Yuna Stern

I#mNotAWitch


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... erbarmungslos kalt. Selbst für meine Verhältnisse.«

      Selbst für seine Verhältnisse? Ach, bitte. Jetzt machte er mir etwas vor. »Das war nicht ... du machst das auch ...«, versuchte ich mich mit wild durcheinander geworfenen Sätzen zu verteidigen. Mir fiel jedoch nichts ein, was das rechtfertigte, was ich getan hatte. Außer meiner Lust in dem Moment dazu.

      »Nein«, sagte er, »ich habe noch nie Frauen Versprechungen gemacht, die ich nicht gehalten habe. Und meistens schaue ich immer mal wieder vorbei, also abwechselnd, wenn du verstehst, was ich meine ...«

      »Hast du etwa extra einen Stundenplan dafür angefertigt, oder was?«

      »Vielleicht ...« Er zuckte mit den Achseln. Dann ließ er sich zurück gegen die Steinwand fallen und meinte: »Nein, mal im Ernst, was hast du ihm noch mal gesagt?« Er kniff die Augen zusammen. »Irgendwann vielleicht? Der arme Typ steht immer noch vor dem Pub und wartet darauf, dass du zurückkommst.«

      »Jetzt übertreib mal nicht.«

      Es war das erste unbefangene Gespräch zwischen uns beiden, seitdem wir uns wiedergetroffen hatten. Beinahe fühlte es sich so an wie damals, als ich ihn gerade kennengelernt hatte.

      In den darauffolgenden Nächten wanderten wir durch die Schneelandschaften Grönlands, trafen sogar einmal auf eine Inuit-Familie, die uns jedoch ignorierte und weiterziehen ließ. Wir bestiegen die Berge Kanadas, brauchten länger als geplant, um weiterzukommen, da Finley sich regelmäßig über unsere Geschwindigkeit beschwerte. »Ich möchte mir diese Orte einprägen. Es ist so wundervoll hier«, war seine Ausrede, in Wirklichkeit war er nur sehr schwach, wie mir auffiel. Bis wir endlich fast angekommen waren ...

      Als wir in einem Wald in Alaska übernachteten, befielen mich erneut die Sorgen um meine Familie. Was hatte Zach gemeint, als er davon gesprochen hatte, dass der Teufel sie malträtiert hatte? Lebten meine Geschwister überhaupt noch?

      Ein Hirsch raschelte durch das Dickicht und blieb bei unserem Lager stehen. Ich merkte, wie Aiden ihn nachdenklich musterte.

      »Probier doch endlich mal das Getränk, das Finley dir angeboten hat«, schlug ich vor, weil mir die unschuldigen Tiere leidtaten, die ihm in den letzten Tagen als Nahrung dienten. Doch natürlich konnte er nicht anders und das musste ich akzeptieren.

      Mit hochgezogenen Brauen sah er mich an. Ohne dass er es sagen musste, ahnte ich, woran er dachte. »Jaja, Liam«, murmelte ich. »Ich weiß, dass ich ihn tief getroffen habe. Wenn du so sehr darauf bestehst, werde ich ihm bei meiner nächsten Reise nach Cork einen wiedergutmachenden Besuch abstatten. Das wird ihn hoffentlich wieder glücklich stimmen.«

      »So hab ich das ja gar nicht gemeint«, knurrte er. »Das ist überhaupt nicht notwendig, dass du ihn wieder triffst.«

      »Nein, du hast mich überzeugt«, log ich. »Yep.«

      »Lass das lieber. Wahrscheinlich hat er dich sowieso längst vergessen.«

      »Denke ich nicht.« Ich lächelte. »Du hast mich schließlich auch nicht so einfach vergessen.«

      Er stöhnte und warf einen Blick zu Finley, der ihm seine Trinkflasche aus Edelstahl hinhielt.

      »Eher bring ich mich eigenhändig um«, sagte er, »als dass ich mir das Zeug durch die Kehle spüle.«

      »Es schmeckt gar nicht so schlecht«, beteuerte Finley.

      »Nach Pferdeurin«, fügte ich hinzu.

      Finley starrte mich entrüstet an. »Das ist nicht wahr«, schwindelte er. »Probier es doch wenigstens einmal, mein Freund.«

      Aiden riss ihm die Trinkflasche aus der Hand und schnupperte an der Deckelöffnung. Dann schüttelte er den Kopf. »Nie werdet ihr mich dazu bringen. Eher trinke ich jeden einzelnen Menschen leer, bis keiner mehr übrig bleibt, als dass ich ... das hier für immer zu mir nehme.« Anerkennend blickte er Finley an. »Du musst entweder sehr stark sein. Oder du spinnst.«

      Finley ließ den Kopf sinken und zeichnete mit einem Ast auf dem Erdboden herum. »Tja, deshalb auch die Drogen, nicht wahr. Dann war alles einfacher. Dem Drang nach Blut zu widerstehen und stattdessen das von Francis erfundene Getränk einzunehmen.« Er seufzte und hob den Kopf: »Morgen werden wir deine Familie erreichen, richtig, Quinn?«

      »Ja«, nickte ich. »Falls sie alle überhaupt noch in Bethel sind.« Und wenn nicht? Wie sollte ich sie auftreiben?

      »Sind sie«, bestätigte Aiden, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich werde dich zu ihnen bringen.«

      »Wie? Du weißt, wo sie sich aufhalten?«

      Er nickte nur hastig, antwortete mir nicht mehr, denn der Hirsch entfernte sich gemächlich. Mit gebanntem Blick stand er auf und sagte: »Ihr könnt ja weiter faulenzen. Ich geh jagen.« Dann sprang er los, stürzte sich auf das Tier, das im letzten Moment wohl die Gefahr spürte und zu fliehen versuchte. Doch es war zu spät. Aiden packte ihn am Geweih und zerrte den Hirsch in eine finstere Ecke, in der wir beide nicht mehr sehen konnten. Einzig die röhrenden Schreie waren noch zu hören, während der Hirsch um sein Leben kämpfte.

      Woher wusste Aiden, wo sich meine Familie befand? Was hatte er mir noch nicht erzählt? Fast verspürte ich das Verlangen, ihm zu folgen, um ihn zur Rede zu stellen. Doch dann dachte ich, dass er es mir mit Sicherheit bald, wenn nicht spätestens morgen, erklären würde.

      Um mich von meinen Sorgen abzulenken, machte ich mich alleine auf zu einem Waldspaziergang, wie damals, als alles angefangen hatte.

      Sobald die Sonne am Horizont verschwunden war, brachen wir auf. Die Gegenden, durch die wir stürmten, kamen mir immer bekannter vor. Irgendwann spürte ich, dass wir Bethel erreicht hatten. Die Luft war an diesem Ort irgendwie anders, eisiger. »Wohin führst du uns?«, fragte ich Aiden, als wir einen Moment lang auf einem Hügel voller Tannen anhielten, weil Finley eine Pause machen wollte.

      »Zu deinem Vater«, antwortete er und lächelte. »Dort sind sie ... fast alle.«

      Fast alle?! Ich sank auf dem Gras zusammen, weil ich meine Beine nicht mehr spürte. Sollte das heißen, dass Lucien es geschafft hatte? Wen hatte er mir genommen? Doch nicht etwa ... Phoebe? Ich war kurz davor, aufzuschluchzen. Die Anspannung der vergangenen Tage hatte mich aufgewühlt.

      Aiden hockte sich zu mir und hob mein Kinn vorsichtig, damit ich ihn ansah. »Deine Geschwister sind wohlauf, Quinn. Es ist ... deine Mutter.«

      Meine Mutter war tot?

      Ich erstarrte, spürte den frostigen Wind, der mich erzittern ließ. Nein, es war nicht der Wind, es war die Erkenntnis, die mit solcher Heftigkeit auf mich einschlug. Ich konnte es nicht glauben. Die verbissene Frau, die mich all die Jahre lang unterdrückt hatte, die mich an den Teufel verkaufen wollte, war tot?

      Kapitel 7

      Die Straßen Bethels waren mit Schnee bedeckt. Aiden führte uns zu einem alten Fabrikgelände, das in der Nähe meiner ehemaligen Highschool lag. Dort befand sich noch bis vor einigen Jahren die Produktionsstätte einer Waschmittelmarke, die vom Markt genommen worden war. Seitdem stand die Halle leer. Auf dem Parkplatz war ein einzelner Truck abgestellt, dessen giftgrüne Farbe abblätterte. Am Himmel zeichneten sich erste Sonnenstrahlen ab. In der Luft lag der Geruch nach Winter und ... Heimat, dachte ich mit einem Lächeln auf den Lippen. Ich konnte es fast spüren, dass dort meine Familie auf mich wartete. Warum hielten sie sich an so einem Ort auf? Und wie würden sie auf meine neue Gestalt reagieren?

      »Hier sind sie also«, flüsterte ich.

      Aiden hob die Hand und strich mir über den Unterarm. Dann zog er sie abrupt zurück, als hätte er sich daran erinnert, dass er das nicht länger tun wollte: Mir seine Gefühle offenzulegen. Er räusperte sich und fragte: »Bist du bereit?«

      Hinter uns schnaubte Finley, der sich auf den Schnee gesetzt hatte und eine Burg aus Matsch anhäufte, aus offensichtlicher Langeweile. »Natürlich ist sie bereit. Ihre Aufregung ist so greifbar, sie hinterlässt selbst bei mir ein