Tilmann A. Büttner

Adam Bocca im Wald der Rätsel


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      Er nickte, verabschiedete sich und ging. Auf der Straße stellte er fest, wie lächerlich schön der Sommerabend war.

      Die Stadt bei den Flüssen, 5. Kapitel

      

      So schön der Sommerabend auch war, mit milder, klarer Luft und dem begeisternden Duft aufblühender Bäume, so finster war die Nacht geworden. Neumond lag erst knapp eine Woche zurück und so schimmerte nur ein schwaches Mondlicht über Kys. In der Stadt selber machte es keinen Unterschied, ob der Mond voll oder nur als schmales Band am Himmel stand, ob er unverdeckt schien oder hinter Wolken verborgen war. Die überall und die ganze Nacht hindurch scheinenden Lichter der Straßenlaternen, Leuchtreklamen und Autos legten einen immerwährenden Teppich einer nicht unerheblichen Resthelligkeit über die Stadt, genug Licht jedenfalls, um alles und jeden in den Straßen gut erkennen zu können. Das änderte sich, je näher Adam wieder auf die Stadtgrenze zusteuerte. Sobald er den innersten Ring der Gewerbegebiete erreicht hatte, wurden die Leuchtreklamen spärlicher und waren nur noch vereinzelt jenseits des Spaliers der hohen Bogenlampen zu sehen, mit denen die Schnellstraße gesäumt war, und die um den Asphalt einen Lichttunnel aufspannten. Dann die Fabriken, schließlich die Nahrungsmittelproduktionen, da leuchtete nur alle paar Sekunden ein Licht jenseits der Laternen am Augenwinkel vorbei.

      Er fuhr über die Stadtgrenze, auch die Straßenlaternen standen jetzt in doppeltem Abstand. Dort, wo die Ausbaustrecke endete, riss auch das Laternenspalier ab, Adams Verkehrssystem warnte ihn treu vor „verschlechterter Straßenbeleuchtung ab hier“. Das war glatt gelogen, denn jenseits dieses Punktes gab es überhaupt keine Straßenbeleuchtung mehr. Nur der Lichtkegel der Autoscheinwerfer schnitt eine helle Fläche in die Nacht. Die Bäume am Straßenrand wirkten jetzt, als stünden sie noch dichter an der Fahrbahn, an jeder Kurve kam es Adam vor, als würde er unmittelbar bis an den Stamm eines der großen Laubbäume heranfahren. Mit Verwunderung schoss es ihm durch den Kopf, dass im Dunkeln die Gegenstände doch eigentlich weiter entfernt scheinen müssten, aber womöglich wurde dieser Effekt durch das starke künstliche Licht der Scheinwerfer umgekehrt. Der menschliche Geist rechnet im dunklen nicht damit, etwas wahrzunehmen und reagiert mit dem Eindruck unmittelbarerer Nähe, wenn das Licht doch auf einen Gegenstand trifft.

      Im Übrigen war Adam viel zu sehr damit beschäftigt, sich selber wegen des unglücklichen Endes des Abends zu bemitleiden, als dass er sich tieferen Reflexionen über die ihm ungewohnte Nachtfahrt über Land hätte hingeben können. Jetzt musste er, anstatt sich weiterhin Stellas Initiative bei diesem ersten wirklich gelungenen Rendezvous anvertrauen zu können, schon wieder diese dusselige Landstraße entlang kurven. Zum Glück brauchte er sich wegen des Tokens keine Sorgen mehr zu machen, kurz nach der Abfahrt hatte er im Hotel angerufen und dort zwar nur noch die Hoteldirektorin erreicht, die sich als Frau Piyol vorstellte, die ihm aber freundlich erklärte, er könne sehr gerne heute Abend noch vorbeikommen. Restaurantbetrieb sei zwar keiner mehr, dafür sei zu wenig los, aber der Token, ja, der sei gefunden worden, sie habe ihn gleich bei sich in den Tresor gelegt und er könne ihn, wenn er denn schon unterwegs wäre, gerne abholen. Nein, sie sei ohnehin noch länger wach, er brauche sich gar nicht zu beeilen. Wenigstens etwas.

      Befreit von dieser Sorge, schmerzte ihn das Misslingen des Rendezvous um so mehr. Stella war, das hatte er heute begriffen, nicht nur sehr geduldig mit ihm und seiner anfangs so linkischen Art, sie war vor allem von einer sieghaften Fröhlichkeit, die ihr auch aus einer scheinbar völlig verkorksten Situation heraushelfen konnte. Wäre er an ihrer Stelle gewesen und hätte sich eines völlig ignoranten Machos erwehren müssen, der einen dann auch noch ohne zu zögern außerhalb der Stadt sitzen lässt, er hätte wenigstens für den Rest dieses Tages auf jede weitere menschliche Gesellschaft verzichtet und sich darin geübt, dieses Arschloch nach allen Regeln der Kunst zu verfluchen. Nicht so Stella. Sie hatte das Ärgernis spätestens hinter sich gelassen, sobald er im Hotel angekommen war, und hätte er nicht danach gefragt, hätte sie von sich aus wohl kaum damit angefangen. Stattdessen freute sie sich daran, jetzt in netterer Gesellschaft zu sein und genoss den Augenblick. Adam, der seine Lust daran, eine unglückliche Situation gründlich auszukosten, kannte, bewunderte diese Fähigkeit. Dass Stellas Verhalten an diesem Tag nicht nur ihrem fröhlichen Gemüt geschuldet war, sondern auch etwas damit zu tun haben könnte, dass sie endlich ein paar unbeschwerte Momente mit ihm, Adam, verbringen konnte, das kam ihm in seiner Bescheidenheit gar nicht erst in den Sinn.

      In derlei Gedanken versunken spulte Adam die ihm nun nicht mehr unbekannte Strecke nach den Weisungen des Verkehrssystems beinahe automatisch ab. Erst als er spürte, wie das System den Wagen noch weiter verlangsamte, schaute er wieder bewusst auf die Umgebung. Ja, richtig, der Baumtunnel, hier wurde es richtig kurvig, und war nicht auch die Straße an dieser Stelle enger? Ach nein, das war ihm vorhin nur so vorgekommen, weil sich an dieser Stelle das Blätterdach über der Straße schloss und hier sogar bei hellem Sonnenschein nur diffuses Licht herrschte. Na, in so einer stockdunklen Nacht machte es ja keinen Unterschied, ob die Straße unter den Bäumen hindurch oder über ein freies Feld führte. Oder doch? Wenn nun plötzlich etwas vor seinem Wagen auftauchte – oder jemand – und er käme nicht mehr weiter, niemand würde ihn bemerken, ihm helfen können. Er schaute in den Rückspiegel, in dem er erwartungsgemäß nur schwarze Dunkelheit und ganz schwach den roten Schein der Rückleuchten auf dem Asphalt erkannte. Würde er hier in den Wald, unter die dicht stehenden Bäume gezerrt, er bliebe spurlos verschwunden, schon wenige Schritte hinter dem Waldrand unauffindbar, den Blicken der am nächsten Morgen Vorbeifahrenden verborgen.

      Adam fuhr um die letzte scharfe Linkskurve im Baumtunnel und schnaubte verächtlich. Jetzt musste er sich aber wirklich darauf besinnen, sich nicht wie ein ängstlicher Junge in Hirngespinsten zu verlieren, sondern wie ein vernünftiger junger Mann alle fünf Sinne beisammen zu haben. Hätte er sich nicht wie ein verliebter Teenager auf der Restaurantterrasse hingelümmelt und gedankenverloren den Token auf den Tisch gelegt, er müsste jetzt gar nicht erst hier durch die Dunkelheit tuckern. So, und jetzt war er aus dem dichten Baumtunnel ja auch wieder heraus, stimmt, da rechts geht’s zum Fluss ins Tal hinunter, und gleich da hinten kommt auch schon das Hotel „Lupinental“.

      Frau Piyol öffnete den schon verschlossenen Hoteleingang, nachdem Adam geklingelt hatte.

      „Guten Abend, Herr Bocca, das ging ja schnell“, begrüßte sie ihn. „Hatten sie nicht gesagt, Sie kämen aus der Innenstadt angereist?“

      „Ja, allerdings habe ich Sie aus dem Auto angerufen, da war ich schon eine Weile unterwegs.“

      „Ach so, deshalb. Der Weg zu mir heraus ist nämlich auch mit dem Auto etwas langwieriger als Ihr Städter Euch das manchmal vorstellt. Besonders nach dem Ende der Ausbaustrecke geht es nicht mehr ganz so flott voran, viele Verkehrssysteme berechnen das falsch, und es dauert länger, als vorhergesagt. Besonders im Dunkeln.“

      Adam nickte, unsicher, ob es angebracht war, mit Frau Piyol Konversation zu machen, oder ob er, wonach es ihn drängte, gleich nach dem Token fragen und ohne weiteres wieder zurückfahren sollte.

      „Aber ich will Sie mit meinem Geschwätz nicht aufhalten“, fuhr Frau Piyol fort, „kommen Sie doch bitte herein, ich gebe Ihnen den Token.“ Sie machte kehrt und ging ins Hotel hinein. Mit einer Armbewegung lud Sie ihn ein, ihr zu folgen. „Hier entlang bitte.“

      Er folgte Ihr durch die nicht sehr große, aber um so elegantere Eingangshalle, geschmackvoll möbliert ohne jeden Land- oder Gemütlichkeitskitsch, in Richtung der Rezeption. Dahinter lag ihr Büro.

      „Kommen Sie doch bitte mit herein und nehmen Sie kurz Platz, es dauert einen kurzen Moment, bis ich den Tresor geöffnet habe.“ Im Büro wies sie auf die beiden Stühle vor ihrem Schreibtisch. „Es dauert gar nicht lange. Kann ich Ihnen etwas anbieten?“

      „Ich..., ja sehr gerne.“

      „Einen Hauscocktail?“

      „Nein, danke, ich wollte ja gleich wieder zurückfahren.“

      „Ach so, natürlich, dann vielleicht etwas Erfrischendes?“

      „Sehr gerne.“

      Geschwind