Yuna Stern

I#mNotAWitch


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stand eine Liege, die mit einem beigefarbenen Baumwolltuch zugedeckt war. In den Regalen dahinter sammelten sich Akten. Hier drinnen stank es nach Alkohol und Fäulnis.

      Jack schien mit einem Mal nicht mehr ganz so zuversichtlich. »Das ist seltsam«, flüsterte er. »Isaiah hat mir immer erzählt, dass Francis ein Wissenschaftlertyp ist. Nie seinen Kittel ablegt. Trotz seiner Scharfsicht nicht aufgehört hat seine Brille zu tragen, an die er aus seiner Menschenzeit noch gewöhnt war. Dass er sich so verändert hat?«

      »Jetzt ist er jedenfalls ein Klon von Gregory Peck«, stellte ich nüchtern fest. Ich unterdrückte das Zittern meiner Hände, indem ich meine Finger ineinander verknotete. Ja, ich musste zugeben: Ich hatte Angst.

      Musste das wirklich sein, dass ich an diesem Ort behandelt wurde? Konnte die Ärztefamilie mir nicht einfach ihr Blutersatzdrink spendieren und mich gehen lassen?

      Um mich abzulenken, grübelte ich weiter über Francis offenbare Veränderung nach, die in den letzten Jahren stattgefunden haben musste: »Vielleicht war er zu Beginn noch so, wie Isaiah ihn dir beschrieben hat. Total in seiner Arbeit vertieft und so. Doch nach all der Zeit hat er neue Interessen entwickelt: Autos, Zigarren, Mode. Das kann doch sein. Was meinst du?«

      Er antwortete mir nicht und ließ sich auf einen der Wartestühle am hinteren Ende des Raumes sinken. Sein konzentrierter Blick verriet mir, dass ich ihn bei seinen Gedanken nicht stören durfte.

      Also schlenderte ich zu den Regalen, sah mir die verstaubten Akten an. Sie waren mit römischen Jahreszahlen beschriftet. Über einem Waschbecken in der Nähe hing ein verdreckter Spiegel. Aus dem mit Seifenresten verstopften Abfluss krabbelten Fliegen und tummelten sich auf dem Wasserhahn.

      Bevor ich zurück zu Jack gehen konnte, um mich neben ihn zu setzen, erklang ein Poltern. Die Tür wurde mit einem Mal weit aufgerissen.

      Francis flog mit einer hageren Frau an seiner Seite in den Raum. Er verharrte vor dem Eingang und legte den Arm um sie. Daraufhin nahm er einen Zug von seiner Zigarre und atmete den Rauch durch seine Nase aus. Feierlich rief er: »Darf ich euch bekannt machen? Das ist meine ... Schwester.«

      Das Gesicht seiner Schwester war so knochig, dass ihre Augen hervortraten. In ihrem grauen Kleid aus Spitze wirkte sie wie ein unterernährtes Model. Einzig ihre welligen, kupferblonden Haare schienen ihr ein wenig Gewicht zu verleihen.

      Schief grinsend fügte Francis ihren Namen hinzu: »Felicia, die oh-Glückselige.«

      Sie stieß ihn mit dem Ellbogen an und verdrehte die Augen. Im nächsten Moment richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf mich: Sie stürmte zu mir und griff nach meinen Händen. »Bitte entschuldige ihn. Über die Jahre ist aus ihm ein Narr geworden. Vermutlich liegt es daran, dass er kein Blut mehr zu sich nimmt.« Ein heiseres Lachen entwich ihr.

      Ich schüttelte den Kopf. »Ist schon okay. Er ist ... nett.«

      »Wie gefällt dir Cork bisher? Ist diese Stadt nicht wundervoll? Ich muss sagen, dass ich ...«

      Ehe sie weiterplappern konnte, warf Jack die Frage ein: »Ich habe gedacht, dass ihr einen weiteren Bruder habt? Finley?«

      Seit ihrem Auftritt schien er noch misstrauischer geworden zu sein. Er stand von seinem Platz auf und krempelte seine Ärmel hoch, um seine Muskeln zu demonstrieren.

      »Ohh, ja.« Felicia ließ mich abrupt los, warf ihrem Bruder einen Blick zu. Dann drehte sie sich mit dem Rücken zu uns um und lief zum Waschbecken, um von der Ablage eine Küchenrolle zu nehmen. Sie kehrte mit undurchdringlicher Miene zurück und breitete schweigend das Papier auf der Liege aus, ohne das dreckige Baumwolltuch vorher wegzunehmen.

      Francis räusperte sich. »Sie mag nicht darüber sprechen«, erklärte er. »Was aus ihm geworden ist ...«

      Sie seufzte theatralisch, richtete sich auf. Bat Jack und Francis das Untersuchungszimmer zu verlassen, damit sie alleine mit mir über meine Probleme mit der Blutzufuhr sprechen konnte.

      »Nein.« Jack sträubte sich, schüttelte den Kopf. »Ist das in Ordnung für dich?«, fragte er so lautlos, dass nur ich ihn hören sollte, obwohl das bei solcher Gesellschaft natürlich unmöglich war. »Ich bleibe lieber«, fügte er mit fester Stimme hinzu. »Ich lasse sie nicht alleine.«

      Leider ließ sich die Vampirärztin nicht von ihrem Vorhaben beirren. »Tut mir leid, ich möchte mit deiner Freundin persönlich reden. Vertrau mir bitte, es wird ihr nichts passieren.«

      »Ist schon okay«, wiederholte ich. Offenbar fiel mir kein anderer Satz mehr ein. Die Aufregung hatte mir die Sprache verschlagen. »Geh.«

      Jack sah mich weiterhin zweifelnd an, rührte sich nicht von der Stelle.

      »Wir haben doch nicht extra den langen Weg hierher gemacht, damit ich das jetzt nicht mache«, murmelte ich. »Es muss sein. Hast du selbst gesagt.«

      »Okay.« Er eilte zu mir, hauchte mir einen Kuss auf die Wange. »Bis gleich«, flüsterte er. »Und wenn ihr doch irgendetwas passiert, dann ...«

      Ich unterbrach ihn, bevor er Felicia drohen konnte.

      Bei der Tür drehte er sich noch einmal zu mir um. Ich gab ihm mit einem Lächeln zu verstehen, dass ich mich nicht fürchtete. Auch wenn das überhaupt nicht stimmte.

      Sobald ich mit Felicia alleine im Untersuchungszimmer war, veränderte sich ihre Stimmung plötzlich. Die Trauer um den offenbaren Tod ihres Vampirbruders schwand genauso schnell, wie sie gekommen war. Mit einem neugierigen Leuchten im Blick bat sie mich zu der Liege.

      Ich gehorchte ihr, auch wenn mir bei jedem Schritt der Gedanke durch den Kopf schoss: HAU AB.

      »So, jetzt erzähl doch mal, Quinn. Weshalb genau bist du hier?«

      Ich berichtete ihr davon, dass ich kein Blut bei mir behalten konnte. Und dass ich dadurch immer schwächer auf den Beinen wurde. »Unsere Reise nach Irland hat viel länger gedauert dadurch«, erklärte ich. »Immer wieder musste ich auf der Strecke Halt machen, weil ich nicht mehr konnte. Und ich wollte auch nicht, dass Jack mir hilft.« Ich erinnerte mich daran, dass er mir angeboten hatte, mich ein paar Meilen lang zu tragen. Doch das war für mich keine Option gewesen. Ich wollte es alleine schaffen.

      »Ist es vielleicht so«, sie verzog den Mund, als ob ihr der Gedanke nicht behagte, »dass du von deinen – sagen-wir-mal – Moralvorstellungen von früher beeinflusst wirst? Verursacht das womöglich dieses Gefühl der Übelkeit?«

      Ich dachte über ihre Theorie nach. Doch es war bei mir eher so: Eine Art krankhafte Allergie gegen das Bluttrinken selbst, es schmeckte mir noch nicht einmal, der Durst war dennoch da und bereitete mir Schmerzen. Also ein zwiespältiges Gefühl, was ich nicht selbst beeinflussen konnte. Einerseits trieb mich das Verlangen danach an, andererseits war ich extrem abgestoßen von der Flüssigkeit, die mich sozusagen beherrschte.

      »Leg dich doch bitte einmal hin«, bat mich Felicia.

       Musste das sein?

      Sie schien mein Zaudern zu bemerken, denn sie ergänzte lächelnd: »Ich werde dir jedes Mal erklären, was ich tun werde. Hab keine Angst. Es wird schnell vorbei sein.«

      Ich streckte meine Beine von mir, platzierte den Kopf auf der oberen Seite der Liege, an der ein Kissen aus Kunststoff angebracht war.

      »Danke dir, Quinn.«

      Ich ließ die nächsten Untersuchungen ohne Widerworte über mich ergehen.

      Sie beugte sich über mich, überprüfte meine Fangzähne, leuchtete mir mit einer Taschenlampe, die an einem Schlüsselbund befestigt war, in die Augen. Mit einem Reflexhammer kontrollierte sie meine Reaktionen und gab gelegentlich so Laute wie »Aha« oder »Hm« von sich.

      »Warte bitte.« Sie verschwand kurz und holte aus dem Nachbarraum eine Blutkonserve. Mit einer Nadel aus Silber, die etwa so lang war wie mein Unterarm, stach sie mir in die Vene. Führte mir den Inhalt der Blutkonserve per Infusion ein. Es tat überhaupt nicht weh, ich spürte nichts.

      Anschließend kramte sie aus einem der