Tilmann A. Büttner

Adam Bocca im Wald der Rätsel


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ein ganzes Glas davon ins Gesicht geschüttet bekommt. Aber auch dann hat Kevin den Schuss noch nicht gehört, sondern meinte, jetzt würde es ihm reichen, ihm, verstehst du, und er würde sofort fahren. Ich hab ihm dann noch gute Fahrt gewünscht und bin erst mal ins Dampfbad gegangen.“

      „Und Sandra und Freddy haben dich einfach sitzen lassen?“

      „Nein, na ja, das geht schon in Ordnung. Sandra wollte mal wieder beschwichtigen, da habe ich sie auch gleich mit angefaucht und ihr und Freddy geraten, sie sollten bloß zusehen, dass sie mit Mister Großartig zurück in die Stadt kommen. Das war gar nicht böse gemeint, wir waren alle in Kevins Auto da, und ich wollte die beiden ja nicht noch mehr reinreiten. Ich war so sauer! Mir ist dann erst im Dampfbad eingefallen, als die beiden mit Kevin schon längst abgefahren waren, dass ich mich irgendwie um meine Rückfahrt kümmern müsste. Da bist du mir natürlich eingefallen.“

      „Es erleichtert mich wirklich, dass ich dir helfen konnte.“

      „Ja, ja, es ist schon hilfreich, wenn man immer ein paar Typen an der Hand hat, die ein schlechtes Gewissen mir gegenüber und noch dazu ein fahrtüchtiges Auto haben.“

      Jetzt schaute Adam doch etwas irritiert.

      „Ach was, Herzchen, für mich gibt es natürlich nur dich“, kicherte Stella und knuffte ihm in den Oberarm. „Ich bin dir wirklich dankbar, und ich hätte mich ja auch so bei dir gemeldet. Glaube ich.“

      Der Verkehr in der Stadt war zum Beginn des Wochenendtrubels schon ziemlich dicht geworden, und so kamen sie langsamer als gedacht zu Stellas Wohnung durch, deren Navigationsdaten sie in das Verkehrssystem eingegeben hatte.

      „Das soll jetzt bestimmt keine Anmache sein“, sagte Adam, nachdem sie ankommen waren, „aber wenn du das willst, bringe ich dir natürlich das Gepäck in die Wohnung.“

      „Ich bestehe sogar darauf. Ich wohne nämlich standesgemäß allein und habe niemanden, den ich runter auf die Straße klingeln könnte. Außerdem musst du mir die Chance geben, heute Abend für dich was zu kochen und mich für deine Hilfe zu revanchieren.“

      „Ich...“ zögerte Adam.

      „Du willst doch nicht wieder schüchtern werden?“

      „Nein. Nein, bestimmt nicht. Wirklich nur, wenn du willst.“

      „Ich will, keine Angst.“

      Er trug ihre wirklich nicht sehr schwere Reisetasche hinauf und während sie sich daran machte, ihr Versprechen eines selbst gekochten Abendessens einzulösen, schaute er sich neugierig in ihrer kleinen Zweizimmerwohnung um.

      „Ja, schau dich nur um, zum Glück räume ich immer auf bevor ich wegfahre, nicht erst, nachdem ich wieder zurückkomme. Ich verschwinde schnell um die Ecke zum Rund-um-die-Uhr-Markt, frische Sachen habe ich natürlich keine da. Bis gleich.“ Damit war sie auch schon zur Tür hinaus.

      Die Wohnung wirkte geräumiger, als sie tatsächlich war, denn nur wenige Möbel standen darin und kein Nippes stand herum. Ein Bund getrockneter Blumen über einem Spiegel im größeren Raum, von dem es in das etwas kleinere Schlafzimmer ging, bildete die einzige Dekoration den Adam entdecken konnte. Kaum hatte er sich darin vertieft, ihr Bücherregal zu inspizieren, war Stella auch schon wieder da und rief ihm zu: „Genug Wohnung durchsucht, Händewaschen und Mitschnibbeln, wenn’s denn recht ist.“

      In der Küche bearbeitete Adam nach ihren Anweisungen am Essplatz sitzend Gemüse und Salat, während sie ein im Handumdrehen sehr leckeres Gericht mit Kartoffeln und dünnen Lammkoteletts bereitete. Auf seine Frage, was das sei, lachte sie und meinte: „Jedenfalls nichts für Angsthasen, gleich kommt noch Chili-Sauce dazu. So ein bisschen Gedöns mit Gemüse und Fleisch denke ich mir immer irgendwie selber aus. Aber die Pommesbude unten hat auch noch offen, falls es so gar nicht hinhauen sollte.“

      Es schmeckte in der Tat ziemlich scharf, aber die Würze passte nach Adams Geschmack genau zum Fleisch, das er sehr lobte. „Tiefkühl“, meinte Stella kurz angebunden zwischen zwei Gabeln ihrer Kartoffel-Schöpfung, „ganz einfach und kann man immer da haben. Noch Kartoffeln?“

      Sie hatte so wie er nichts zu Mittag gegessen und sie aßen beide mit gutem Appetit. Es war immer noch ein Feriengefühl, jetzt aber wie nach der Rückkehr von einem gelungenen Familienausflug.

      „Ich kann leider nur einen Kaffee fertig aus der Tüte anbieten, dafür in einer total abgefahrenen Geschmacksrichtung“, sagte sie, nachdem sie auch mit dem Nachschlag fertig waren. „Den können wir ja drüben im Salon zu uns nehmen.“

      „Du sagst aber, wenn du dann deine Ruhe haben willst.“

      „Auf jeden Fall.“

      Sie hatte sich aufs Sofa gesetzt und es sich mit hochgezogenen Füßen bequem gemacht, Adam hatte einen Sessel herangerückt.

      „Dein Lesesessel?“

      „Eigentlich schon“, gab sie Auskunft, „aber wie jeder Sessel, den sich die Leute ganz speziell fürs Lesen anschaffen, muss der arme Kerl leider fast vollständig darauf verzichten, mich beim Lesen zu beherbergen. Wenn ich einmal in ein Buch komme, das mir gut gefällt, lese ich so gut wie überall, außer in dem Sessel. Apropos, willst du nicht lieber zu mir rüberrücken?“

      „Gerne...“

      „Wie gesagt, ich gebe schon Bescheid, wenn ich meine Ruhe haben will.“

      „Gut“.

      Er setzte sich neben sie, Platz genug gab es auf dem Sofa. Ohne ein weiteres Wort nahm sie seine Hand.

      „Das war ein sehr schöner Tag, danke,“ sagte sie.

      „Mir hat es auch sehr gut gefallen, du brauchst dich nicht zu bedanken.“

      „Oh doch, du ahnst ja gar nicht, wie grauenvoll der Tag angefangen hat. Was machst du am Wochenende? Wollen wir was zusammen machen?“

      „Klar, sehr gerne. Ich muss nur eine Datei kurz durchschauen, das kann ich aber auch von daheim schnell machen.“

      „Nimm dir mal nicht zu viel Zeit dafür.“ Sie zog ihn näher an sich heran. „So ein Wochenende kann viel zu kurz sein.“

      Was tun, lieber Adam? Es gab ja gar kein Problem. Er war bei Stella, auf ihre Einladung hin, ja, er fand sie toll, und wahrscheinlich schon mehr als das. Wie aufgewirbeltes Laub kreisten ihm Gedankenfetzen durch den Kopf, dieser dunkle Wald, bin direkt da durch gefahren, es war schön in dem Hotel, zum Glück konnte ich gleich los, na, dann mache ich von zu Hause weiter, wähl mich einfach mit dem Token ins Netz vom Amt ein...

      „Verdammt!“ entfuhr es ihm.

      Stella schreckte zurück. „Hoppla. Eine fremdländische Art des Liebesschwurs?“

      „Nein, Entschuldigung, ich hab nur war im Hotel liegen lassen.“ Adam stand vom Sofa auf und klopfte seine Hosentaschen ab, ob er den Token nicht doch noch finden würde.

      „Und ich nehme mal an, das ist nichts, was du dir einfach nachschicken lassen könntest?“

      „Nein, Mist, also, tut mir leid, das ist wirklich zu bescheuert. Mein Token für das Rechnernetz vom Regierungsamt, wenn ich ihn mitnehme, habe ich ihn immer in meiner Hosentasche und festgeclippt, Mann, das darf doch nicht wahr sein.“ Der Token war wirklich nicht da, er konnte sich auch noch genau an den Augenblick erinnern, als er ihn aus der Taschen genommen und ihn auf dem Tisch der Restaurantterrasse gelegt hatte, um es sich bequem zu machen. Und da hatte er ihn, vermutlich hinter einer der Tassen seinem Blick entzogen, liegen lassen. Er schaute zu Stella rüber. Sie wirkte immer noch freundlich, aber auch schon ein wenig angespannt. Ob es eine Art Schicksal war, dass er einfach keinen ganzen Tag verbringen konnte, ohne es sich mit ihr zu verderben?

      „Es tut mir wirklich wahnsinnig leid, aber ich muss das Ding holen. Das ist wohl die einzige Möglichkeit für einen freiwillig Dienstleistenden, so richtig Ärger zu bekommen, wenn er den Netzwerk-Token verschlampt.“

      Stella nickte.

      „Am besten fahre ich