Christian Schuetz

CYTO-X


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war nicht wirklich das Ziel der Arbeit gewesen.

      Letztendlich konnten nur solche „Black-Spots“ zur Ergebnisfindung beitragen, die ungeklärt und mysteriös blieben. Was fehlte, war der Hebel, das Konzept, welches die einzelnen „Black-Spots“ irgendwie miteinander in Verbindung bringen würde, damit am Ende eine Entdeckung gemacht werden konnte.

      In der vergangenen Woche hatte Brugger seinem Team erklärt, dass der erste Ansatz gescheitert war. Man hatte schlicht und ergreifend keine Übereinstimmungen gefunden. Da Brugger aber selbst nicht wusste, wie er weitermachen würde, rief er eine kreative Woche aus. Keine Regeln! Keine Forschungen sollten ausgeschlossen werden, nur weil die nötigen beiden „Black-Spots“ nicht vorhanden waren. Es gab keine Tabus bei den Vorgehensweisen.

      Es dauerte eine Weile bis seine Leute ausschwärmten und sich individuell mit dem Datenfundus beschäftigten. Brugger war kein Diktator, aber so viele Freiheiten waren seine Assistenten einfach nicht gewöhnt. Er beobachtete das Geschehen und sinnierte vor sich hin. Es war nach einer Weile ganz witzig mitanzusehen, wie sein Team begann, ganz im Stile der jungen Generation von Wissenschaftlern, Daten auf ihre Tablet-PCs herunterzuladen. Ab und an war ein richtiges Notebook dazwischen oder einfach nur ein Speicherstick, aber es war ein hochmoderner Datentransfermarkt, der Brugger zum Schmunzeln brachte.

      Zu seiner Zeit wäre das sehr einfach gewesen. Man hätte in der Mitte des Labors alle vorhandenen Akten auf einem Tisch auf einen Stapel gelegt und dann wäre jeder an diesem Aufbau vorbeigegangen und hätte sich die oberste Mappe geschnappt.

      Brugger wusste, dass seine Leute versorgt und selbstständig genug waren, um eine Woche für sich allein wursteln zu können. Er wandte sich dem kleinen Stapel an Akten zu, den er sichergestellt hatte; den klassischen Papierakten von Kollegen, die nichts von elektronischer Datenverarbeitung hielten. Von all den vorhandenen Forschungsberichten waren gerade einmal fünf übrig geblieben, die in reiner Papierform vorlagen.

      Der kleine Stapel war schnell durchforstet, weil sich allein drei der Projekte mit anthropologischen Untersuchungen befassten. Anscheinend waren gerade die Menschenkundler keine Freunde der modernen Medien. Brugger war versucht, den Mist gleich wegzuwerfen, aber er räumte die Projektunterlagen dann doch wieder brav in einen Aktenschrank.

      Somit blieben ihm nur noch zwei Forschungsberichte zum persönlichen Studium übrig. Darunter befand sich ein riesiges Werk eines Biologen aus China, der weltweit Untersuchungen über die Entwicklung von Würmern aller Art durchgeführt hatte, um mit ihrer Hilfe Aussagen machen zu können, wohin die Evolution diese faszinierenden Spezies noch bringen würde.

      Entweder war der Mann so sehr von Regenwürmern fasziniert, dass er wissen wollte, wann sie die Weltherrschaft erringen würden oder aber, und das war eine Theorie, die Brugger mit niemandem teilte, der nette Chinese war in Wirklichkeit ein Spion wie James Bond, der diese Forschung nur als Tarnung verwendet hatte, um jedes beliebige Land der Welt bereisen zu können, ohne Verdacht zu erregen. Gestatten? Li, Wang Li! Pflaumenwein, geschüttelt, nicht gerührt!

      Nein, das war natürlich auch nichts, was erfolgversprechend aussah, aber alleine die Agententheorie verhalf der Studie dazu, nicht direkt in den Aktenschrank zu wandern, sondern in Reserve auf dem Schreibtisch zu verbleiben. Und somit machte Professor Arno Brugger Bekanntschaft mit Professor Thorwald Magnussen oder besser gesagt, mit dessen Arbeit.

      Auf dem Deckblatt des Forschungsberichts war eine Notiz von Magnussens Nachfolger angeheftet. In fast perfektem Deutsch teilte dieser mit, dass das Projekt nie beendet werden konnte, weil der Professor beim Skifahren unter einer Lawine ein vorzeitiges, unglückliches Ende gefunden hatte.

      Das Projekt wurde abgebrochen, weil es sehr kostspielig war und niemand wusste, wonach Magnussen eigentlich gesucht hatte. Als er diese Notiz las, war Brugger bereits Feuer und Flamme für den Norweger. Diese Parallele zu seinem eigenen Projekt war zu markant, als dass er sie nicht als Wink des Schicksals betrachten konnte. Keine Theorie! Nur Daten! Und die Hoffnung irgendetwas zu finden?

      Es war möglich, dass Magnussen eine Theorie hatte und diese, aus welchen Gründen auch immer, für sich behalten hatte. Durch den tragischen Tod war keinerlei Struktur in den Papieren. Es waren einfach immer wieder Daten und Diagramme ausgedruckt und abgeheftet worden.

      Zum Glück war auf den ersten Seiten die Versuchsanordnung aufgeführt. Und diese war ganz nach Bruggers Geschmack. Magnussen hatte in einer Forschungsstation am Nordpol eine Unterdruckpumpe mit einem Gas-Chromatographen verbunden. Die Pumpe saugte immer für fünf Minuten Luft an und anschließend wurde das Gas-Luft-Gemisch analysiert. Sinnvolle Anwendungen für solche Geräte bestanden darin, Umweltgifte nachzuweisen und Aussagen über deren Konzentration zu treffen.

      Aber ausgerechnet am Nordpol dürfte das kaum von Belang gewesen sein. Diese Studie hatte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die knapp achtzigtausend saubersten Proben aller Zeiten von Luft untersucht.

      Für Brugger war es auch schwer, die Daten schnell zu deuten, immerhin war er Physiker und kein Chemiker, aber da auch Magnussen kein Chemiker war, sollte das Geheimnis, falls es denn existierte, irgendwo im physikalischen Spektrum zu finden sein. Das hoffte Brugger zumindest!

      Er überlegte in seinem Büro gerade, wie er den unfassbaren Wust an Daten in seinen Rechner übertragen konnte, da klopfte Dr. Steffen an seine Glastür. Brugger öffnete die Tür und Steffen teilte ihm mit, dass die meisten der ursprünglich aussortierten Projekte an das Team verteilt worden waren und wollte wissen, ob er wirklich keinerlei Regeln für das Vorgehen aufstellen sollte. Brugger verneinte und bemerkte dabei, dass Steffen mit großem Interesse immer wieder auf die Aktenmappe auf seinem Tisch schielte.

      „Sie kennen Professor Magnussens Arbeit?“, fragte Brugger seine rechte Hand.

      Dr. Jonathan Steffen war kein Künstler der Wissenschaften wie sein Chef. Er war ein idealer Zuarbeiter, der oft vorher wusste, was Brugger gleich von ihm einfordern würde. Damit konnte er seinen Chef immer wieder verblüffen. Allerdings wusste dieser Chef auch, dass die Universität seinen besten Mann nicht als Nachfolger akzeptieren würde. Dazu war er ihnen nicht spektakulär genug, und auch wenn Brugger es immer wieder versuchen würde, sie hier eines Besseren zu belehren, so schien dies ein aussichtsloses Unterfangen. Steffen selbst hatte er mit dieser Prognose noch nicht konfrontiert, aber so wie er ihn kannte, war klar, dass Steffen den Braten bereits gerochen hatte. Anmerken ließ er sich dies aber nie.

      „Ja, Chef, ich habe den Schuss-Ins-Blaue ein paarmal angeschaut!“, sagte Steffen leicht grinsend.

      Brugger zog die Augenbrauen hoch. Einen Schuss ins Blaue hatte man sein eigenes Projekt auch genannt und er mochte die Bezeichnung nicht. Sie unterstellte, dass man, statt auf ernste Arbeit, eher auf das Glück baute oder gar hoffte, dass einfach etwas vom Himmel fiel, direkt auf den eigenen Schoß. Das war weder bei ihm so, noch sah es so aus, als habe der Norweger es sich leichtgemacht.

      Ein Kollege der mathematischen Fakultät hatte von Bruggers Heuhaufen-Ansprache gehört und daraufhin in der Universitätszeitung einen Artikel verfasst, in dem er das Projekt der Physiker als die Suche nach einer hypothetischen Nadel, in einem hypothetischen Heuhaufen, in einem noch viel hypothetischeren Universum bezeichnet hatte. Das war wenigstens geistreich und hatte Brugger schmunzeln lassen.

      Steffen schien zu erkennen, dass sein Kommentar nicht gut angekommen war, aber er hatte noch ein Ass im Ärmel und spielte es sofort aus. „Ich schicke Ihnen gleich einen Link, wo Sie sich das Datenpaket herunterladen können.“

      Der strenge Blick des Chefs verflog. „Sie haben das bereits verarbeitet? Ich dachte, diese Arbeit war nicht gesichtet worden, wegen der fehlenden Black-Spots?“

      Ein wenig Kritik packte er dann doch in seine Frage. Gemäß seiner Doktrin, hätte Steffen diese Daten gar nicht anfassen sollen und nun wollte er von ihm eine Begründung hören.

      „Chef, ich habe das Projekt überflogen, nachdem ich gesehen habe, dass es nie beendet wurde. Ich bin mir sicher, dass Magnussen da drin herumgeschwärzt hätte, dass es für Sie eine wahre Freude gewesen wäre. Ich wollte es Ihnen eh schon vorschlagen, aber ich habe gesehen, dass Sie es sich auf den Tisch gelegt hatten,