Tilmann A. Büttner

Adam Bocca im Wald der Rätsel


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die beiden neben den Autotüren Stehenden, zu der Gestalt vor dem Auto kurz hinsahen, nur ganz kurz, ehe sie ihren Blick wieder auf ihn lenkten. Eine Weile verharrte das Lebewesen vor dem Auto mit ausgestreckten Armen, dann bewegte es die Arme in einer symmetrischen Bewegung nach innen, drehte dabei die Handflächen von außen her kommen nach unten und führte die Hände parallel, die Handflächen nun nach unten zeigend in Richtung Boden. Dann sah es aus, als würde es mit den Handflächen hin und her wedeln, es bewegte die Händen auf und ab, ohne die Haltung der Handflächen nach unten hin zu verändern. Auch diese Bewegung war langsam, erweckte aber nicht den Eindruck gefahrvoller Spannung, vielmehr war es eine ruhige, der Spannung entgegenwirkende Bewegung. Auch die anderen Gestalten führten diese Bewegung aus, zunächst hatten die beiden links und rechts des Wagens damit begonnen, dann setzte der Rest der Gruppe ein, der weiter vorne stand. Alle bewegte sie ihre nach unten weisenden Händen auf und ab, im gleiche Tempo, nicht synchron, aber alle in derselben Ruhe. Dabei sahen sie Adam weiter unverwandt an.

      Er begriff. Das war eine Geste, eine beschwichtigende, beruhigende Geste. Das sollte heißen, hab keine Angst. Sie wollen mich beruhigen, dass ich keine Angst haben muss. Aber das war doch Unsinn, das waren Tiere, gewiss keine Tiere, die ihm gefährlich werden würden, bestimmt keine Menschenfresser hatte Carla Piyol gesagt, das war sicher, ganz sicher richtig. Aber eben doch Tiere, keine Wesen, die Gesten machen konnten, das wäre bewusste Kommunikation gewesen, eine willentliche Methode, mit ihm als artfremden Wesen zu kommunizieren. Und das war nicht nur unwahrscheinlich, es war nachgerade ausgeschlossen. Gab es das überhaupt, dass Tiere kommunizierten, willentlich und mit dem Ziel, eine Botschaft auszudrücken, noch dazu gegenüber einem Menschen? Adam war sich nicht sicher, für Tiere hatte er sich nie interessiert, war lebenden Tieren welcher Art auch immer sehr selten nahe gekommen. Kommunikation, die Fähigkeit, sich auf irgendeine Art verlässlich und zielgerichtet verständlich zu machen, das schien ihm aber jedenfalls das Kriterium zur Unterscheidung zwischen menschlichem und tierischem Geist zu sein. Musste es nicht stattdessen so sein, dass die Gruppe zufällig auf die Straße und dort stehen geblieben war, vielleicht aus überraschtem Schrecken? Nun standen sie da, und ihre Bewegung hatte gar nichts zu bedeuten, jedenfalls sollte sie keine Botschaft ausdrücken, womöglich hatte sie irgendeine biologische Bedeutung, vielleicht mussten sie das machen um irgendeine Lebensfunktion aufrecht zu erhalten. Oder sie kommunizierten untereinander, eine Art lautloses Zwitschern oder Bellen gewissermaßen, mit dem sie sich in dieser wohl auch für sie aufregenden und beängstigenden Situation verständigten. Es waren ja nur Tiere.

      Aber das Lebewesen da hinten im Baumtunnel? Konnte das dort zufällig aufgetaucht sein? Es wollte ganz so scheinen, als wäre das ein Späher gewesen, der Adams Auto abgepasst hatte, damit die Gruppe ihn dann hier abfangen konnte. Diese Wesen würden sich kaum freiwillig länger auf der Straße aufhalten, sie hätten ihre Entdeckung fürchten müssen. Offenbar hatte noch nie jemand sie vorher gesehen, sonst wäre die Straße ja auch gar nicht freigegeben. So könnte es auch gewesen sein. Es kam Adam sogar viel naheliegender und vernünftiger vor, dass diese Gruppe auf eine irgendwie übermittelte Mitteilung des Spähers hin auf die Straße getreten war, um ihn sicher abzufangen. Aber das bedeutete, dass die Lebewesen nicht nur auf recht komplexe Art miteinander kommunizieren konnten, sie mussten auch die Fähigkeit besitzen, einen Plan zu entwerfen und sich für seine Ausführung zu verabreden. Das hatten sie augenscheinlich getan, indem sie ihn in diese Falle fahren ließen. Was würde das für Adams Situation bedeuten? Zwar könnte er sich dann nicht mehr sicher sein, dass die Lebewesen ihm nicht doch noch Böses wollten und nur einen geeigneten Augenblick abwarten, zugleich aber empfand er geringere Furcht vor dem Verhalten von in gewisser Weise vernunftbegabten Wesen im Vergleich zu demjenigen rein instinktiv handelnder Tiere. Gegenüber vernunftbegabten Wesen bestand immer die Aussicht mit etwas Glück eine eigene Kommunikation aufzubauen und ihnen dadurch mitzuteilen, dass auch er ihnen nichts tun wollte, für sie ungefährlich war und wirklich nur den Wunsch hatte, so schnell wie möglich in die Stadt zurück zu kommen, hinaus aus diesem furchtbaren Wald und zurück in seinen für ihn trostreichen Lebensraum.

      Was nun richtig war, ob es bloße Tiere waren, oder doch irgendwie vernünftige Kreaturen, er würde es bestenfalls dann merken, wenn er den Versuch einer Verständigung aufnähme. Aber wie beginnen? Konnte er irgendein Zeichen geben, solang die Lebewesen noch ihre Bewegung immer weiter und weiter fortsetzten? Musste er sie dann nicht zunächst einmal ausreden lassen? Oder warteten sie auf eine Antwort, vor der sie mit der Bewegung nicht aufhören würden? Ein nervös-irres Lachen drohte in Adam aufzusteigen bei der Vorstellung, dass er es versäumen würde, den Lebewesen angemessen zu antworten und die armen Teufel ihre Hände immerzu weiter hin und her schwenken würden. Denen würden noch die Arme abfallen und er würde hier auf der Straße verhungern, weil ihm keine angemessene Antwort auf die Geste der zutraulichen Schrate einfiel.

      Ja, Schrate waren das, felltragende Schrate aus dem Wald, die vielleicht schon seit Ewigkeiten hier lebten und die zu entdecken Adam das zweifelhafte Glück gehabt hatte. Ob es da in der Gruppe, die ihn angehalten Männchen und Weibchen gab, vielleicht war das ja eine fröhliche Schratfamilie mit ihren groß gewordenen Söhnen auf Wochenendausflug? Oh, bitte nicht, jetzt bitte nicht verrückt loskichern, hör auf damit, sie stehen direkt neben dir, egal, ob das jetzt wilde Tiere oder rationell denkende Schratsippen waren, sie würden bestimmt wütend werden, wenn er nun durchdrehte. Er musste sich eine Reaktion einfallen lassen, musste zu verstehen geben, dass er begriffen hatte, dass ihre Botschaft angekommen war, er müsse sich nicht fürchten. „Ich fürchte mich aber“, schloss er seinen rasenden Gedankengang ab. „Was soll ich jetzt tun?“

      Vorsichtig hob er seine Hände von den Kanten des Sitzes und in eben diesem Moment hörten die Bewegungen der Schrate auf, die drei am Auto entfernten sich um einen Schritt rückwärts. War das Zufall gewesen, oder hatte seine Bewegung sie erschreckt? Auch er erstarrte, die Hände ein kurzes Stück über den Sitz angehoben. Doch er erkannte auch, dass er jetzt nicht so verharren konnte, er musste irgendwie weitermachen, irgendeine Geste, möglichst einfach zu erkennen und mit der für die Schrate verständlichen Botschaft, dass alles in Ordnung war, er musste umgekehrt auch sie beruhigen und beschwichtigen. Warum also nicht ihre Bewegung wiederholen? Wenn stimmte, wovon er in seinem Inneren überzeugt war, dass diese symmetrische Bewegung mit den nach unten zeigenden Handflächen Beruhigung und Beschwichtigung bedeuten sollte, dann würden sie auch ihn so verstehen, wenn er ihre Bewegung nachahmte. Und auf den Arm genommen, nachgeäfft würden sie sich ja wohl kaum fühlen. So bewegte er die Arme weiter, führte sie, wie es der einzelne Schrat vor seinem Auto gemacht hatte, von unten nach oben, von innen nach außen, wandte dann die Handflächen nach unten um und wedelte mit den nach unten weisenden Händen vor sich auf und ab. Das hatten sie gemerkt, ja, das hatten sie gesehen. Sie kamen alle näher, die drei Schrate am Auto berührten es jetzt beinahe und der vor dem Wagen streckte seinen Kopf nach vorne. Sie hatten es gesehen, nahmen es wirklich wahr! Und sie begriffen es auch. Der vor dem Auto nahm die Bewegung jetzt wieder auf, beschwichtigend winkte er auf und ab, die an den Seiten machten wieder mit, die ganze Gruppe. Als Adam die Bewegung abbrach, hörten auch die Schrate sofort auf.

      Die größere Gruppe weiter vorne wandte sich kurz darauf ab, die Schrate dort machten noch einmal kurz die winkende Bewegung und gingen dann nach rechts von der Straße hinunter, über den schmalen Grasstreifen in den Wald. Auch die beiden Schrate an den Seiten brachen auf, der an der Fahrerseite ging um das Heck herum, noch einmal beschwichtigend winkend, dann war er mit dem anderen Schrat verschwunden. Adam war mit dem Schrat vor dem Auto alleine. Der erhob jetzt seinen rechten Arm, streckte ihn nach vorne aus – wie furchtbar lang diese Gliedmaße war! Die knubbelige Hand fuhr mit den stummeligen Fingern und den langen Krallen wie in einer sanft streichelnden Bewegung über den Lack des Wagens, einmal hin und her, dann noch einmal, schließlich tätschelte der Schrat das Blech patschend und betrachtete es dabei aus einen grünschwarzen Augen. Dann trat er beiseite, wies mit einer mehrfachen schleudernden Bewegung in Adams Fahrtrichtung. Das Aufbruchsignal, das Einverständnis mit Adams Weiterfahrt. Fahr weiter, hieß das, du darfst weiterfahren. Diesmal dachte Adam nicht lange darüber nach, ob er mit seiner Deutung der Schratgesten richtig lag, behutsam legte er den Fahrtregler um und rollte langsam los. Als der Wagen am Schrat vorbeirollte, tätschelte der noch einmal die Beifahrertür, dann wieder die schleudernde Bewegung in Richtung der Stadt. Es ist gut, fahr nur zu.

      Adam beschleunigte, das Verkehrssystem gab die neu