Yuna Stern

I#mNotAWitch


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mich auf den Boden, griff nach meinen Handgelenken und flüsterte: »Quinn, das geht so nicht. Wir müssen raus aus der Sonne. Komm schon. Du weißt, dass dich das Blut schwächt. Ich will nicht, dass es dir noch schlechter geht. Es tut mir leid.«

      Ich schluchzte, wusste, dass er recht hatte, aber das Verlangen war zu stark.

      »Komm, Quinn. Rechne. Lass los. Denk an etwas anderes.«

      »Hallo, ist da jemand?« Die Stimme des Försters näherte sich uns. Seine Schritte wurden lauter. Der Geruch seiner Verletzung, seines frischen Blutes nahm zu.

      Ich war kurz davor, aufzuschreien, ihn herzulocken, doch Jack schüttelte den Kopf und legte die Hand auf meinen Mund.

      »Quinn, konzentrier dich endlich auf die Zahlen«, flehte er.

      Ja, dachte ich. Ich versuche es ja, aber ich schaffe es nicht.

      Wo war ich noch mal gewesen?

      Plus 3? Plus 3. 98 plus 3. Hundert – ja – hunderteins. War das die Lösung? Nein. Ich musste die 1000 dazu addieren, und dann, ja.

      Ich stöhnte. »1101.« ODER?

      »Ja.« Jack lächelte, doch er ließ mich weiterhin nicht los. »Ja.«

      Ich entspannte mich und legte meinen Kopf auf den Boden. Spürte die kalte Erde in meinen Haaren. Achtete nicht mehr auf den Förster, dessen Schritte sich wieder entfernten.

      Jack hatte es mal wieder geschafft. Mit seinen bescheuerten Zahlen.

      »Sehr gut, Quinn. Willst du aufstehen?«

      Er sprang von mir weg und richtete sich auf. Klopfte sich die Blätter von seinen Knien.

      »Ja, danke.« Ich traute mich nicht, ihn anzusehen. »Und ... tut mir leid. Du weißt schon, manchmal ...«

      »Ach, Quinn. Das ist doch normal. Du bist gerade mal seit kurzer Zeit verwandelt. Da hat man sich noch nicht so sehr unter Kontrolle.« Er grinste und offenbarte seine Fangzähne. »Also, wenn ich dir ein Zeugnis ausstellen darf, du wirst immer besser in Mathe.«

      »Ha. Ha«, sagte ich und verkniff mir ein Lächeln. Insbesondere an diesem Tag war ich überhaupt nicht gut darin gewesen.

      Gemeinsam eilten wir zurück zur Waldhütte, um uns für den nächtlichen Aufbruch nach Irland vorzubereiten. Dabei wurde ich das Gefühl nicht los, dass wir beobachtet wurden.

      Ich drehte mich vor der Tür noch einmal um, sah zurück.

      Doch nur die verflixte Wanderdrossel war zu sehen, die in ihrem rot-schwarzen Federkleid umherhüpfte und sang. Ich hob einen Ast vom Boden auf und winkte ihr damit zu. »Hey, Piepmatz, wechsel mal den Kanal. Kannst du das?«

      Ich vergaß das merkwürdige Gefühl, dass dort noch jemand war. Verschwand in der dunklen Sicherheit der Waldhütte, wo Jack gerade einen Koffer packte.

      Kapitel 2

      Cork, an der Südwestküste Irlands, empfing uns in der Nacht am River Lee mit einem Lichterspektakel, mit einer malerischen Häuserfassade, die sich im Wasser spiegelte. Trotz der späten Stunde waren noch Passanten in der Großstadt unterwegs. Auf der Brücke hasteten sie an uns vorbei. Die Eindrücke innerhalb dieser bevölkerungsreichen Stadt erschlugen mich: Von den Autoabgasen, die mir in der Nase juckten, bis zu den grellen Farben in der Nacht. Überall blinkte und leuchtete es. Studenten aus der UCC stolperten lachend aus einem Pub, Alkohol- und Nikotingestank umhüllte sie wie eine Wolke.

      »Bald haben wir es geschafft«, murmelte Jack, der mich aufmerksam beobachtete. Ehrlich gesagt war mir seine stete Anwesenheit manchmal unangenehm. Insbesondere wenn er so besorgt war wie jetzt.

      In der Nähe des Gefängnismuseums von Cork befand sich das Anwesen der O'Donoghues in einer abgelegenen Seitenstraße. Das verlassene Hospiz erstreckte sich über drei Etagen, die Fenster waren mit Brettern vernagelt. Die Vorderfront war mit Wildem Wein geschmückt, der sich einen Weg durch die Risse im Mauerwerk gebahnt hatte. Auf dem gepflasterten Hof wuchs Unkraut, der sich bis zu dem Maschendrahtzaun drängte, der das Grundstück von allen Seiten umgab. Darauf war ein schiefes, knallgelbes Aluminiumschild mit der Aufschrift »Achtung! Einsturzgefahr!« befestigt.

      »Sieht nicht gerade einladend aus«, sagte ich. »Bist du dir sicher, dass sie hier wohnen?«

      Jack, der die O'Donoghues nur durch die Geschichten Isaiahs kannte, zuckte mit den Schultern. »Nach alldem, was ich über sie gehört habe, eigentlich schon.«

      »Also los.« Ich rang mich zu einem Lächeln durch und griff nach seiner Hand.

      Wir warteten einen Moment lang, bis keine Autos mehr auf der Straße vorbeifuhren, dann setzten wir zum Sprung an. In hohem Bogen flogen wir über den Maschendrahtzaun hinweg und landeten direkt vor dem Eingang.

      »Hm, manchmal hat es schon seine Vorteile, ein Vampir zu sein«, lachte ich.

      »Das freut mich, dass du es so positiv siehst«, entgegnete er und klopfte an die massive Eichentür. »Dann wollen wir ja mal sehen, wer die O'Donoghues sind.«

      Eine Weile tat sich nichts. Jack zupfte nervös an seinem Ärmel, lehnte sich mit seinem Ellbogen gegen den Türrahmen. »Hoffentlich sind sie da.«

      Ich hingegen spürte eine gewisse Erleichterung. Ich wusste nicht, was mich an der Vorstellung dieser Vampirärzte so störte. Doch der Gedanke an sie bereitete mir Kopfschmerzen. „Vielleicht sind sie ja verreist“, überlegte ich laut. Den hoffnungsvollen Ton in meiner Stimme konnte ich nicht abschalten. Jack zog die Augenbrauen hoch. Genau in diesem Moment riss jemand die Tür auf.

      Auf der Schwelle erschien ein Mann, der in seiner linken Hand eine Petroleumlampe trug. »Ja, bitte?«, fragte er. Alt sah er nicht aus, doch gekleidet, als ob er den Fünfzigern entflohen war. Wie ein Filmstar kaute er auf einer Zigarre im Mundwinkel herum, trug ein lässiges Hemd in Schlangenoptik und hatte streng mit Pomade zurückgekämmte, glänzende Haare.

      Jack stellte uns mit knappen Worten vor.

      Nach einer flüchtigen Stille nickte der Typ, bat uns herein. Im Foyer blieb er mit verschränkten Armen stehen, betrachtete mich mit gerunzelter Stirn. Hinter ihm befand sich ein Empfangstresen in Betonoptik aus vergangenen Zeiten, unter dem sich eine Ratte versteckte, wie ich an ihren Lauten erkannte. Darauf stapelten sich gebundene Bücher, die einen modrigen Geruch verströmten.

      Ein Vampir war unser Gastgeber auf alle Fälle, sein Herz schlug nicht, Blut rauschte nicht durch seine Adern. Mit schräg gelegtem Kopf sagte er in meine Richtung: »So, du verträgst also kein Blut, Quinn. Woran meinst du, liegt das? Wann bist du verwandelt worden?«

      »Wenn ich das wüsste, wäre ich mit Sicherheit nicht hier«, entgegnete ich. »Und verwandelt habe ich mich vor einigen Monaten.«

      Jack fügte hinzu: »Davor war sie eine Hexe.«

      Der Mann, der sich als Francis vorgestellt hatte, rümpfte die spitze Nase, wirkte leicht angewidert. »Eine Hexe, tja. Furchtbares Pack.« Nachdem er mich ein letztes Mal mit zusammengekniffenen Augen gemustert hatte, sagte er: »Folgt mir nach oben.«

      Wir nickten. Er stolzierte los, führte uns eine Treppe hinauf in die erste Etage der Hospizanlage. An der Decke des Korridors hing eine flackernde Pendellampe, die den Fliesenboden beleuchtete, der mit abgelaufenen Zeitungen und leeren Flaschen zugemüllt war.

      »Dagegen kann sie ja nichts«, meinte er, »dass sie mal eine Hexe war. Einige Straßen weiter, über dem Kiosk in der Victoria Street, haben wir auch ein derartiges Subjekt. Vermutlich um die dreihundert Jahre alt, sieht jedenfalls so aus. Grauslich, glaubt mir, die Murdock.« Er bog in den nächsten Gang ein. Das Licht schaltete sich automatisch ein. »Hier ist unser Untersuchungszimmer.« Francis öffnete die Tür und wartete, bis wir in den Raum eingetreten waren. Er stellte seine Petroleumlampe auf dem Boden ab und wies auf die Aluminiumstühle, die an der Wand standen. »Setzt euch bitte einen Moment lang. Ich hole meine Schwester. Sie wird euch sicher kennenlernen wollen.«

      Mit