Christian Schuetz

CYTO-X


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stand sie wieder einmal an seiner Wohnungstür und da sie sich sicher sein konnte, dass ihr Vater diesmal keinen Besuch hatte, schloss sie die Tür auf, schaute aber trotzdem erst mal vorsichtig rein. Es bestand da immer noch die Möglichkeit, dass er irgendwann im Laufe des Anziehens abgelenkt worden war. Das kam schon mal vor bei ihm.

      Da war sie, ihre heiß begehrte Wohnung. Dieser eine riesige Raum, mit der großen Fensterfront, der geradezu darum bettelte, von ihr neu eingerichtet zu werden. Sie kam langsam herein, da bemerkte sie, dass die Badezimmertür geschlossen war. Emma legte ihre Handtasche ab und rief einmal laut durch den Raum, damit er Bescheid wusste, dass sie eingetroffen war.

      Sie konnte schnell erkennen, dass die dringende Angelegenheit wohl irgendwas mit seiner Arbeit zu tun hatte. Sein Rechner und sein Laptop liefen gleichzeitig, auf dem Tisch lagen Ausdrucke ziemlich wirr durcheinander, oben auf eine CD: „Magnussen C-14“! Klang fast wie eine neue alternative Rockband, aber zu neunundneunzig Prozent war da wohl keine Musik drauf.

      Das Bett war sorgsam gemacht. Die Überdecken waren abgeräumt, neben dem Bett in einer Ablage verstaut und stattdessen schmückte eine einladende, weiche Tagesdecke den Raum. Emma blickte schräg nach oben zu dem großen Flat Screen und erkannte den Bildschirmschoner.

      Aha! Papa hatte also eine Präsentation für sie vorbereitet, die gemütlich auf dem Bett genossen werden sollte. Konnte ihr nur recht sein. Am Schreibtisch herumsitzen wollte sie nicht unbedingt. Sie packte sich eines der Kissen und richtete sich eine schöne Rückenstütze her. Dann kam ihr Vater aus dem Bad und sie zuckte zusammen.

      Er sah mitgenommen aus, etwas bleich im Gesicht, die Haare notdürftig nass nach hinten gekämmt, so gut das eben bei dieser Frisur möglich war. Er lächelte sie an, oder besser gesagt, er versuchte es, und das störte Emma nun wirklich. Das Lächeln kam bei ihm sonst natürlich, ein gewinnendes Lächeln, nie gekünstelt, aber dieses wirkte irgendwie gezwungen.

      „Was ist denn mit dir los, Paps?“, fragte sie und ging auf ihn zu. Eine kurze Umarmung, ein Kuss auf die Wange, aber all das war heute nicht so normal wie sonst. Er war irgendwie steif, als müsse er ihr was beichten.

      Emma dachte kurz an Weibergeschichten, aber die Unordnung in der Wohnung sagte natürlich etwas anderes aus. Sie fühlte sich unwohl, weil ihr Vater sein Metier beherrschte und nicht andersherum. Aber genau so erschien er ihr gerade. Als hätte er einen Fehler gemacht oder als ob er etwas Schlimmes erfahren oder erlebt hätte.

      „Kaffee?“, fragte sie ihn, weil ihr nichts Besseres einfiel und weil etwas Koffein in seinem Zustand sicher nicht schaden konnte. Sie waren beide leidenschaftliche Kaffeetrinker.

      Ihr Vater nickte und sagte: „Ja, wenn du so lieb wärst? Ich bereite derweil vor, was ich dir zeigen wollte.“

      Emma ging in die leicht abgeteilte Küche und begann den Automaten zu bedienen. Sie beobachtete ihren Vater aus den Augenwinkeln, ersparte sich aber weitere Nachfragen. Sie hatte ihn gefragt, was los war und er war wohl noch nicht ganz bereit, darüber zu reden. Aber reden wollte er, sonst hätte er sie nicht herbestellt.

      Emma bereitete zwei Tassen Milchkaffee zu und fand in einem Schrank noch einen verpackten Schokoladenkuchen. Tja, selbstgemachten gab es nur bei Muttern, aber der hier würde jetzt auch genügen. Schokolade für die Nerven und das Gemüt waren angebracht. Sie schnitt ein paar Scheiben ab, legte das Randstück auf seinen Teller, da er es sicher brauchen konnte. Dann stellte sie alles auf ein Tablett und trug es zu dem kleinen Tisch neben dem Bett.

      Mittlerweile schien er zielstrebiger geworden zu sein und als er den Duft des Kaffees roch, kam er zu ihr, und sie setzten sich beide auf die Bettkante. Emma sah ihm beim Trinken zu und war gespannt, wann der Vortrag beginnen würde.

      „Hast du heute keine Patienten, bei denen du reinschauen musst?“

      „Nein, Dad, ich hab den ganzen Tag Zeit, wenn du was Größeres vorhast.“

      „Das ist gut! Es wird nicht so ganz einfach sein, dir das hier zu erklären. Es sprengt auch meine Vorstellungen von Physik etwas.“

      Emma nippte an ihrer Tasse. Dass etwas sein Verständnis der Physik sprengen sollte, klang nicht gut, aber wenigstens erklärte es seinen leicht derangierten Look. Nun, es war sicher nur Wissenschaftskram. Vielleicht ein neues Element? Hatte die Quanten-Feld-Theorie die String-Theorie auf dem Feld der Physiker-Ehre besiegt? Sie hoffte zumindest, dass es etwas wäre, das sie verstand und nicht allzu abgedrehtes Zeugs.

      Sie schwiegen sich eine Weile an und Emma brachte das Geschirr noch schnell zur Spülmaschine, bevor sie dann aufs Bett stieg, um sich die neuesten Erkenntnisse des Professor Arno Brugger präsentieren zu lassen.

      Ihr Vater seufzte zunächst: „Verzeih, wenn ich mich nicht zu dir setze! Aber ich muss ein wenig nervöse Energie ablaufen. Ich kann nicht ruhig sitzen dabei.“

      Emma zog wieder die Augenbrauen hoch. Nein, so hatte sie ihn noch nicht erlebt. Wollte er ihr gerade erklären, dass er wusste, wann die Welt untergehen würde?

      „Fang einfach an, Dad! Lauf herum, so viel du willst! Du weißt, sowas stört mich nicht. Aber bitte, komm zur Sache!“ Sie merkte, dass ihre Stimme etwas spitz klang und fügte leise hinzu: „Du machst mir sonst langsam Angst.“

      Das war nun endlich ein Weckruf für ihren Vater. Wenn seine kleine Prinzessin Angst hatte, dann musste er sich zusammenreißen. Er begann damit, sie zu befragen, was sie denn von seinem derzeitigen Projekt wusste.

      Emma konnte seine Zufriedenheit erkennen, als sie ihren Wissensstand wiedergab. Sie gab sich Mühe, ihr Maß an Information geradlinig strukturiert wiederzugeben, um nicht unterbrochen zu werden. Sie hatte mitbekommen, dass seine Untersuchung nicht gerade positiv verlief und verpackte ihre Kommentare in möglichst unkritische Worte. Ihr Vater nickte ruhig vor sich hin und Emma huschte ein Lächeln übers Gesicht. Das war wie früher, wenn er sie abfragte, bevor sie wichtige Prüfungen zu schreiben hatte.

      Als Emma nichts Weiteres hinzufügen konnte und ihr Vater erfreut feststellte, dass sie eigentlich vor drei Tagen zu seinen Assistenten hätte stoßen können, um nahtlos in die Studie einzusteigen, zeigte er ihr das erste Diagramm, das er vorbereitet hatte.

      „Kannst du mir sagen, was das ist?“, fragte er etwas zögerlich.

      Vor Emmas Augen erschien eine Auflistung von chemischen Bestandteilen irgendeiner Substanz. Da war alles sauber aufgeführt, auch die kleinsten Fitzelchen penibel dokumentiert und sie wollte schon losprusten und fragen, ob er glaubte, sie habe vergessen, wie Cytoplasma aufgebaut war.

      Aber dann erkannte sie die minimalen Abweichungen. Ihr Interesse war geweckt und sie gab ihre entspannte Liegestellung auf. Instinktiv bediente sie mit der Bewegungssteuerung nun die Anzeige, vergrößerte, verkleinerte und verschob, bis sie alle Abweichungen markiert hatte.

      Emma erkannte es schneller als ihr Vater, der mit der Biologie schon immer ein wenig auf dem Kriegsfuß stand. Das war weder menschlich, noch tierisch und auch nicht pflanzlich. Einige Bestandteile, besonders im Bereich der anorganischen Ionen, erschienen ihr fremd, so als hätte man sie in diese Zellflüssigkeit gezwungen.

      „Das ist künstliches Cytoplasma. Vielleicht hergestellt, um Strom besser leiten zu können oder einen Körper resistenter gegen Schäden durch Strom oder allgemein elektrische Ladungen zu machen.“

      Ihr Vater zog eine Augenbraue hoch und attestierte: „Faszinierend!“

      Für einen Mann, der Science Fiction nie besonders gemocht hatte, konnte er „Mister Spock“ erstaunlich gut nachmachen. Wahrscheinlich, weil er es nur unterbewusst tat.

      „Ich hatte zuerst auf außerirdisches Cytoplasma getippt“, sagte er und schockierte seine Tochter damit. Emma wurde es langsam zu viel. Alle paar Minuten kam er mit Dingen, die sie von ihm nie erwartet hätte.

      „Was? Alien-Zellen? Paps, was ist mit dir los? Du bist doch einer der schärfsten Gegner aller Science Fiction. Du hast doch jeden Wissenschaftler zerrissen, der sich ernsthaft mit der Kontaktaufnahme zu Aliens beschäftigt hatte. Darf ich dich daran erinnern, wie du mir als Achtjähriger erklärt hast, dass ich vor Aliens