Uwe Siegfried Drogoin

Ich bin ein Berliner


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das Geheimnis. „Irgendjemand muss mich mögen“, strahlte Harald. Er hielt nun, wenn auch verspätet, seinen verdienten Lohn für die Jahre angestrengter Arbeit in den Händen. Als Alfred von dem Brief hörte, war seine spontane Reaktion: „Das war bestimmt der Neumann. Wenn das der Scholz wüsste, würde er fristlos entlassen werden“.

      Die Fahrt nach Schweden

      In den nächsten Tagen packten Alfred und Harald alles Nötige für die Reise zusammen, verschnürten es auf die Fahrräder und radelten eines Morgens in Richtung Norden nach Stettin. Mutter Nagel rief den Beiden nach: “Grüßt Tante Gertrud und Onkel Ernst von uns“. In Stettin hatte die Nagels Verwandtschaft, Tante Gertrud, die Schwester von Mutter Nagel und Onkel Ernst, Angestellter bei der Stettiner Hafenbehörde. Stettin sollte also das erste Etappenziel sein. Unterwegs auf der Landstraße trafen sie mitunter Pferdewagen und Traktoren, die ihre Abgase als lustige Kringel über einen verdicktes Auspuffruhr senkrecht in die Luft stießen. „Wollen wir mal mit solch einem Trecker um die Wette fahren“? versuchte Harald seinen Freund anzufeuern. „Nein, ich bin eher dafür mich hinten festzuhalten, damit wir Kräfte sparen“, wandte Alfred ein. So ließen sie sich einige Kilometer von Maschinenkraft ziehen. Hin und wieder begegnete Ihnen ein Auto. Das Wetter erlaubte ihnen das erste Stück bis Eberswalde- Finow zu fahren. Kurz vor der Stadt, überraschte sie ein heftiges Sommergewitter mit Regen und Windböen. Bei dem unfreiwilligen Stopp konnten sie sich gleich die dortige technische Meisterleistung ansehen, das große Schiffshebewerk. Noch ehe der Regen verebbt war, kam schon wieder die Sonne hervor und leckte sanft die nassen Straßen trocken. Man konnte zusehen, wie die kleinen Pfützen verdampften und es roch angenehm nach frischem Sauerstoff. Nach weiteren fünf Stunden Fahrt sahen sie die Zinnen der schönen Hansestadt Stettin. Schon vom Weiten leuchtete ihnen der Turm der Nikolaikirche und der dicke Bauch des Wasserturms entgegen. Tante Gertrud in Stettin hatte sie schon erwartet. Sie spülten sich den Schweiß des Tages vom Körper und zogen sich in aller Eile um. „ Beeilt euch“ drängelte sie, „wir haben heute Hafenfest und da wird immer viel geboten“. Onkel Ernst hatte einen Prospekt des Veranstaltungsprogramms zur Hand und so wussten sie, wo sie hin streben konnten. Onkel Ernst und Tante Gertrud hatten die Fünfzig überschritten und ihre Kinder hatten auch schon wieder eine reiche Nachkommenschaft. Doch im Herzen waren sie jung geblieben und so mischten sie sich mit den beiden jungen Gästen unters Volk und hatten ihren Spaß dabei. Der Höhepunkt des Abends war eine Flottenparade auf der Oder unter Flutlicht und die Ansprache des Bürgermeisters, einer Nazi - Größe. Harald umschlich bei den Worten der Rede ein deutliches Unbehagen. Der Kommunalpolitiker sprach offen von der Ausrottung des Judentums und der Reinigung des Deutschen Volkes von schädlichen Elementen. Da war es wieder das Gefühl, welches er während der Zeugnisausgabe schon einmal hatte. Er fühlte, wie sein Selbstvertrauen auf null sank. Alfred hatte Haralds Stimmungsabfall mitbekommen und versuchte ihn zu aufzumuntern: „Wir sind morgen schon in Schweden und da werden andere Themen eine Rolle spielen. Lass dir von solch einem Möchtegern nicht die Laune verderben. Der erzählt nur das, was in Hitlers Bibel steht. Die meisten kleinen Lichter der NSDAP sind oft zu übereifrig. Wer weiß ob diese Leute auch meinen, was sie sagen.“ Die Luft war abends noch mild, auch wenn von der Ostsee zuweilen eine frische Brise herüber wehte. „Der Tanzboden ist ja rappelvoll, so dass wir erst einmal zuschauen müssen“, meinte Onkel Ernst, der sich schon auf ein Tänzchen mit seiner Gertrud gefreut hatte. „Sieh` mal an“, wandte sich Gertrud an Alfred, „die anwesenden Mädchen drehen sich schüchtern nach euch gut gewachsenen Bengels um“. Sie kicherten untereinander verschämt und schüchtern, als sie angesprochen wurden. Es fiel den Beiden nicht schwer hier und jetzt Bekanntschaften zu schließen und nach ausgiebigem Tanz wurden pro forma Adressen ausgetauscht. Hier war der Kontakt mit dem anderen Geschlecht viel spannender als zu Hause, wo sie sich für Mädchen nicht sonderlich interessiert hatten. Um Mitternacht wurde durch die Behörden das Licht gelöscht, es war Polizeistunde. Alles protestierte kurz, doch es half nichts, die Veranstaltung war damit beendet. Alfred und Harald packten am nächsten Tag Proviant für die Weiterreise in die Taschen und begaben sich wieder auf die Landstraße. „Wir müssen die letzte Fähre von Saßnitz nach Trelleborg noch erreichen“, hatte Alfred bestimmt.Von Stettin fuhren sie über Pasewalk, Anklam, Greifswald nach Stralsund. Dort ging es über den künstlich aufgeschütteten Damm neben der Eisenbahnstrecke her auf die größte Insel Deutschlands, nach Rügen. Gegen achtzehn Uhr waren sie in Saßnitz und müssten sich beeilen, die Tickets zu lösen, durch den Zoll zu kommen und im Galopp auf das Schiff zu rennen. Da legte die Fähre auch schon ab und bei ruhiger See und auflandigem Wind konnten sie sich auf einige Stunden Ruhe einrichten. Da sie vom Radfahren recht müde waren, suchten sie sich ein ruhiges Plätzchen auf dem Schiff und schliefen neben Rädern und Gepäck ein. Erst als der Steuermann kurz vor der hell erleuchteten Einfahrt von Trelleborg mehrmals das Signal zog, wurden sie wach und bereiteten sich auf den Landgang vor. Alfred streckte seine steifen Beine in die Länge und zeigte nach Osten: „Hier sehen wir schon den kräftigen Schimmer des kommenden Tages über den Horizont leuchten. Durch die zunehmende Nähe am Polarkreis geht hier die Sonne nicht mehr vollständig unter“. In Trelleborg war es schon weit nach Mitternacht und die Leute schliefen für gewöhnlich um diese Zeit. Die beiden Deutschen wollten sich eine Herberge suchen, doch weit und breit war keine Menschenseele zu sehen, die man fragen konnte. Ein Polizist von der Hafenbehörde hörte sich schließlich ihr Anliegen an und half ihnen, indem er Auskunft gab, wo zu dieser Zeit noch Schlafplätze frei seien: „Es ist zurzeit hier Feriensaison, und die Hafenbehörde ist auf solche späten Besucher eingerichtet. Fahren Sie zur Jugendherberge, die ist nicht weit entfernt“. Nur wenige Minuten hatten sie bis zu ihrer Unterkunft zu strampeln, dann sahen sie da hell erleuchtete Schild. Die Beine waren inzwischen schwer wie Blei geworden und die Kühle der Nacht ließ sie durch die dünne Kleidung frösteln. Als sie in der Unterkunft ankamen, war die Rezeption nicht mehr besetzt. Auf dem schwach erleuchteten Tresen fanden sie einen Zettel vor mit der Nummer des Zimmers, in dem sie übernachten konnten. Harald staunte nicht schlecht: „Die Leute haben grenzenloses Vertrauen zu uns“. Alfred konnte diese offene Gastfreundschaft nur bestätigen, er hatte mit seinen Eltern viele schöne Stunden auf diese Weise erlebt.Ausgepackt wurde nur das Nötigste, denn am nächsten Morgen sollte es in das Landesinnere weiter gehen. Alfred hatte die Planung für Schweden übernommen, weil er sich schon aus mehreren Reisen auskannte. So schlug er vor:„Die Tagesetappen sollten jeweils etwa einhundert Kilometer betragen, damit wir zwischendurch sehenswerte Stätten ansehen oder bei Bedarf in einem See baden können“. „Einverstanden“, kam es von Harald, dem es auch so vernünftig erschien. Bis Stadt und Schloss Kalmar sollte die erste Etappe gehen. Riesige Felder mit blühendem Raps färbten die ganze Landschaft in ein leuchtendes Gelb. Im farblichen Kontrast dazu standen die Wiesen mit dem üppigen Grün und Millionen von leuchtend roten Blüten wilden Klatschmohns. „Das Farbenspiel der Natur in dieser bunten Vollendung habe ich noch nie gesehen“, bemerkte Harald, „ich bin wie verzaubert. So stelle ich mir den Garten Eden vor. Das Land beeilt sich, wie es scheint, in seinem kurzen Sommer alle verfügbaren Schönheiten der Natur auf wenige Wochen zu konzentrieren. Der Zyklus des Werdens, Blühens, Reifens und der Ernte wird zwangsläufig enger zusammengedrängt und bringt eine unbeschreibliche Farbenpracht hervor“. In Kalmar, der ersten Etappe, erklärte ihnen ein Reiseführer in gebrochenem Deutsch: „Im Jahre 1397 wurde durch die dänische Königin Margareta die Kalmarer Union gegründet. Ein starker Bund zwischen Dänemark, Schweden und Norwegen sollte als Gegengewicht zur mächtigen Norddeutschen Hanse wirken“. Sie besichtigten das von Gustav Vasa aus der ursprünglichen Festung umgebaute Schloss mit seinen kostbaren Holzarbeiten und dem einzigartigen Intarsienschmuck an den Wänden. Am zweiten Tage erreichten sie Schwedens Glasregion. Hier wurden vor hunderten von Jahren Fachleute von der italienischen Insel Morano angesiedelt, die auch hier die Kunst der Glasbearbeitung ausüben sollten. In Kosta, Nybro, Orrefors, Bergdala und anderen Orten zauberten geschickte Glasmacher nach alter Tradition in Hand- und Mundarbeit wahre Meisterwerke aus weißem und buntem Glas. Alfred und Harald konnten sich an den schönen Dingen kaum satt sehen, doch Alfred drängte: „Du hast Stockholm noch nicht gesehen, da haben wir sicher auch noch eine Menge Sehenswertes anzuschauen was noch eine viel Zeit kosten wird“. Am Morgen des nächsten Tages waren sie ein paar Meter gefahren, als Alfred seinen Vordermann verzweifelt zurief: „Halt mal bitte an, ich glaube ich habe eine Reifenpanne“. Mit wenigen Handgriffen entlastete