Tilmann A. Büttner

Adam Bocca im Wald der Rätsel


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mit dem Erfolg, dass er viel Zeit in Werkstätten verbrachte, um den neuen Wagen wieder fahrtüchtig zu machen, während er sich über den völlig überzogenen Preis ärgerte. Dann brachte Adam das Gespräch in gar nicht langweiliger oder altkluger Weise auf die Meldung des Tages, den verhinderten Anschlag, und er schaffte es an diesem Punkt sogar, Stella einige kurze Antworten und Stellungnahmen abzuringen. Schließlich landeten sie bei einem Thema, das sie beide wirklich sehr interessierte, nämlich dem Freundeskreis des jeweils anderen. Adam stellte die Jungs vor, die Stella damals am Flussufer angetroffen hatte, allen voran Carlo Feinman als seinen ältesten und besten Freund. Mit ihm hatte er die Schule von der ersten Klasse an besucht, aber während Carlo nach dem Schulabschluss zielstrebig studierte und den allseits sehr begehrten Titel eines Ökonomischen Rats anstrebte, dümpelte Adam selber in einer ziel- und endlosen freiwilligen Dienstzeit beim Regierungsamt vor sich hin. Adam räumte von selber ein, dass Carlo ihm nicht nur ein guter Freund, sondern auch ein Vorbild war, vielleicht das einzige, jedenfalls in Fragen der verantwortungsvollen Lebensführung. Auch die anderen Jungs der Clique stellte er vor, Gregor und Sammy, Pablo und Tom, Robert und Paul, auch den eher schrecklichen Frank Fahrenheit und noch ein paar andere.

      Über mich verlor er wohl auch ein paar Worte: „Tja, und Oskar, Oskar Cramer, den kenne ich eigentlich gar nicht so gut. Er studiert zusammen mit Carlo, ist aber noch nicht für den Abschluss zum Ökonomischen Rat eingeschrieben. Der ist längst nicht so... so zielgerichtet wie Carlo, dabei bestimmt nicht doof. Aber solange er nicht genau weiß, was er will, wird er sich auch nicht die Mühe machen, alles zu wollen, was er kann. Eine ziemlich unsinnige Charakterisierung für jemanden, den man eigentlich mag, oder?“

      „Gar nicht“, antwortete Stella, „und vielleicht magst du ihn, weil er euch darin ähnelt?“

      „Wer weiß, vielleicht ist das so.“

      Das Gespräch floss angenehm weiter und wandte sich jetzt Stellas Freundinnen und Bekannten zu. Mit zunehmender Erleichterung darüber, Stella noch einmal besänftig zu haben, konnte sich Adam wieder ein wenig entspannen und deshalb, und weil die beiden nun am Ende des zweiten Humpens Reisbier angekommen waren, nahm er ihre Schilderungen nur bruchstückhaft auf. Plötzlich war er wieder hellwach und aufmerksam, als Stella anfing, etwas über Sandra zu erzählen.

      „Ich weiß, dein Kumpel Oscar hält nicht besonders viel von ihr, aber sie ist ein besonderes Mädchen, das ist nicht nur so dahergesagt. Ich kenne niemanden, der sich so sehr gegen alle Zweifel ihrer Umgebung durchsetzen muss. Sie hat das Pech, sich immer mit solchen Menschen einzulassen, die sie für nicht sonderlich begabt und eigentlich ein bisschen beschränkt halten. Das war schon bei ihren Eltern so und das hat sich bis hin zu Freddy fortgesetzt. Der hat ihr, ich weiß nicht wie lange, eingeredet, sie könne froh sein, einen Job als Verkäuferin bekommen zu haben, aber dann hat sie sich zum Glück doch noch zur Fotografenausbildung aufraffen können. Okay, ein bisschen nachgeholfen habe ich dabei auch, aber die größte Aufgabe war es, auch Freddy davon zu überzeugen, und das hat sie wirklich ganz alleine geschafft.“

      Außerdem erfuhr Adam, dass Sandra früher alles andere als zickig gewesen war, sich das aber angewöhnt hatte als Methode, die Menschen in ihrer Umgebung mit ihren ständigen Bedenken und Einwendungen gegen ihre eigenen Pläne auf Abstand zu halten. Dass sie, wenn man sie nur ließ und ihr mit der nötigen Aufmerksamkeit begegnete, so verlässlich und loyal war, wie man es sich von einer guten Freundin nur wünschen konnte. Dass sie zwar mit Freddy nicht gerade den traumhaftesten aller Männer ausgewählt hatte, jetzt aber schon seit langer Zeit zu ihm hielt, auch wenn er, wie leider nicht gerade selten, schwierig war. Und schließlich, dass Sandra bei weitem nicht so oberflächlich war, wie sie wirkte, auch das sei nur eine Masche, um sich das Interesse Anderer an ihrer Person und damit deren Einmischung in ihr Leben vom Leib zu halten.

      Er hatte sich das mit wachsendem Interesse angehört und Stella allein durch rhetorische Zwischenfragen dazu ermutigt, weiter zu erzählen. Dann merkte Stella an, die Szene am Flussufer sei eigentlich recht typisch für Sandra gewesen: erst habe sie Freddy so lange angezickt, bis er sie und Stella für ein paar Momente allein und in Ruhe gelassen hätte, dann aber, nachdem Freddy gegenüber den beiden plötzlich aufgetauchten Jungs rabiat zu werden drohte – „Superauftritt übrigens, ich weiß bis jetzt nicht, ob ich dich eher dämlich oder eher sehr mutig finden sollte“ –, dann habe Sandra wieder einmal beschwichtigend eingegriffen und Freddy vor üblen Scherereien, womöglich sogar vor Ärger mit den Secuforce-Aufsehern am Standbad bewahrt. Bei dieser Bemerkung vergaß Adam, gebannt von der geschilderten Persönlichkeit Sandras, die immer noch gebotene diplomatische Vorsicht Stella gegenüber.

      „Hat sie... hat sie denn nochmal nach mir gefragt?“ erkundigte er sich.

      „Wie bitte?“

      „An dem Tag oder später, ich meine, du bist ja dann noch zu uns rübergekommen und hast mit mir gesprochen, vielleicht habt ihr darüber gesprochen und sie hat dich nach mir gefragt.“

      Oh, Adam, ich will dir zugute halten, dass der Abend schon aufregend genug und das Reisbier ein wenig zu schnell konsumiert war.

      „Das ist jetzt nicht dein Ernst“. Stella starrte ihn an, dann einen unbestimmten Punkt hinter ihm, schließlich wieder ihn. „Adam, ich weiß nicht wofür du dich hältst, oder was du meinst, was ich hier tue. Zugehört hast du mir ja wohl, jedenfalls sobald es um Sandra ging, und die ist wie gesagt ein gar nicht blödes und völlig selbständiges Mädchen. Sie hat es bestimmt nicht nötig, mich auf dich anzusetzen, um dich anzulocken – und ich würde mich bestimmt nicht dazu hergeben. Schon gar nicht bei so einem... Trottel wie dir. Entschuldige, ich kann es nicht anders sagen. Oder, nein, entschuldige meinetwegen nicht. Kapierst du nicht, dass es mich nicht wenig Überwindung gekostet hat, überhaupt noch mit dir sitzen zu bleiben, und dass es vielleicht mit mir selber zu tun haben könnte, wenn ich es trotzdem getan habe? Kannst du dir das vorstellen? Nein? Ach, es ist mir auch egal, ob du es überhaupt für nötig hältst, dir über was anderes als über deinen eigenen Kram Gedanken zu machen, es ist mir echt egal. Und du bist es mir auch.“

      Sie stand auf. Sie nahm ihre Jacke und ging zum Tresen am Ausgang. Sie zahlte und verschwand. Adam blieb sitzen.

      Es hatte ihm, sobald sie weg war, viel mehr wehgetan, als er es vorher hatte ahnen können. Betäubt war er nach Hause getrottet, hatte kaum geschlafen und über Stella nachgedacht. Und über Sandra. Ob er wirklich nicht willens oder nicht in der Lage war, anderer Menschen Anliegen ernst zu nehmen. Nach wenigem und unruhigem Schlaf war er am nächsten Morgen zu spät aus dem Bett gekommen, aus der Wohnung ins Parkhaus und zu seinem Auto gelaufen und losgefahren, immer noch, oder besser gesagt schon wieder in einem tiefen, grübelnden Gedankengeflecht verwoben. Dass es regnete und er ein wenig zu flott unterwegs war, merkte er erst, als der Wagen ins Schleudern geriet und unaufhaltsam auf den Zeitungsstand zu schlitterte. Dann hatte es gekracht.

      Der Streifenführer der Secuforce hat die Inspektion von Adams Papieren endlich abgeschlossen, scheint aber immer noch nicht schlüssig, gegen wen der beiden Beteiligten sich sein quasi-amtlicher Zorn richten sollte. Die Entscheidungsphase überbrückt er mit ein wenig bewährtem Protektoren-Sarkasmus.

      „Was passiert ist, wollen der junge Herr wissen? Mit Vollgas haben Sie die Zeitungsbude über den Haufen gemangelt. Der alte Schmierlappen ist am Ende seiner Nerven. Und wenn er Sie drankriegt auch noch finanziell saniert. Das ist passiert.“

      Kopfschüttelnd schaut er sich die Kratzer an Adams Auto an.

      „Halten nichts aus, diese Billig-Karren. War doch nur so eine Art Penner-Hütte, die Sie da erwischt haben. Der Lackschaden ist bestimmt doppelt so viel wert wie die ganze Bude samt Inventar. Pech muss man haben.“

      In diesem Moment entfährt dem anderen Protektor, der die Daten der Unfallbeteiligten mit seinem Handcomputer überprüft, ein triumphierendes „Ha!“. Den Handcomputer wie einen Knüppel schwenkend marschiert er auf den Zeitungsverkäufer zu.

      „Hab’ ich es mir doch gedacht. Jetzt bist du dran, Alterchen, das hab ich ja so gern wie’s Zahnweh. Mannomann, das wird ’ne teuere Nummer für dich!“

      „Was gibt’s?“ fragt der Streifenführer seinen Kameraden.

      „Da