Yuna Stern

I#mNotAWitch


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ja nicht vertrug.

      Er keuchte, knöpfte mir mit zittrigen Händen die Bluse auf, brauchte mehrere Anläufe, bis er es geschafft hatte. Teilweise wirkte er wirklich überfordert, so als ob er nicht genügend Erfahrung besaß. Wie auch ich, dachte ich.

      Ich beugte mich über seine Schulter, mit meinem Mund streifte ich testweise seinen Nacken, suchte nach einer besonders passenden Stelle, wo es ihm hoffentlich nicht allzu wehtat. Er stöhnte, als ich ihn dort liebkoste. Seine Kräfte gaben nach. Er ließ mich auf den Backsteinboden sinken, interessierte sich nicht für den Regenschauer, der uns trotz unserer überdachten Ecke erreichte, fuhr sich durch die klatschnassen kurzgeschnittenen Haare, lächelte mit hellglänzenden Augen, in denen ich glaubte, ganz kurz mein Spiegelbild zu erkennen.

      »Du bist so ... surreal«, flüsterte er.

      Ich schlang meine Arme um seinen Nacken und zerrte ihn zu mir. Jetzt musste ich es tun. Es war der perfekte Moment: Seine Haut schmeckte nach Männerparfüm, ich tauchte meine Fangzähne darin ein, spürte wie das Hämmern seines Herzens unter meinen Fingerspitzen schneller wurde. Er verharrte einen Moment lang, so als ob er noch nicht verstand, was vor sich ging. Sobald sein Blut strömte, nahm ich einen langen, gierigen Schluck, sog es ein, obwohl der Geschmack abscheulich war, bis sein Körper sich entkrampfte.

      Was ich tat, schien ihm Lust zu bereiten, denn er ließ sich davon nicht beirren. Im Gegenteil, seine Bewegungen wurden fahriger, seine Berührungen wurden fordernder.

      Doch sobald mein Durst gestillt war, schob ich ihn sanft von mir.

      Ich sah ihm an, dass es ihm anders ging, ungläubig blinzelte er mich an, flüsterte: »Bitte.«

      »Vielleicht irgendwann anders«, log ich. Oder nie.

      »Wann?« Seine Hände umfassten mein Gesicht. Er gab mir einen leidenschaftlichen Kuss, den ich ihm nicht verwehren konnte. »Ich brauche ...«, sagte er. Das Dich verflog mit dem Wind.

      Ich antwortete ihm nicht und löste seine Finger vorsichtig, ließ ihn los.

      »Ich muss gehen«, erklärte ich.

      Er nickte und senkte den Kopf, wirkte so verwundet wie eine Möwe, auf die mitten im Flug geschossen worden war. Um ihn zu trösten, dafür hatte ich keine Zeit mehr. Sonst würden mich meine Schuldgefühle sicherlich wieder einholen.

      Als ich mit zugeknöpfter Kleidung und zusammengebundenen Haaren aus der Seitengasse treten wollte, hielt er mich noch einmal auf. »Warte, bitte. Ich will dir noch sagen, wie ich wirklich heiße. Mein Name ist ...«

      Ich hörte ihn nicht mehr und rannte davon.

      Was hatte ich getan? All meine, so wie es Felicia ausgedrückt hatte, Moralvorstellungen über den Haufen geworfen. Ohne Begleitung losgezogen. Mit einem Fremden in der Seitengasse eines Pubs herumgemacht. Sein Blut(!!!) getrunken. Ich hoffte, dass Liam, nein, der Junge, mich wieder vergaß. Oder sich einbildete, dass er zu viel getrunken hatte.

      Eine von Jacks Standpauken ... die hatte ich heute wahrlich verdient.

      Als ich an einer Weggabelung vorbeikam, fiel mir ein Straßenschild auf: Victoria Street. Lebte dort nicht diese Hexe Murdock, von der Francis erzählt hatte?

      Neugierde durchströmte meinen Körper. Also beschloss ich, einen Umweg zu nehmen.

      Ich bremste meine Geschwindigkeit und passte sie den Fußgängern an. An den Autos wanderte ich vorbei, in denen die Fahrer darauf warteten, dass die Ampel für sie wieder auf Grün schaltete. Nachdem ich die Hauptstraße überquert hatte, hörte ich, wie mir der Schäferhund einer Passantin hinterherbellte. Er zerrte wohl an der Leine, denn ich hörte, wie sie ihn verärgert zurechtwies. Spürte er etwa, dass ich anders war?

      Auf dem Bürgersteig blieb ich einen Moment lang stehen, ließ meinen Blick über die Läden wandern.

      Der Kiosk, von dem Francis gesprochen hatte, fiel überhaupt nicht auf, wirkte wie ein schattiger Fleck im Straßengebilde. Einzig das braun lackierte Aushängeschild aus Schmiedeeisen, was an der Mauerwand befestigt war, wies auf den Laden hin. Ich steuerte direkt darauf zu. Auf der Fußmatte vor dem Eingang stand in geschnörkelter Schrift: »Welcome«.

      Sobald ich eintrat, klingelte ein Glöckchen, das an einem Faden am Türrahmen befestigt war.

      Der Ladenbesitzer schien indischer Herkunft zu sein. Um seinen Kopf hatte er einen Turban gebunden, so stramm, dass seine Wangen dadurch aufgeplustert wirkten. Er grüßte mich mit einem höflichen: »Guten Morgen.« Und widmete sich wieder den Räucherstäbchen, die er gerade anzündete.

      »Murdock?«, fragte ich, da ich annahm, dass er seine Nachbarin kannte.

      Er nickte und zeigte mit dem Ringfinger zur Decke. »Durch die Hintertür«, erklärte er mir, »die Treppe hinauf, erster Stock, da ist ihre Wohnung.«

      Ich bedankte mich für die Auskunft, hastete die Regale entlang, die mit exotischen Lebensmitteln vollbepackt waren. Durch die Hintertür gelangte ich zu einer Treppe, die ins erste Stock führte.

      Oben im Flur schob ich einen Kinderwagen beiseite, der den Weg versperrte. Darin häuften sich leere Plastiktüten und zerknüllte Taschentücher. Vor einem Fenster lagen drei verrostete Fahrräder, deren Körbe ebenso mit Müll gefüllt waren.

      Ich las mir die Klingelschilder aufmerksam durch, verharrte vor der dritten Tür links. Da war ihr Name, verblasst auf dem Papier, wohl vor langer Zeit mit einem tintenblauen Füller ausgefüllt. Auf dem Steinboden davor befand sich eine vertrocknete Dattelpalme, an ihren Blättern hingen Spinnfäden.

      Ich hob die Hand, um zu klingeln. Und zögerte. Was würde sie sagen, wenn sie mich sah? Ich war schließlich keine Hexe mehr. Viel schlimmer: Jetzt gehörte ich gewissermaßen ihren Feinden an.

      Doch bevor ich mich umentscheiden konnte, öffnete sich die Tür wie von selbst. Langsam und verzagt streckte die Hexe ihren Kopf heraus und musterte mich erst einmal. Dann rief sie: »Na, beiß mich der Teufel, wenn das nicht eine Donovan ist.«

      Kapitel 4

      Emilia Murdock zog mich hinein und schaltete das Licht im Flur an, murmelte: »Komm schon. Von draußen weht Wind herein. Das tut meinen alten Knochen gar nicht gut.« Sie schob mich zur Seite und trat die Tür mit ihrem grauen Hausschuh zu.

      Ihre Zweizimmerwohnung war eng und gemütlich. Auf der Küchentheke stand ein Röhrenfernseher, in dem eine Werbesendung lief, in der ein Staubsauger vorgestellt wurde. Die Hexe, die nach Francis Worten mehrere hundert Jahre auf dem wortwörtlichen Buckel hatte, packte sich die Fernbedienung und stellte das Gequassel der Moderatoren auf »Stumm«. Dann huschte sie in die Küche und riss den Kühlschrank auf, der so klein war, dass ihr beim Aufmachen mehrere Lebensmittel auf den Parkettboden fielen. Sie fluchte auf einer Sprache, die ich nicht kannte, dann zog sie eine Packung Eistee heraus und nahm zwei Gläser vom Regal darüber. Ihre grauen Strähnen, die ihr ins Gesicht fielen, pustete sie davon, während sie die Becher füllte. Als sie zurück in den Wohnbereich trat, der mit der offenen Küche verbunden war, zwinkerte sie mir aufgeregt zu. »Na, setz dich doch. Keine Scheu.« Mit zitternden Händen reichte sie mir das Getränk und ließ sich seufzend auf der Couch nieder, die zur Hälfte mit historischen Lehrbüchern bedeckt war, wie auch die sonstige Wohnung. Überall stapelten sich die Werke verschiedener Autoren aus den vergangenen Jahrhunderten, auf dem Fensterbrett neben einem verwelkten Tulpenstrauß, ebenso auf dem handgeflochtenen Teppich aus Maisstroh, der wohl meiner Mutter gefallen hätte.

      Ich setzte mich auf die karierte Decke, mit der die Hexe vorsorglich die Couch bezogen hatte. Flecken sammelten sich darauf, von eingenommenen Mahlzeiten und verschütteten Säften.

      Sobald sie meinen Blick bemerkte, entschuldigte sich Emilia Murdock. »Die Unordnung, hach«, sie nahm einen Schluck von ihrem Eistee, »das ist mir wirklich peinlich.«

      »Ist schon okay.« Aufmunternd lächelte ich ihr zu. »Woher wissen Sie, dass ich eine Donovan bin?«

      Ihr schmaler Mund verzog