenblick wieder erwachte, wusste er gleich und voller zufriedener Gewissheit, dass sie nur kurz eingeschlafen war und nun wach neben ihm lag, seinen Arm und seine Brust gedankenvergessen streichelte. Leiser als zuvor, aber immer noch beständig heulte der Wind ums Haus, Regentropfen klopften in kurzen Trommelwirbeln an das Fenster. Er küsste ihr Haar, wie er es wenige köstliche Augenblicke zuvor gefühlt und geatmet hatte, und seufzte. Behütet schlief er ein.

      Die Stadt bei den Flüssen, 6. Kapitel

      

      Dachte Adam an Stella am nächsten Morgen, als die Sonne wieder über dem Lupinental schien und Wärme und Lebensfreude in jeden Winkel goss? Hatte er im Wirbel seiner Gedanken noch Platz für Stella, als er neben Frau Piyol aufwachte, und ihr Zimmer wie eine Bühne beleuchtet war von den hellen Strahlen, die durch die großen Fenster fielen? Oder zappelte sein Denken sinn- und hilflos an dem Haken, den er in seiner begeisterten Lust verschluckt hatte, hingeworfen von einer Frau, die so weit jenseits seiner Vorstellungskraft existierte, dass er es für denkgesetzlich ausgeschlossen gehalten hatte, sie könnte ihn jemals als Liebhaber begehren? Oder dachte er jetzt, als mit dem verschwindenden Morgen und dem beginnenden Tag für nur ganz kurze Zeit in einen tieferen Schlaf geglitten war, gar nichts, in einem einzigen Moment überhaupt nicht mehr? Die völlige Entspannung auf seinem Gesicht mag Frau Piyol als ein Lächeln verstanden haben, das glückliche Lächeln eines schlafenden Jungen, den sie für einige Minuten genau betrachtete, ehe sie aufstand. Oder vielleicht deutete auch sie gar nichts, schaute einfach nur hin, um sich zum Aufstehen zu überwinden. Und sicherlich stellte sie sich nicht die Frage: Was hatte sich Adam nur dabei gedacht? Sie selber hatte gar nicht gedacht und den Abend und die Nacht mit ihm genossen. Sie stand auf und deckte, ehe sie leise das Zimmer verließ, Adams nackte Schultern zu, mit einer zärtlichen aber nicht hingebungsvollen Geste. Vor dem Sturm her hatte es diesen Jungen in ihre Arme geweht, nun der Sturm sich gelegt und wieder dem ruhigen Sommerglück gewichen war, wollte sie ihn nicht länger festhalten.

      Sie war ganz Lachen und Strahlen, als Adam nicht viel später als sie ihr Büro hinter der Rezeption betrat. Ob er gut geschlafen habe, fragte sie, und ob er etwas frühstücken wolle, das Buffet sei an diesem Morgen für den Ausflug einer großen Firma besonders reich aufgetragen und er könne sich nehmen, was er wolle. Und dabei lud ihr geschwungener, lachender Mund ihn ein, sich keine Gedanken zu machen, sich nicht zu sorgen und keine Zweifel daran zu verschwenden, ob die vergangene Nacht etwas bedeutet hatte. Fröhlich, sagte dieses Lachen, fröhlich sollte er essen, wenn er Hunger hatte, und trinken, um seinen Durst zu stillen. Sein Zögern, das ihn auf dem Weg hinunter in ihr Büro unaufhaltsam beschlichen hatte, war von ihrem Lachen sofort vertrieben.

      „Vielen Dank, Carla“, sagte er, „ich bin kein großer Frühstücker. Aber ein um so größerer Kaffee-Trinker.“

      „Da wirst du unseren Oberkellner mit einem charmanten Kompliment über seine Künste an der Kaffeemaschine sehr glücklich machen“ lachte sie. „Er hält sich für einen unwiderstehlichen Barrista und lässt sich nicht durch gutes Zureden und nicht durch inniges Bitten davon abbringen, unsere Gäste mit den unglaublichsten Kreationen aus Milch und Gewürzen zu beglücken. Die Chefin empfiehlt einen simplen Café Crème, das passt auch am besten zum Frühstückscroissant für kleine Frühstücker.“

      „Das hört sich ganz fantastisch an. Danke für den Tipp.“

      Wie selbstverständlich ging er zu ihr hin, sie gaben sich Küsschen auf die Wange und dann trennten sie sich, als er in den Frühstückssaal ging, während sie im Büro ihre Arbeit fortsetzte.

      Im Frühstückssaal waren nur eine Handvoll Tische besetzt, die Türen auf die große Terrasse hin waren zum Teil geöffnet. Draußen saß kein einziger Gast, die Tische waren auch nicht eingedeckt. Unschlüssig sah Adam sich um. Lautlos war ein Kellner an ihn heran getreten, einen gute Kopf kleiner als Adam, lederne Gesichtszüge unter kohlrabenschwarzem Haar, mit dem gelassenen Blick eines in vielen Situationen erprobten Gastronomen. Adam erkannte sofort, dass das der Oberkellner und selbstherrliche „Barrista“ sein musste.

      „Guten Morgen, der Herr“, begrüßte er Adam, „Sie können selbstverständlich draußen Platz nehmen, man muss sich nur trauen und sich darauf verlassen, dass der Sturm längst vorbei und der ganze Tau schon seit kurz nach Sonnenaufgang weggedampft ist.“

      „Oh, das ist prima. Sehr gerne.“

      „Was darf ich zu trinken bringen?“

      „Frau Piyol empfahl mir Ihren fabelhaften Café Crème“, entgegnete Adam in der berechtigten Erwartung, dass der Oberkellner ohnehin schon die ganze Situation begriffen hatte. Tatsächlich malte sich in dessen Gesicht keinerlei wissender Spott aus, sondern pure Freude über den Glanz seines Berufs.

      „Das freut mich zu hören. Ich kann ihnen da eine ganz neu eingetroffene Arabica Dura Mischung anbieten, gebrannt wie der Sand der Wüste und mit dem Aroma sagenhafter Urwälder.“ Ohne eine Antwort Adams abzuwarten, marschierte er los in Richtung der Bar.

      Adam schnappte sich von dem tatsächlich schier überlaufenden Buffet sein Croissant und ging hinaus auf die Terrasse. Der Sturm hatte dort keine sichtbaren Spuren hinterlassen, sollte er Laub oder Äste hinaufgeweht haben, waren die jedenfalls gründlich beseitigt. Auch im Park selber herrschte, soweit Adam das sehen konnte, dieselbe geordnete Idylle wie am Vortag. Ebenso war es wieder warm und hell geworden. Und auch alle Spuren