Yuna Stern

I#mNotAWitch


Скачать книгу

sie und verschwand in ihrem Schlafzimmer.

      Ich packte die Zettel auf einen ordentlichen Haufen und wischte die Tischkante mit dem zerknüllten Tuch ab. Unter dem Dreck, der sich in all den Jahren angesammelt hatte und jetzt durch meine Aktion beseitigt wurde, verbarg sich helle Kernbuche. Mit Elan erhob ich mich und brachte meinen Putzlappen zum Mülleimer in der Küche.

      Wenn es wirklich so war, wie Emilia Murdock behauptete, dann ... Ich drehte mich wie eine Balletttänzerin im Kreis und kam mir überhaupt nicht bekloppt dabei vor. Dann spazierte ich zurück zum Wohnbereich und überlegte mir, wie ich der Hexe wohl danken könnte.

      Dass etwas nicht stimmte, merkte ich erst, als sie mit betroffener Miene zurückkehrte. Sie schwieg, reichte mir ein Foto, das drei Leute vor dem - Moment mal, das war das Hospiz, in dem die O'Donoghues lebten! Ich kniff die Augen zusammen, inspizierte das Bild genauer: Drei Leute waren darauf zu erkennen, gekleidet in Kitteln, mit altertümlichen Frisuren. Neben einer Laterne posierte eine Frau mit einer blondierten Dauerwelle und einem frechen Grinsen auf den Lippen. Daneben, direkt in der Mitte, stand ein Mann, der stämmig gebaut war und einen Kotelettenbart trug, der seine spitzen Wangenknochen betonte. Und auf der anderen Seite lehnte sich ein weiterer Mann gegen eine Autotür, mit goldumrandeter Brille auf der Nase und einer Aktentasche vor den blitzblank geputzten Lederschuhen.

      »Die O'Donoghues«, erklärte mir Emilia Murdock.

      Das konnte nicht sein. Das waren nicht die Vampire, die wir in der letzten Nacht kennengelernt hatten. Ich ließ das Bild sinken, fassungslos lauschte ich ihren nächsten Worten.

      »Wunderbare Geschöpfe«, seufzte sie. »Sie haben mich regelmäßig besucht, insbesondere die liebe Felicia, auch wenn wir ... unterschiedlich waren. Doch vor einigen Monaten sind sie verschwunden. Ich bin ein paar Mal zu ihrem Anwesen gegangen, doch als mir eines Tages jemand geöffnet hat, da war es ein arroganter Vampir, der mich fortgeschickt hat. Bedroht hat er mich, der Tölpel. Ich kenne die O'Donoghues seit hundertachtzig Jahren. Und ganz plötzlich ... Hach.« Sie war kurz davor zu weinen. »Weißt du, Quinn, meine Familie hat auch einen Pakt mit dem da unten geschlossen ... bei uns ging es um ein verlängertes Leben. Doch manchmal kann das schon ein Fluch sein. Wie viele Vertraute ich schon verloren habe ...«

      Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. Bekam nicht mehr mit, wie sie von ihrer Vergangenheit weitersprach. Fragte mich nur: Wer waren die Vampire, die uns da empfangen hatten? Und was hatten sie der Ärztefamilie angetan?

      Nachdem ich mich von Emilia Murdock verabschiedet hatte und ihr zusätzlich versprochen hatte, dass ich sie an Weihnachten wieder besuchte, stürmte ich das Treppenhaus hinunter. Zurück im Kiosk stolperte ich beinahe über ein Kind, was auf dem Boden krabbelte, während die Mutter, die ein Bindi mitten auf der Stirn trug, die Etikette auf einem Glas eingelegter Paprika durchlas. Ich entschuldigte mich, rannte weiter die Regale entlang und trat nach draußen, wo der Regen noch stärker geworden war. Ich hörte noch, wie der freundliche Kioskbesitzer an der Tür rief: »Wollen Sie sich einen Schirm leihen?« Ohne ihm zu antworten, sprintete ich los.

      Es spielte keine Rolle für mich, ob mich jemand entdeckte. Nein, es war nur wichtig, zurück zu Jack zu gelangen. Damit er nicht alleine blieb mit diesen Betrügern, die sich als die O'Donoghues ausgaben.

      Außerdem war Cork in so tiefe Dunkelheit getaucht, obwohl es gerade erst Mittag war, dass die Autos schon ihre Scheinwerfer eingeschaltet hatten. Im Verkehrsgetümmel war ich vermutlich nur ein Schatten, der über die Straßen fegte.

      Irgendwann stieß ich fast mit einem Fahrradfahrer zusammen, einem jungen Mann, der ohne Helm radelte. Rechtzeitig wich ich ihm aus und vernahm sein erstauntes Fluchen. »Was zur ...«

      In einem Café warteten die Leute darauf, dass der Sturm nachließ. Ein Teenager hinter dem Schaufenster, der gerade einen Schluck aus seinem Plastikbecher mit Latte macchiato nahm, filmte gleichzeitig mit seinem Smartphone die Umgebung. Ich prägte mir seinen Geruch ein, damit ich ihm später folgen und das Video, in dem sicherlich meine Gestalt für einige Sekunden zu sehen war, löschen konnte.

      Dass mir die Tropfen gegen das Gesicht peitschten, merkte ich nicht. Mein einziger Gedanke war: Zurück.

      Es dauerte viel zu lange, so kam es mir vor.

      Ich erreichte eine Hauptstraße, in der Stau herrschte. Irgendjemand hupte mehrmals. An einer Baustelle bei einer Schule stand die Polizei und gab Handzeichen. Auch wenn es unverantwortlich von mir war, so sprang ich auf das Dach des hintersten Autos und sprang zum nächsten. Ich konnte hören, wie die Fahrer stutzig wurden und aufschrien: »Was war das?!«

      Bei einem Toyota Prius trat ich mit der Stiefelspitze versehentlich gegen den linken Seitenspiegel, der in hohem Bogen davonflog und in einer Pfütze landete. Tut mir leid, dachte ich. Und eilte davon, bevor ich zu lange an einer Stelle verharrte, sodass jemand mich sah.

      In der nächsten Kurve seufzte ich erleichtert auf. Hier konnte ich wieder zwischen den Autos hindurch rasen.

      Von der Ferne sah ich schon die Seitenstraße, in die ich gleich ausweichen musste. Meine Beine bewegten sich schneller, die Bäume und Autos und Passanten flogen an mir vorbei, vermischten sich zu einem einzigen Gebilde aus Farben und Regentropfen.

      Sobald ich das Hospiz erreichte, wusste ich, dass etwas geschehen war.

      Denn ich hörte Jacks Stimme, die meinen Namen rief. Und zwar auf solch gequälte Weise, dass ich anhielt und erstarrte.

      »Ich bin gleich da«, sagte ich, damit er mich hörte, damit er verstand, dass ich ihn nicht verlassen hatte, sondern zurückkam.

      Kapitel 5

      Ein Anblick der Zerstörung lieferte sich mir, sobald ich die Eingangstür aufgestoßen hatte. Durch das Foyer eilte ich zur Treppe, nahm mehrere Stufen auf einmal, bis ich ihn erreichte. Ihn, der wie eine leblose Statue auf dem Fliesenboden im Flur hockte, mit blutverschmiertem Gesicht gegen die Wand lehnte, sich nicht bewegte.

      »Jack.« Mehr brachte ich im ersten Moment nicht über die Lippen, so geschockt war ich.

      Mit seiner linken Hand umklammerte er einen der Pflöcke, die wir sicherheitshalber in unserem Koffer mitgebracht hatten. Mit der Hoffnung: Sie nicht zu benötigen. Jetzt war alles anders, ich nahm ihm die Waffe ab, steckte sie in meine Hosentasche. Er zuckte dabei zusammen. Seine Fingerknöchel waren gebrochen, wie ich an der grau angelaufenen Haut erkennen konnte, die wie Stein aussah.

      »Was ist passiert?«, flüsterte ich und beugte mich über seinen Körper. Er atmete noch schwach, seine Lider flatterten. »Was haben sie dir angetan?«

      Beim Klang meiner Stimme schien ihm jegliche Anspannung abzufallen, er rutschte die Wand entlang, konnte sich nicht mehr aufrecht halten. Und mir offenbar nicht richtig antworten, denn er hauchte nur: »Du lebst.«

      Ja, natürlich lebte ich noch! Hatte er etwa befürchtet, dass sie mich ebenfalls angegriffen hatten? Ich strich ihm über die Wange, die eiskalt war. Unterdrückte meine Tränen, die seit meiner Verwandlung sowieso nicht mehr existent waren. Er schien meine Traurigkeit zu spüren, denn er öffnete die Augen. Blutige Flächen unterhalb seiner Bindehaut benebelten anscheinend seinen Blick. Dennoch lächelte er mich flüchtig an, nahm mich wahr, betrachtete mich mit solch einer Intensität, dass ich selbst wegschauen musste, um nicht aufzuschreien, weil sie ihm so wehgetan hatten. Einige Sekunden lang sagte er gar nichts, bis er bat: »Geh.« Nur damit ich mich in Sicherheit brachte?

      »Es wird dir wieder besser gehen«, versprach ich, obwohl ich mir nicht sicher war, da ich nicht wusste, was seinen Zustand hervorgerufen hatte. Was war nur vorgefallen?

      Sein Blick löste sich von mir, bewusstlos sackte er nach hinten. Ich zog meine regennasse Jacke aus, legte sie ihm wie ein Kissen unter den Kopf. Gab ihm einen hastigen Kuss auf die Stirn, verdrängte den aufkeimenden Gedanken in mir, dass das der letzte Kuss war, den ich mit ihm teilte. Das war nicht unser letztes Gespräch gewesen. Er musste es schaffen.

      Dann stand ich auf mit wackeligen Beinen, spürte meine eigene Hilflosigkeit. Rief dennoch so laut ich