Thomas M Hoffmann

Blutgefährtin 3


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öffnet die Tür, ohne jegliches Erstaunen darüber, dass ich seine Anwesenheit schon bemerkt habe. Er weiß, wie scharf die Wahrnehmung von Vampiren ist.

      «Entschuldigen sie die Störung, Madame. Eine Madame Delon steht draußen und möchte sie sprechen.»

      Unwillkürlich atme ich scharf ein, ein Schmerz durchzuckt mich, der Schmerz einer nicht verheilten Enttäuschung. Valerie! Was will Valerie hier? Valerie war einmal meine beste Freundin gewesen, sie wohnte mit mir in einer WG, als ich in Montpellier Weinbau studierte. Sie wusste nichts von der übernatürlichen Welt, bis Jerome, der Vampir, der beauftragt war, mich zu entführen, sie verführte und ihr die Existenz von Vampiren offenbarte.

      Nachdem ich wieder frei war, traf ich Valerie in dem Club eines Gestaltwandlers wieder, wo sich Vampire ihre Blutwirte suchen. Valerie war dem Verlangen nach dem Sex verfallen, den Vampire bieten können, obwohl sie von Vampiren in ihrer tiefsten Seele abgestoßen und angeekelt war. Als sie bemerkte, dass ich verwandelt worden war, ist sie voller Entsetzen und Abscheu geflohen. Sie ist weder zu meiner Hochzeit gekommen, noch hat sie es für nötig gehalten, auf die Einladung zu antworten.

      «Soll ich sagen, dass Sie nicht zu sprechen sind?», fragt Charles, als ich nichts sage.

      Was will Valerie? Ich habe nicht erwartet, sie jemals wiederzusehen. Der Blick des Abscheus, mit dem sie mich angeschaut hat, bevor sie entsetzt wegrannte, brennt immer noch in meinem Herzen. Und trotzdem ist sie jetzt hier, von allein zu mir gekommen, dem Monster, das sie fürchtet und vor dem ihr graut. Was kann sie nur wollen? Ich kann mir keinen Grund vorstellen, warum Valerie noch etwas mit mir zu tun haben wollen würde. Nun, es gibt nur einen Weg, herauszufinden, was sie trotz ihrer Abneigung hierher gebracht hat.

      «Nein. Führ sie bitte in den Salon und biete ihr einen Kaffee an. Sie mag ihn schwarz mit viel Zucker. Ich bin in fünf Minuten bei ihr.»

      Zitternd hole ich tief Luft und konzentriere mich auf die beiden letzten Bestellungen. Meine Gedanken rasen und ich habe Angst, dass die alte Wunde der Enttäuschung wieder aufbricht. Aber sie ist zu mir gekommen, also wird es etwas sehr Wichtiges sein. Was immer sie von mir will, sie musste sich überwinden, um hierher zu kommen. Ich habe nichts Böses getan, es war nicht ich, der diese Freundschaft geopfert hat.

      Nachdem ich das Bestellprogramm geschlossen habe, gehe ich langsam in den Salon, der vom Büro aus durch das Esszimmer erreichbar ist. Valerie steht an einem der Fenster und starrt nach draußen. Sie bemerkt nicht, wie ich das Zimmer betrete. Das wundert mich nicht, denn inzwischen bewege ich mich so lautlos, wie alle Vampire. Früher habe ich gedacht, dass sie das deshalb machen, weil es Raubtiere sind, aber heute weiß ich, dass sie das tun, weil sie so gut hören können. Es ist einfach irritierend, sich in der Lautstärke einer Büffelherde fortzubewegen.

      «Hallo Valerie.»

      Valerie zuckt zusammen und wirbelt herum. Ich rieche Angst und etwas anderes, Kummer? Sie starrt mich an, als würde sie erwarten, dass ich mich zähnefletschend auf sie stürzen und sie aussaugen würde. Das versetzt mir wieder einen Stich, aber ich beherrsche mich und betrachte Valerie. Sie hat zugenommen und ihre Augen sind rot umrandet, was darauf hindeutet, dass sie in letzter Zeit viel geweint hat. Ihre Haare sind unordentlich zurechtgemacht und ihre Schminke ist nachlässig aufgetragen. Wenn ich daran zurückdenke, mit wieviel Sorgfalt sie sich früher bemalt und schön gemacht hat, lässt das, was ich sehe, nur einen Schluss zu. Valerie geht es schlecht.

      Unsere gegenseitige Betrachtung wird unterbrochen, als Charles hereinkommt und unseren Kaffee serviert, süß und schwarz für Valerie, mit viel Milch für mich. Ich bedeute Valerie, dass sie sich setzen soll und setze mich selbst so, dass der Couchtisch zwischen uns ist.

      «Danke Charles.» sage ich, als Charles sich knapp verneigt und sich zurückzieht. Dann wende ich meine Aufmerksamkeit wieder Valerie zu.

      Bevor das Schweigen zwischen uns wieder wächst, platzt sie mit dem nächstbesten Thema heraus, das ihr einfällt.

      «Ich wusste ja gar nicht, dass ihr einen Butler habt. Er wirkt so echt. Genauso wie in diesen englischen Filmen. Wie bist du denn an den geraten?»

      «Charles befindet sich seit fast dreißig Jahren im Dienst von Pierre.», antworte ich sanft.

      «Wirklich? Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Eher...», ihre Stimme versagt, als sie merkt, dass sie beginnt Unsinn zu reden.

      «Eher ein Faktotum, das über Särge wacht und mit Blut grausige Zeremonien abhält?», vollende ich ihren Satz.

      Valerie wird rot.

      «Äh, du siehst echt gut aus, Trish. Viel schlanker...»

      «Warum bist du hier, Valerie?» unterbreche ich sie.

      Aus dem Konzept gerissen setzt sie zwei Mal zu einer Antwort an und senkt dann den Kopf.

      «Ich weiß nicht mehr weiter, Trish. Ich bin am Ende. Du bist die Einzige, die mir noch helfen kann.»

      Valerie so am Boden zerstört zu sehen, macht mich traurig. Früher habe ich immer versucht, sie vor sich selbst zu schützen, aber Jerome hat meine Bemühungen zerstört und offensichtlich hat es Valerie nicht geschafft, wieder Boden unter die Füße zu bekommen.

      «Was ist passiert?»

      Valerie braucht noch einen Moment, dann fängt sie an zu erzählen.

      «Nachdem du ausgezogen bist, hatte ich Angst und die Nase voll von Männern und Sex. Ich habe gelebt wie eine Nonne. Ich habe meinen Master in Rekordzeit abgeschlossen, wollte nur weg aus Montpellier. Ich meine, wie hätte ich denn wissen können, ob ich nicht wieder auf einen – einen von ihnen treffen würde.»

      Ich weiß, was Valerie meint. Als Mensch zu erkennen, dass man einen Vampir vor sich hat, ist sehr schwer, selbst ich habe Jerome erst als Vampir erkannt, als es schon zu spät war.

      «Ich bin dann in mein Heimatdorf geflohen und habe eine Anstellungen in einem Ingenieurbüro für landwirtschaftliche Maschinen gefunden. Dort habe ich dann Andrej getroffen. Erst wollte ich es nicht wahrhaben, aber er ist der Mann, den ich mir schon immer erträumt habe. Er ist sanft und zuvorkommend, er will Kinder und eine große Familie, er sieht gut aus und hat eine geheimnisvolle Seite. Und er ist an mir interessiert und hat mich nach allen Regeln der Kunst umworben.»

      Valerie stockt.

      «Das ist doch wundervoll», wende ich ein.

      Valeries Augen werden feucht, aber sie bricht nicht in Weinen aus.

      «Es war auch wundervoll bis wir zum ersten Mal miteinander geschlafen haben. Andrej konnte sich bemühen, wie er wollte, aber ich bin nicht in Fahrt gekommen. Es war, als wäre mir jegliche Lust abhandengekommen. Immerzu hatte ich das Gefühl, als müsste dieser besondere Kick noch kommen.»

      Ich presse die Lippen aufeinander, um nicht laut zu fluchen. Menschliche Blutwirte geben sich Vampiren hin, weil deren Biss eine so euphorische, sexuelle Wirkung hat. Aber die Nebenwirkung des Vampirbisses ist, dass es für den Menschen unmöglich wird, eine normale sexuelle Beziehung zu einem anderen Menschen zu führen. Hat man sich zu tief auf unsere Welt eingelassen, gibt es keinen einfachen Weg mehr heraus. Und Valerie ist zu tief in die übernatürliche Welt eingetaucht.

      «Andrej dachte, es läge an ihm, dass er etwas falsch macht und in meiner Verzweiflung habe ich ihm dann erzählt, warum ich nicht mehr in der Lage bin, normalen Sex zu haben.»

      Valerie senkt den Kopf.

      «Er hat mir nicht geglaubt. Er denkt, ich hätte Wahnvorstellungen und wäre in meiner Kindheit missbraucht worden oder so. Er will, dass ich therapeutische Hilfe suche. Wenn ich das nicht tue, dann ist er nicht mehr in der Lage, mit mir zusammen zu sein, hat er gesagt.»

      Valerie schweigt und ich bin verwirrt. Warum kommt sie damit zu mir?

      «Vielleicht solltest du wirklich einen Therapeuten aufsuchen, Valerie. Nicht weil du Wahnvorstellungen hattest, sondern weil du so einen Weg finden könntest zu vergessen. Du könntest dir selbst einreden, du hättest Wahnvorstellungen gehabt. Dann könntest du zusammen