Christian Schuetz

CYTO-X


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zehn bis zwölf Generationen darauf warten müssen, diese Außerirdischen auch zu Gesicht zu bekommen?“

      Emma holte tief Luft, bevor sie fortfahren konnte: „Und das auch nur vorausgesetzt, dass uns diese Aliens um mindestens tausend Jahre im technischen Entwicklungsstadium voraus wären, damit sie eine Reise zu uns antreten könnten, in dem Moment, als unsere Nachricht bei ihnen eingetroffen war?“

      Ihr Herz pochte heftig, ihre Wangen waren gerötet. Sie war es nicht gewohnt, ihren Vater an die Grundfeste seiner Überzeugung erinnern zu müssen.

      „Vor circa vierzig Stunden war das auch noch so. Seither hat sich alles geändert. Ich muss einige meiner Thesen überdenken. Aber ich denke nun auch eher, dass es künstlich erzeugtes Cytoplasma ist und nicht außerirdisches.“

      Dann reichte er ihr die Beschreibung des Versuchsaufbaus von Professor Magnussen: „Allerdings schließe ich auch außerirdisches Cytoplasma nicht aus, oder gar von Außerirdischen künstlich erzeugtes.“

      Was es für Emma nun nicht wirklich besser machte.

      Emma blätterte in den Unterlagen und wunderte sich. Und damit erging es ihr eigentlich genauso, wie allen, die das gelesen hatten. Sie blickte ihren Vater mit vielen Fragezeichen an, wusste aber, dass er auf neue Impulse von ihr wartete. „Also dieser Magnussen hat am Nordpol fast zehn Monate lang Luft analysiert und dabei in ungefähr achtzigtausend Proben etwa zweihundertmal dieses Zeugs nachgewiesen.“

      „Genau 182 Mal, aber fahre bitte fort.“

      „Nun da stellen sich sehr viele Fragen. Warum hat er danach gesucht? Wie kommt das Zeug dahin? Und warum macht dich das alles so fertig?“

      Ihr Vater nickte nachdenklich. „Fragen Eins und Zwei bearbeite ich selbst noch. Übrigens nennt sich das Zeugs Magnasse, aber das nur nebenbei. Frage Drei werde ich dir jetzt beantworten.“

      Er erklärte ihr, wie die Studie seines Lehrstuhls aufgebaut war und dass trotz aller Datenmengen nichts Verwertbares zum Vorschein gekommen war. Danach hörte Emma sich an, wie er die kreative Woche ausgerufen hatte und sie nun begonnen hatten, auch andere Untersuchungen, die keinen „Black-Spot“ enthielten, in diese Studie einzubauen. Selbst seinen Alptraum ließ er nicht aus und die für seine Verhältnisse wilde Nacht.

      Als er dann auf dem Bildschirm das Ergebnis in Zahlen anzeigen ließ, erkannte Emma die entscheidende Zahl „182“ sofort. Darum hatte er sie vorhin also korrigiert. Und die Anzahl der möglichen Ergebnisse ließ ihren Mund wieder aufklappen.

      „Wow, Dad, das ist doch ein Traumergebnis für jeden Wissenschaftler! Da hast du doch auf Jahre hinaus Arbeit vor dir.“ Sie blickte ihn mit großen Augen an. Warum jubelte er nicht?

      „Dad, das ist Nobelpreis-Material! Warum ziehst du da so eine Fresse?“ Ihr Blut war in Wallung. Ihr Vater, auf den sie immer so stolz war, könnte es schaffen, kurz vor der Rente doch noch den Preis aller Preise zu gewinnen, aber vor ihr stand ein gebrochener, zweifelnder Mann.

      „Nun, das Problem ist, wenn ich alle meine anderen Daten entferne und nur die Nordpolstudie untersuche, ist das Ergebnis ebenfalls 182. Lediglich die potenziellen Ergebnisse fallen weg. Ich habe meinem Programm da ein wenig zu viele Freiheiten erlaubt und es spekulieren lassen. Man sollte so etwas nicht unbedingt mitten in der Nacht machen.“

      Emma blickte ihn leicht traurig an. „Also keine wirkliche Übereinstimmung mit deinen Black-Spots?“

      Er verzog etwas schmerzlich das Gesicht und nickte. „Doch! Immer, wenn am Nordpol Magnasse gemessen wurde, gab es auch irgendwo auf der Welt einen oder mehrere fehlgeschlagenen Messwerte. Aber da sind keinerlei Zusammenhänge nachweisbar und würde ich das veröffentlichen, könnte ich meinen Scheiterhaufen gleich selbst anzünden.“

      „Du hast mich also nur herbestellt, um auf sehr hohem Niveau zu jammern?“, fragte Emma etwas ungläubig. „Oder kommt da jetzt noch was?“

      Ihr Vater fuchtelte etwas vor dem Sensor herum und auf dem Monitor erschien die Anzeige, die er gestern Morgen vor sich gehabt hatte: „Darstellung nicht möglich! Reduzierung der Dimensionen empfohlen!“

      Er machte eine einladende Handbewegung, die ihr anzeigte, dass sie die „Ausführen“-Taste drücken sollte, sobald sie bereit war. „Ich möchte dir nur vorweg sagen, dass das Programm dir gleich die Achsen X, Y und Z entfernen wird. Alles, was du siehst, wird also nichts mit irgendeiner Position im Raum zu tun haben.“

      Emma hatte bereits den Mauszeiger über den Button geführt, aber sie merkte, dass ihr Vater es noch hinauszögern wollte, trotz seiner Worte, dass sie jederzeit klicken durfte.

      „Und um es einfach zu halten, zeigt das Programm nur die 182 Ergebnisse von Magnussen an. Meine restlichen Datensammlungen habe ich einstweilen alle aus dem Programm entfernt. Aber bitte, lass dich nicht weiter aufhalten!“

      Emma hatte das Gefühl, ihr Vater wolle sie vorführen oder testen. Was sollte ein Diagramm ohne die drei Raumachsen schon anzeigen? Eine Zeitlinie? Das wäre unspektakulär. Aber sie war vertraut mit einigen Konzepten der theoretischen Physik und Mathematik. Sie hatte den Verdacht, gleich eine zweidimensionale Darstellung zu sehen. Sollte ihr Vater eine weitere Dimension bewiesen haben, könnte das vielleicht seine Aufregung erklären. Die Neugier war nun da. Sie drückte schnell den Button.

      Das Programm war so justiert, dass es jede Sekunde eine Schleife zeichnete. Emma bemerkte also bei der dritten Schleife, dass noch eine weitere Dimension dargestellt wurde.

      „Sechsdimensional also?“, dachte sie leicht panisch.

      Das überforderte ihre Vorstellungskraft, aber so wäre es wohl jedem Nicht-Dimensions-Experten gegangen. Sie konnte nur fasziniert zusehen, wie das Programm seine Schleifen zog und am Ende sah sie ein Gebilde, das sie am ehesten an einen leicht bizarren Weihnachtsschmuck erinnerte.

      Sie blickte ihren Vater an. Dieser stand mit leicht nervös wippendem linkem Fuß da und schien auf eine Reaktion der Tochter zu warten. Sie zuckte mit den Achseln. „Dad, mehr als vier Dimensionen brauche ich in meinem alltäglichen Leben nicht. Ich habe sicher mal was von der Krümmung von Raum und Zeit als mögliche fünfte Dimension gehört. Das wäre es dann aber schon.“

      Ihr Vater nickte und spielte dabei mit den Lippen. Emma konnte ihm ansehen, dass da etwas aus ihm herausplatzen wollte, aber er hielt sich weiter zurück und reichte ihr dann einen Ausdruck der Altersbestimmung der Magnasseproben.

      Dort waren auf drei Seiten alle 182 Proben in zeitlicher Reihenfolge aufgelistet und mit dem zugehörigen Alter versehen. Emma sah, dass mangels einer Vergleichsprobe die jüngste Probe mit dem Alter Null festgesetzt worden war und dass die ältesten wohl über fünfhundert Jahre alt waren.

      „Erst Aliens und jetzt was? Zeitreisen? Ist das dein Ernst?“ Sie schaute ihn tadelnd an. Da kein Widerspruch kam, wusste sie, dass dies wirklich sein Schluss war. Das machte sie ängstlich und zornig zugleich.

      „Du schimpfst, wenn in Independence Day die Aliens die Erde plündern wollen, du verdrehst die Augen, wenn Marty McFly seine Eltern zusammenbringen muss oder wenn der Terminator diese Sarah Connor töten soll, weil das alles unmöglich sei, aber jetzt legst du mir so was vor?“

      Ihr Vater hob verteidigend die Hände vor die Brust. „Ich mag das Ergebnis auch nicht. Warum denkst du, laufe ich nicht jubelnd durch die Wohnung oder trommle meinen Lehrstuhl zusammen. Ich habe sogar Steffen angeschwindelt, damit er hiervon nichts erfährt. Ich kann noch nicht einmal genau sagen, was ich da entdeckt habe. Insofern habe ich nur eine Theorie, aber diese macht mir nicht halb so viel Angst, wie die Theorien anderer hierzu mir machen werden. Chinesisch oder Indisch?“

      „Indisch!“, kam es spontan von Emma. Es war nichts Neues für sie, dass er plötzlich solche Gedankensprünge machte, aber den Hunger verspürte sie auch und dass das mit dem Abendessen nichts werden würde, war ihr längst klar geworden.

      Sie nahm seinen Hinweis auf die möglichen Interpretationen dieses Fundes auf und begann langsam zu erkennen, warum ihr Vater derart negativ auf seine vielleicht größte Entdeckung reagierte.

      „Schnapp'